Wer die größte Freitreppe der Stadt mit 98 Stufen am Urban-Loritz-Platz erklommen hat (Aufzug gibt’s natürlich auch), wird mit einem tollen Ausblick vom Dach der Wiener Hauptbücherei belohnt: Bobo-Town aka der siebte Bezirk auf der einen Seite, Rudolfsheim-Fünfhaus auf der anderen, dahinter der Sonnenuntergang. So bunt und multikulti wie der Standort ist auch das Angebot des Lokals OBEN, das hier schon seit über 20 Jahren besteht und seit 2010 von Georg Wallisch geführt wird.
„Am Anfang hat es ausgesehen wie eine Autobahnraststation mit einem 80er-Jahre-Touch.“
„Den nachhaltigen Gedanken verfolgen wir von Anfang an“, erzählt er. Wobei sich alles nach und nach entfaltet, hat: „Am Anfang hat es ausgesehen wie eine Autobahnraststation mit einem 80er-Jahre-Touch. Wir haben dann 2016 alles umgebaut mit nachhaltigen Materialien wie Holz, Stein und Stahl. Wir haben die Terrasse begrünt und mit Bänken ausgestattet. Die Küchenphilosophie hat sich immer weiterentwickelt. Die Karte ist immer kleiner geworden und die Produzentinnen und Produzenten noch spezifischer“, erzählt Georg.
Der Gastronom ist „Koch-Autodidakt“, wie er es ausdrückt und hat das Kochen von seiner Mutter gelernt und nach dem Motto „Learning by Doing“ perfektioniert. Heute steht er nur mehr beim Konzipieren der neuen Speisekarte oder wenn wer ausfällt in der Küche.
„Die Karte ist immer kleiner geworden und die Produzentinnen und Produzenten noch spezifischer.“
Grüner mit jedem Schritt
Das zu einem großen Teil vegetarisch, pflanzliche Angebot von Frühstück bis Casual Fine Dining ändert sich mindestens viermal im Jahr und wird von saisonalen Tagesgerichten ergänzt. Die Lebensmittel dafür kommen großteils direkt von den produzierenden Betrieben, am besten Bio, auf jeden Fall aber in einem Radius von 160 Kilometern. „Mir ist wichtig, dass die Wertschöpfung bei Produzen:tinnen bleibt und nicht bei Großhändler:innen“, meint Georg. Ein Teil der Küchenkräuter sowie Gemüse wird sogar auf der eigenen Terrasse angebaut. Den No-Waste-Ansatz der Küche beschreibt Georg simpel als „wie früher eben“. Aus Fleisch- oder Käseresten werden Kaspressknödel oder faschierte Laberl gekocht. Was unter der Woche nicht wegkommt, wird beim Sonntagsbrunch noch verarbeitet, und wenn dann noch was da ist, holt „Too good to go“ den Rest noch ab.
„Mir ist wichtig, dass die Wertschöpfung bei Produzen:tinnen bleibt und nicht bei Großhändler:innen.“
Das reicht Georg aber noch nicht – er hat für die kommenden Jahre eine klare Vision: „Wir wollen nächstes Jahr die wenigen noch konventionellen Produktgruppen vollständig auf Bio umstellen“ erklärt er. Ökostrom gibt es schon, aber eine PV-Anlage auf dem Dach soll den nächsten Schritt in Richtung Energieunabhängigkeit markieren. Bis dahin wird aber die Fassade noch begrünt, Regenwasser für die Pflanzen gesammelt und Bienenstöcke sowie eine Wurm-Box aufs Dach geholt. „Unser Ziel ist ein Lokal, das sich selbst trägt – nachhaltig und ressourcenschonend“, betont Georg. Besonders in der Küche spiegelt sich diese Vision wider: „Wir zeigen, dass vegetarische und pflanzliche Küche weit mehr als eine Alternative ist. Gemüse und Pilze stehen im Mittelpunkt, während Fleisch und Fisch in Bio-Qualität Nebendarsteller sind.“
Das Lokal soll ein Leuchtturmprojekt werden: ein Social Hub über den Dächern der Stadt, der Genuss, Bildung und ökologische Verantwortung vereint, und zwar mit Workshops, Diskussionsrunden, Veranstaltungen zu Urban Gardening oder bewusster Ernährung sowie Kulinarik.
„Ich sehe uns als Multiplikator für einen Wandel, der sowohl unseren Gästen als auch der Gemeinschaft und nicht zuletzt unserem Planeten dient.“
„Ich sehe uns als Multiplikator für einen Wandel, der sowohl unseren Gästen als auch der Gemeinschaft und nicht zuletzt unserem Planeten dient“, sagt Georg. Auch jetzt ist am Dach immer was los: von Open-Air-Kino im Sommer über Poetry-Slams und Live-Konzerte bis zum alternativen Weihnachtsmarkt. Einen sozialen Raum zu schaffen, sieht Georg als eine der Hauptaufgaben von Lokalen, auch wenn es der Gastronomie nicht leicht gemacht wird. „Wirtshäuser sind ein Treffpunkt und wichtig für den Zusammenhalt einer Gemeinschaft. Hier können wir was bewirken, Wissen vermitteln und inspirieren.“