Im Anfang war die Feige

Das Maulbeergewächs mit den duftenden Blättern war die erste kultivierte Frucht der Menschheit, und die Geschichte seiner Nutzung ist älter als der Ackerbau selbst.
von Ute Woltron
Feige
© Klaus Fritsch

Wenn es um eine derart sagenumwobene, uralte Frucht wie die Feige geht, darf, ja muss man tief in die Historie und in die Mythengeschichte hinabsteigen, um sie in all ihren Dimensionen entsprechend zu würdigen. Der Superlativ, es gäbe keine andere botanische Delikatesse, um die sich annähernd so viele Legenden, Volks- und Aberglauben ranken, scheint ausnahmsweise angemessen. Feigen sind unvergleichlich. Sie sind echte Solitäre im Reich der Früchte: diese Form, diese Farbe, diese Süße, dieses Aroma! Es erstaunt also nicht, dass die Feige weithin als sagenhafte Frucht verehrt wird, sie spielt sowohl kulturhistorisch wie kulinarisch als auch botanisch eine Sonderrolle. 

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Feige
Von den zahllosen Feigensorten, die im Laufe der Geschichte in den verschiedensten Regionen durch Selektion und gezielte Züchtung entstanden, sind vier besonders hervorzuheben: die unverwüstliche, sehr frostbeständige Brown Turkey mit der charakteristisch kräftig lila gefärbten Schale; die zierlichere, gelbgrüne und süß-beerig schmeckende Dalmatie, die in guten Jahren zweimal fruchtet; die bis zu sensationelle 15 Zentimeter große Bananenfeige; die besonders aromatische, ebenfalls dunkellila und nur im Herbst spendable Pastiliere.

Feige: Die erste Nutzpflanze der Menschheit

Doch beginnen wir mit der Historie. Funde getrockneter Feigen in Vorratskammern bei Jericho belegen, dass Feigenbäume bereits vor 11.400 Jahren domestiziert und zu verschiedenen Sorten veredelt wurden. Der Beginn der Landwirtschaft setzt also nicht mit dem Getreideanbau ein, denn der entwickelte sich erst ein paar Jahrhunderte später, was die Feige zur wahrscheinlich ältesten Nutzpflanze der Menschheit macht. 

Von der Bibel bis Buddha – die Feige in Religion und Mythos

In der Bibel ist der Feigenbaum nicht nur die erste Pflanze, die überhaupt namentlich erwähnt wird (Genesis 3,7), die Feige taucht im Buch der Bücher gleich prominent an 38 Stellen auf. Der Apfel als Frucht der Erkenntnis ist dagegen nur magere viermal angeführt, und Bibelexperten streiten heute noch herum, ob Eva nun tatsächlich einen Apfel oder doch viel eher eine köstliche, frische, aber natürlich verbotene Feige naschte und die Menschheit mit diesem Akt des Ungehorsams aus dem Paradies und in die Sterblichkeit trieb. Zumindest das charakteristisch geformte Feigenblatt als Schurz gegen die Nacktheit der beiden ersten Menschen ist unbestritten. 

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Feige
Moderne Feigensorten sind selbstfruchtbar und brauchen keine Bestäuberinsekten. Sie sind zudem auf relative Winterhärte selektiert und gedeihen auch hierzulande im Freien gut, wenn sie möglichst sonnig und warm, am besten mit einer schützenden Wand im Rücken in südlicher Richtung gepflanzt werden. Nur in den ersten Wintern bekommt sie zur Sicherheit ein wärmendes Häubchen aus Laub oder Reisig aufgesetzt.

Die Antike feierte den Feigenbaum nachgerade exzessiv und in vielerlei Hinsicht, von der Pflanze bis zur Frucht selbst. Den Griechen galt die Feige als Symbol des Überflusses und des Reichtums, aber auch als Sinnbild der Fruchtbarkeit und der Sinnenfreude bis hin zum Symbol deftiger, erotischer Exzesse dionysischen Ausmaßes. Die Römer sahen im Feigenbaum jegliche Symbole des Männlichen wie auch des Weiblichen verkörpert und zudem jene heilige Pflanze, der man sogar die Gabe zusprach, den von Göttervater Zeus geschleuderten Blitz abhalten zu können. 

Im Buddhismus ist die Feige der Baum der Erkenntnis, denn Buddha saß unter einem solchen, als er die Erleuchtung erfuhr. Im Hinduismus bewohnen wiederum gleich mehrere Gottheiten das heilige Holz des Baumes. Dante Alighieri sah im Feigenbaum eine Metapher der menschlichen Entwicklung zum Guten hin, was sich übrigens mit der viel älteren Geschichte des Odysseus deckt. 

Der hielt sich ausgerechnet am rettenden Ast eines Feigenbaumes fest, als ihn die Wasserstrudel der Charybdis samt Floß zu verschlingen drohten. Hätten die Autoren der Vergangenheit nicht das Besondere in der Feige gesehen, so hätten sie den Baum wohl nicht wiederholt so prominent über die Jahrtausende in Szene gesetzt. 

