Als Michael Kietreiber 2017 seinen Job in der Veranstaltungsbranche kündigte, wusste er nur, dass seine nächste Tätigkeit unter freiem Himmel stattfinden sollte. Seine Gedanken waren: „Ich will mich erden, ich will meine Hände dreckig machen. Ich will was angreifen und am Ende des Tages sehen, was ich gemacht habe.“ Sieben Jahre später hat Michael sehr oft sehr dreckige Hände, verbringt viel Zeit am Feld und schaut seinen Pflanzen täglich beim Wachsen zu.
Alte Sorten – innovative Ideen
Gemeinsam mit seiner Frau Verena betreibt Michael eine Marktgärtnerei mit 2.500 Quadratmeter Beetfläche im niederösterreichischen Pottenbrunn Maria Jeutendorf, Nähe St. Pölten. Als totale Quereinsteiger:innen haben die beiden über Bücher und YouTube alles zum Konzept der Marktgärtnerei aufgesaugt, umgesetzt und nach und nach ihr Angebot erweitert. Mittlerweile bauen die beiden über 120 verschiedene Kulturen an, was vor allem die Spitzengastronomie als Hauptabnehmerin freut.
„Wir haben viele alte Sorten, die ältere Leute am Markt noch kennen. Hirschhornwegerich zum Beispiel!“, erzählt Verena. Viele dieser Sorten sind in Vergessenheit geraten. Die Auswahl an Gemüsesorten in den Supermarktregalen ist überschaubar – anders als bei Grünzeug vom Feld. „Bei uns schaut alles anders aus, wir haben etwa grüne, gelbe, weiße und rote Paradeiser“, meint Michael.
Die Zusammenarbeit mit innovativen Köchinnen und Köchen macht den beiden Neo-Gärtner:innen am meisten Spaß. Angeboten wird immer nur das Gemüse, das gerade wächst und saisonal ist, was von den Lokalen auch nicht anders erwartet wird. Dieses gegenseitige Verständnis eines Jahreszyklus macht dieses partnerschaftliche Verhältnis so wertvoll.
Wobei natürlich gerne extra Rattenschwanzrettich für Paul Ivíc vom Tian oder Eiskraut für Werner Punz vom Vinzenz Pauli angebaut wird. „Wir haben ein freundschaftliches Verhältnis mit unseren Kundinnen und Kunden, ein bisschen können wir uns also nach den Wünschen richten oder wissen schon, welche Kulturen bei wem beliebt sind“, erzählt Verena.
Mit ein bisschen Gemüse viel bewegen
Das ist auch der Vorteil der Direktvermarktung, die in allen Bereichen gelebt wird. Von Mai bis November verkaufen Michael und Verena ihr Gemüse am Markt in St. Pölten, wo sie jede Woche mit Rezeptvorschlägen im Hinterkopf in den Markttag starten. Fragen wie „Was ist das genau? Wie koch ich das? Wie schmeckt das?“ gehören dazu und werden von den beiden auch sehr gerne beantwortet.
„Wir erklären, was wann wächst, geben Tipps für den eigenen Anbau und die Kundinnen und Kunden kommen mit Feedback beim nächsten Mal retour. Das Wissen wandert weiter und wir freuen uns, etwas zu bewegen.“
Ob Tatsoi, Tomatillos, verschiedenste Sorten Radicchio, Okra oder Mini-Gurken – bei dieser Vielfalt gibt es genug zu besprechen. „Ich finde unsere Aufklärungsarbeit enorm wichtig“, sagt Verena. „Wir erklären, was wann wächst, geben Tipps für den eigenen Anbau und die Kundinnen und Kunden kommen mit Feedback beim nächsten Mal retour. Das Wissen wandert weiter und wir freuen uns, etwas zu bewegen.“ Und genau das ist auch der Grund, warum die beiden vor Jahren ein Stück Acker von Verenas Onkel gepachtet und einfach mal losgelegt haben.
„Ich finde es so schön, unseren zwei Töchtern unsere Werte zu vermitteln. Sie leben das mit uns mit“, erzählt Verena. „Unser Job ist sehr erdend und holt einen runter, das ist das schönste und ich würde mir wünschen, dass das alle Menschen erleben können.“ Michael stimmt ihr zu: „Wir nehmen die Jahreszeiten ganz anders wahr als früher. Wir wissen, wo die Sonne zu welcher Tageszeit steht und wann sie auf- und untergeht. Man lernt die Natur nochmal ganz anders und viel besser kennen, wenn man aufmerksam ist.“
Arbeiten in Saisonen
Das ist gleichzeitig auch die größte Herausforderung: Die Abhängigkeit von Saisonen bestimmt das Arbeitsjahr. Im Frühjahr geht’s los mit dem Aufziehen der Jungpflanzen, die bei einem großen Jungpflanzenfest Anfang Mai verkauft werden. Von Juni bis Ende Oktober verkaufen die beiden ihr Gemüse, neben dem Markt und der Gastronomie auch in Ernteanteil-Kistl, damit die Menschen in der direkten Umgebung mit Gemüse versorgt werden können.
„Der Klimawandel hat viele Schattenseiten, aber wir versuchen das Beste daraus mitzunehmen und pflanzen Exotisches wie Zitronengras, Ingwer und Kurkuma an.“
Richtig ruhig wird’s also nur im Dezember und Jänner, obwohl es dank milder Winter auch dann schon einiges zu tun gibt. Vor allem Verena ist motiviert, viel auszuprobieren. „Der Klimawandel hat viele Schattenseiten, aber wir versuchen das Beste daraus mitzunehmen und pflanzen Exotisches wie Zitronengras, Ingwer und Kurkuma an“, ergänzt Michael. Ein Arbeiten mit der Natur und nicht gegen sie. Klar ist aber auch: Im Dezember gibt’s eben keine Paradeiser.
Michael und Verena Kietreiber
Verena: Brokkoli, wenn ich mich entscheiden muss.
Michael: Heidelbeeren.
Verena: Apfelstrudel.
Verena: Automobilteile gießen.
Michael: Da freuen sich alle auf die 10-Uhr-Kaffeepause.