Man glaubt gar nicht, dass man noch in Wien ist, wenn man „Am Himmelreich“ einbiegt, in die schlanke Seitengasse der Kaiser-Ebersdorfer-Straße in Simmering, und nach etwa 300 Metern am Bio-Feigenhof ankommt. Am Hügel gegenüber liegt Schloss Neugebäude, das einzige Renaissanceschloss Wiens. Eine kleine Katze mit geflecktem Fell strawanzt auf der Suche nach Beinen zum Anschmiegen am Gelände herum. Sie hat wohl den Fuchs nicht gesehen, der hinten bei den Glashäusern seine Runden dreht. Saftig grüner Mangold mit purpurfarbenem Rand streckt sich aus der Erde gen Himmel, als würde er den Sonnengruß praktizieren. Je näher man der roten Halle kommt, einem bungalowartigen Haus mit großen Glasflächen, umso mehr Feigenbäume findet man vor. Alles hat seinen Platz am Himmelreich 325.
Das ist vor allem Ursula Kujal zu verdanken. Gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Harald Thiesz, einem Bio-Pionier und Spezialisten im Gemüseanbau, hat die gelernte Landschafts- und Gartenarchitektin den Ort gestaltet. „Dieses offene Werkstattwohnen entspricht unserem Lebensstil“, sagt Ursula.
Als die beiden 2006 den Hof übernahmen und wiederbelebten, gab es weder die Feigenbäume noch die rote Halle. Es gab nur den Wunsch, etwas biologisch anzubauen, das nicht schon alle anderen in ihren Glashäusern hatten und das im Winter nicht nur aus Kostengründen ohne Heizung auskam, sondern auch weil in der Biohaltung kein Heizen vorgesehen ist.
„Wir haben mit circa 30 Sorten begonnen. Heute sind es um die 350.“
„Die Feige ist uns schicksalhaft zugeführt worden“, sagt Ursula. „Man hat uns damals ausgelacht, weil die meisten sie nur aus dem Urlaub kannten.“ Dass diese mediterrane Frucht auch in Wien wachsen könnte, hat sich damals so exotisch angehört, als würde man heute sagen, man baue in Wien Bananen an. Aber sie ist winterhart, nicht sehr pflegeintensiv und es gibt selbstbefruchtende Sorten, die nicht auf die Wespe angewiesen sind, die es nur in südlicheren Ländern gibt. Also probierten es Ursula und Harald, die damals zusätzlich noch als Lehrkräfte arbeiteten, aus. „Wir haben mit circa 30 Sorten begonnen“, sagt Ursula, „heute sind es um die 350.“
Feigenbäume mögen es am Himmelreich. Vielleicht auch, weil sie in guter Gesellschaft sind. Zusätzlich zu den tropfenförmigen, weichen Früchten in hunderten Varianten – einige haben lustige Namen wie „Süßer Georg“ oder „Alter Gersthofer“ – bauen Harald und Ursula auf einem Hektar Gemüseraritäten, seltene Obstsorten und hunderte Kräuter an: Artischocken, rare Gurkensorten, Maulbeeren, Khakis, Indianerbananen, chinesische Datteln, Szechuan Pfeffer, Pinienrosmarin, französischen Estragon und noch sehr viel mehr.
„Heinz Reitbauer hat immer schon gesagt: Ohne die Produzentinnen und Produzenten und deren Produkte bin ich nichts. Das ist schon sehr berührend.“
Mischkultur ist das Zauberwort. Am Bio-Hof herrscht ein lebendiges Miteinander von Süßem und Saurem, Bitterem und Scharfem in Bio-Qualität. Das wiederum mögen Veredler:innen. Es gibt Ab-Hof-Verkauf, einen Online-Shop mit selbst gemachten Chutneys, Schnäpsen und Marmeladen sowie zahlreiche Gastronominnen und Gastronomen, die gerne nach Simmering kommen, um die kleinen Früchte selbst abzuholen. Und nebenbei einen Espresso im Garten zu trinken und die besondere Atmosphäre einzusaugen, die hier in der Luft liegt.
„Die Feige hat eine starke Symbolik. In ihr stecken Fruchtbarkeit, Weiblichkeit, Freude, Urlaubsgefühle und Sinnlichkeit. Sie bietet dem Menschen einen Ausgleich, sie macht Freude, sie wirkt positiv aufs Unterbewusstsein.“
Mit der Spitzengastronomie arbeiten die beiden seit vielen Jahren zusammen. „Wir verbinden uns nur mit den besten“, sagt Ursula. Steirereck, Tian, Palais Coburg und Mraz & Sohn sind beispielsweise Kooperationspartner des Simmeringer Hofs. „Heinz Reitbauer hat immer schon gesagt: Ohne die Produzentinnen und Produzenten und deren Produkte bin ich nichts“, sagt Ursula. „Das ist schon sehr berührend.“ Er hätte auch immer schon die Feigenblätter mitverarbeitet – in Form von Feigenblattbutter oder Feigenblattöl, die sicherlich genauso grandios schmecken, wie sie sich anhören. Betörend und daher auch interessant für die Parfumindustrie, ist nicht nur ihr Geruch. „Die Feige hat eine starke Symbolik. In ihr stecken Fruchtbarkeit, Weiblichkeit, Freude, Urlaubsgefühle und Sinnlichkeit. Sie bietet dem Menschen einen Ausgleich, sie macht Freude, sie wirkt positiv aufs Unterbewusstsein.“
Im November müssen all die Feigenbäume in den Kübeln, die draußen stehen, zum Überwintern in die Glashäuser gebracht werden. Das ist viel Arbeit. Aber planbare Arbeit, die sich unterscheidet von der, die Extremwetterereignisse und Klimawandel nach sich ziehen – wie Ernteausfälle und Kriseninterventionen durch zu milde Winter und zu heiße Sommer oder immer wieder neue Schädlinge, für die es noch keine Nützlinge gibt. Das sind die Herausforderungen, mit denen Produzentinnen und Produzenten nicht nur hierzulande immer häufiger zu tun haben werden.
Es ist nicht leicht, diese Art von Arbeit zu leisten. Aber für Menschen wie Ursula und Harald ist es lohnend – so wie für die, die das konsumieren und veredeln, was sie anbauen. „Wenn Menschen hierherkommen, gehen sie immer verwandelt und glücklich wieder weg“, sagt Ursula. „Wir haben gemerkt, dass wir mit der Feige etwas in der Hand haben, das etwas bewirkt. Da steckt eine Energie drin.“