Kulinarische Geschichten rund um die Feige

Auch die kulinarischen Qualitäten der süßen Frucht sind bereits seit der Antike gut dokumentiert. So überlieferte beispielsweise Plinius der Ältere in der „Naturalis historia“ die Geschichte des römischen Kochs Apicius, der, wie der Autor süffisant anmerkte, „für alle Arten des Luxus ein merkwürdiges Genie besaß“ und „der größte aller Schwelger“ Roms war. Apicius erfand laut Plinius die Schweinemast mit getrockneten Feigen. Diese, so meinte der Römer, der übrigens als Autor eines der ältesten Kochbücher der Menschheitsgeschichte genannt wird, würden insbesondere der Leber der Sauen einen besonders köstlichen Geschmack verleihen. Der lateinische Name für die Feigenleber lautete denn auch Ficatum, abgeleitet von Ficus für Feige, woraus sich das jedem Feinspitz heute bekannte italienische Wort für Leber, Fegato, entwickelte. 

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Feige
Um schöne, große Früchte und einen gut gewachsenen, verzweigten Baum zu bekommen, können Feigenbäume im Frühjahr beschnitten werden. Jungen Bäumen knipst man jeweils nur ein kleines Stück der Triebe ab, sodass die ganze Kraft der Pflanze nicht in die Blätter, sondern in die Früchte wandert. Ältere Bäume können notfalls auch kräftiger in Form gebracht werden, doch Vorsicht: Feigen tragen am zweijährigen Holz.

Botanisches Wunder

Botanisch betrachtet gehört der Feigenbaum der Familie der Maulbeergewächse an. Er stammt ursprünglich wohl aus den Gefilden rund um das Kaspische Meer, wurde jedoch spätestens in der Antike im gesamten Mittelmeerraum heimisch gemacht, wo er bis heute jenes Klima vorfindet, das ihm so behagt: Wärme, viel Sonne, milde Winter, tiefgründige, nie zu nasse, eher karge Böden. Ein gut gewachsener Feigenbaum kann unter optimalen Bedingungen bis zu zehn Meter hoch und ein Jahrhundert alt werden und trägt in seinen besten Jahren bis zu 100 Kilogramm Früchte pro Saison – ein wahrlich paradiesisch-spendables Gewächs. 

Als ein im Süden verwurzelter Geselle verlangt der Feigenbaum in den hierzulande deutlich kühleren Gefilden freilich besondere Zuwendung, um zu gedeihen und zu fruchten. Die etwas aufwendigere Pflege, vor allem der Schutz vor starken Frösten im Winter, macht sich aus folgendem Grund unbedingt bezahlt: Nur eine wirklich reife Feige, punktgenau im Moment perfekter Genussreife vom Baum geholt und so gut wie nicht zwischengelagert, kann den Ansprüchen eines echten Feigenconnaisseurs entsprechen. Ein solcher ist Harald Thiesz aus Wien. Wenn er durch seinen gewaltigen, vor den Augen der Welt verborgenen Feigenhain in Wien-Simmering schreitet, scheint er jeder einzelnen Feige nicht nur anzusehen, ob sie gerade die rechte Genussreife erreicht hat – irgendwie erweckt er den Anschein, das sogar zu spüren. „Diese hier“, sagt er dann im Vorübergehen beispielsweise, „ist heute noch nicht soweit. Aber bald. Vielleicht morgen Nachmittag.“ 

Der perfekte Moment der Reife

Der ideale Moment ist dann gekommen, wenn die Frucht einen kleinen, süßen Tropfen am unteren Ende, also an der Spitze des Blütenstandes, absondert und damit sozusagen signalisiert: Nimm mich! Süßer werde ich nicht mehr! Diese winzige Öffnung, Ostiolum genannt, dient bei nicht selbstfruchtbaren, älteren Feigensorten ebenso winzigen Feigenwespen als Eingangsportal zu einer der interessantesten Blütenkonstruktionen der gesamten Botanik, denn sie setzt sich aus zahllosen, nach innen gewandten Einzelblütchen zusammen wie ein dreidimensionales Mosaik.

Wer also eine Feige auseinanderbricht, dringt damit in das Herz eines bis dahin verborgenen und gut geschützten Blütenreigens ein. Moderne Feigensorten benötigen jedoch keine Feigenwespen mehr zur Bestäubung, und nur deshalb kann man heute überhaupt Feigen fernab der Reviere der Feigenwespen ernten. Also auch bei uns. 

Der Bio-Feigenhof in Simmering zelebriert diese seltsame Frucht bereits seit zehn Jahren und ist nicht nur Insidern mittlerweile wohlbekannt. Mehr als 50 Feigensorten wachsen hier in unüberschaubaren Mengen in prachtvollen Reihen und teils bis zu stattliche vier, fünf Meter hoch. 

