Ganz Österreich ist vom landwirtschaftlichen Strukturwandel erfasst. Ganz Österreich? Ja, ganz Österreich. Auch das kleine Ollersdorf, Gemeinde Angern an der March, ist davon nicht verschont geblieben.

Matthias Reckendorfer, Jungwinzer in Ollersdorf, nimmt es sportlich: „Bei uns im Ort hat es vor 30 Jahren noch 40 flaschenfüllende Betriebe gegeben und noch etliche mehr, die ihre Trauben verkauft haben. Wir waren der größte Weinbauort im Bezirk. Heute gibt’s gerade noch drei Haupterwerbslandwirte, die Weinbau betreiben, und ich bin der Einzige, der zu 100 Prozent Wein macht.“
Dazu muss man noch ergänzen, dass Matthias Reckendorfer, Jahrgang 1999, seinen Wein auch mit 100 Prozent Engagement macht. Wer gegen den Strom schwimmt, sollte das nicht mit halber Kraft machen.
„Wir sind das Tor zum Weinviertel – aber mit einem Fuß ist man hier doch noch in einer anderen Welt.“
Er hatte dafür aber gute Vorbilder. Auf anderen Höfen wurde dem Nachwuchs gern – siehe Strukturwandel – fürs Leben mitgegeben, dass sie doch bitte „was G‘scheites“ lernen sollten, sprich: Hauptsache, keine Landwirtschaft.
Sehr viele sind diesem Rat gefolgt – und aus Nebenerwerbsbäuer:innen wurden Vollzeitangestellte, aus Weingärten wurde Ackerland und aus der Vielfalt Monokultur. In der Familie Reckendorfer galt zum Glück ein anderes Credo: Mach, was dich interessiert. Lerne dazu. Probiere aus. Mach es besser. Das Ergebnis lässt sich sehen. Im kleinen Ollersdorf, im östlichsten Österreich; da, wo die weite Ebene des Marchfeld an die Hügel des Weinviertels grenzt. Matthias Reckendorfer sagt: „Wir sind das Tor zum Weinviertel“ – aber mit einem Fuß ist man hier doch noch in einer anderen Welt. Es herrscht hier an der March nämlich ein Klima, das man vielleicht am besten präpannonisch nennen könnte und in dem nicht nur die traditionell regionstypischen Grünen Veltliner gedeihen, sondern auch Rieslinge und Weißburgunder zur vollen Entfaltung kommen.
Matthias Reckendorfer hat sich die beiden Rebsorten nicht ganz zufällig auf die Fahnen geschrieben: „Gerade die Burgunder werden hier so facettenreich im Ausdruck, das macht einfach extrem Spaß.“ Gut so, denn: Auch wenn die Erfolgsgeschichte des Weinviertels der vergangenen 20 Jahre sicherlich ein Schulbeispiel für eine gelungene Regionalentwicklung darstellt – ein bisschen frischer Wind tut der größten heimischen Weinbauregion gewiss nicht schlecht. Matthias Reckendorfer ist, was das betrifft, aber bestens vernetzt, steht im engen Austausch mit Protagonistinnen und Protagonisten des neuen Weinviertels wie den Geschwistern Schödl in Loidesthal oder Herbert und Carmen Zillinger in Ebenthal, mit der Familie Zuschmann-Schöfmann in Martinsdorf und Johannes Zillinger in Velm-Götzendorf. Dass die besagten Weingüter allesamt Bio-Betriebe sind, ist natürlich kein Zufall, es ist ein Anliegen und ein ganz wesentlicher Baustein.
Auch Matthias Reckendorfer arbeitet seit 2021 biologisch-organisch, der Jahrgang 2024 ist sein erster voll biozertifizierter. Matthias hat gleich nach der Weinbau-Matura die Umstellung angetrieben, wobei aber vieles ohnehin schon auf Schiene war. Das Bewusstsein der Familie Reckendorfer lautete auch in der Elterngeneration: Wir sind ein Teil der Natur, nicht nur ihre Bewirtschafter:innen. Matthias Reckendorfer: „Es war immer allen klar, dass das der Weg für uns ist.“ Einzig beim Pflanzenschutz arbeiteten die Eltern noch nicht voll biologisch, anders wäre der Betrieb im Nebenerwerb nicht stemmbar gewesen. „Aber ich habe mir gesagt: Eine halbe Sache geht sich für mich nicht aus, also bin ich Vollerwerbswinzer geworden und habe auf bio umgestellt.“
„Der Vater hat sich den Weinbau berufsbegleitend angeeignet, und immer, wenn er von der Abendschule heimgekommen ist, hat ihn die Oma gefragt: Was habt ihr Neues gelernt? Gut, das probieren wir jetzt!“
Natürlich bereitet das mehr Arbeit, aber zum Glück wurde ihm die Arbeit nie als Last vorgelebt: „Wir Kinder haben von den Eltern und Großeltern nie ein Jammern gehört, es war und ist ihr Leben und sie haben es immer gern gemacht. Sie leben für die Natur und mit der Natur, das haben wir in die Wiege gelegt bekommen.“
Und noch etwas hat Matthias von seinen Eltern und Großeltern gelernt: offenzubleiben, neugierig zu sein. Sein Vater Karl ist von Beruf Beamter und von Berufung Musiker (wie überhaupt die Familie Reckendorfer durch und durch musikalisch geprägt ist) – und hat den Weinbau im dritten Bildungsweg in der Abendschule gelernt, nachdem er mit seiner Frau Gertraud den gemischt landwirtschaftlichen Betrieb von Gertrauds Eltern übernommen hatte.
„Der Vater hat sich den Weinbau berufsbegleitend angeeignet, und immer, wenn er von der Abendschule heimgekommen ist, hat ihn die Oma gefragt: Was habt ihr Neues gelernt? Gut, das probieren wir jetzt!“ Bis zuletzt war die Oma – die anno 2023 im 92. Lebensjahr gestorben ist – am Hof tätig: „Bis 85 ist sie im Weingarten gestanden, und auch mich hat sie am Wochenende immer gefragt, was ich in der Wein- und Obstbauschule Klosterneuburg gelernt habe. Dieses Interesse so lange zu halten, das fand ich sehr bewundernswert, das war schon ein riesengroßes Vorbild für mich.“
Davon kann man tatsächlich etwas lernen. In ganz Österreich? Ja.