Ausladende, sattgrüne und duftende Bäume sind das, strotzend vor Gesundheit, kein gelbes Blatt in Sicht. Die Sorten stammen aus aller Welt, werden ständig ergänzt und sind erstaunlich unterschiedlich in Form, Farbe, Größe, Reifezeit und auch Geschmack. Die einen sind außen fast schwarz, die anderen violett, gelb oder grün. Manche sind winzig klein, andere bis zu fünfzehn Zentimeter groß. Auch das Fruchtfleisch variiert je nach Sorte von goldgelb, sattrot bis violett. Eine gute Feige ist zimmer- oder besser noch sonnenwarm, sie duftet und sie schmeckt honigsüß. 

Zumindest vier Jahre ab der Pflanzung eines neuen Feigen-Steckholzes müssen sich die Feigenprofis Harald Thiesz und Ursula Kujal in Geduld üben, bis die ersten Früchte eines jungen Baumes verkostet werden können. Der Moment der Reife ist dabei, wie bereits erwähnt, ausschlaggebend. Als Beispiel nimmt Thiesz die Sorte Violette Sepor, die eher kleine, eigentlich gar nicht sonderlich ansehnliche, doch supersüße und schwer aromatische Früchte liefert. Vollreif, so meint er, schmecke sie fast ein wenig nach Zwetschke, doch schon einen halben Tag später sei der Geschmack bereits wieder verändert. Immer noch köstlich, doch eben anders. 

Von Sommerfeigen bis Herbstfeigen

Eine weitere Besonderheit der Pflanze: Feigen können von Juli bis Oktober bis zu drei Fruchtfolgen pro Jahr ausbilden und – um die Sache noch komplizierter zu machen – auch die unterscheiden sich, von ein und demselben Baum stammend, aromatisch deutlich voneinander. Die allerbesten von ihnen sollen die sogenannten Sommerfeigen, mitunter auch poetisch-bildhaft Blütenfeigen genannt, sein. Das sind jene großen Früchte, die bereits im Vorjahr von der Pflanze angelegt wurden, am Holz überwintern und mit der Kraft des Frühlings bis Juni, Juli heranreifen. 

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Feige
Nicht nur die Parfümindustrie schätzt traditionell den Duft der Feigenblätter. Er gilt als Inbegriff des olfaktorisch Frischen, Grünen, doch auch leicht Herben. Die großen, unverwechselbar geformten Blätter dienen, selten aber doch, auch als Grundlage für Sirupe und Essenzen, die im Vergleich zur Frucht herber sind, doch, behutsam beigefügt, das süße Aroma der Frucht nochmals zu heben imstande sind.

Die meisten Feigenbäume des Feigenhofs befinden sich denn auch aus genau diesem Grund in ungeheizten Glashaushallen. Hier sind sie vor strengen Winterfrösten recht gut geschützt, die kleinen Feigenkinder des Herbstes können hier unverdrossen als vorerst nur winzige Früchtchen am Holz abwarten, bis es wieder wärmer wird und sie in Saft und Süße gehen können. Noch während sie sich das rechte Aroma aneignen, wächst bereits mit den Herbstfeigen die nächste Fruchtgeneration heran. Je nach Sorte und Witterung reifen die im Vergleich zu den Sommerfeigen etwas kleinformatigeren Früchte ab August bis in den Oktober hinein. In ihren angestammten, warmen Heimatgefilden tragen Feigenbäume schließlich gerne noch einmal Winter- feigen von Dezember bis März – in unserem Klima leider eine Unmöglichkeit. Auch wenn moderne, gut eingewurzelte Feigensorten mittlerweile recht gut winterhart sind, so bringen sie es hierzulande im Freien meist nur auf eine Herbstfeigen-Ernte pro Saison. 

Feigen in der Küche – Natur pur und raffinierte Zubereitung

Der Feigenkenner freut sich dann auf eben diesen Moment perfekter Reife. Dann braucht die Frucht wenig anderes, um zur Geltung zu kommen. Die spricht für sich. Das meinen auch die Künstler unter den Köchen, die sie gerne unverarbeitet, immer aber nur in eben dieser höchsten Qualität frisch auf den Tisch bringen. Sie können jedoch noch allerlei weitere Talente aus der Feige hervorkitzeln. So verleihen sie zum Beispiel in feine Spalten geschnittenen Feigen durch sanftes Andörren eine feinledrige Textur, die natürlich gerade einmal so zart zu sein hat wie das Bauchfellleder einer jungen Ziege, um damit den Feigengeschmack noch einmal zu intensivieren. Sie verwenden sie in kleine Würfel geschnitten für die Veredelung ohnehin schon delikater Saucen und Marinaden, aber auch diverser Gemüsegerichte, die einen Hauch Süße gut vertragen können. Oder sie verheiraten sie mit den Aromen ausgesuchter Zitrusfrüchte und seltener Kräuter als Dessert zum Abschluss eines Mahles. So markiert die Feige agrarhistorisch nicht nur den Anfang, sondern kulinarisch auch ein beglückenderweise immer wiederkehrendes Ende. 

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