Wenn sich die rund 300.000 Weinbergschnecken von Andreas Gugumuck in der Dämmerung mit rauen Zungen an Mangoldblättern zu schaffen machen, soll man das in ruhigen Momenten – Andreas schwört darauf – hören können.

Zu sehen ist mit freiem Auge jedenfalls, dass die Schnecken hier am Südrand Wiens ein glückliches Leben führen: Beschützt vor Fressfeinden, das Eigenheim lässig geschultert und von Nahrung umgeben. In ausgewogener Work-Life-Balance produzieren die Schnecken tierisches Eiweiß effizienter als andere Geschöpfe der Landwirtschaft. Der Trick der Evolution dabei: Als Kaltblüter wandeln Schnecken ihre Nahrung zu einem höheren Anteil in Muskelfleisch um als Säugetiere. Diese müssen einen Teil ihrer Nahrung in die Beibehaltung ihrer Körpertemperatur investieren.
Andreas Gugumuck erntet seine Weinbergschnecken der Gattungen Helix Pomatia und die Helix Aspersa Maxima mit etwa fünf Monaten und einem Gewicht von 20 Gramm. Die Hälfte davon ist reines Muskelfleisch.
Sie gehören für ihn daher nicht nur zum kulinarischen Erbe Wiens, sondern auch zum „future food“ im urbanen Ernährungssystem: „Ressourcenschonender lässt sich tierisches Eiweiß nicht produzieren. Die Schnecken brauchen wenig Fläche, Futter und Wasser. Boden, Luft und Umwelt werden nicht belastet“, so Andreas Gugumuck. Aber damit sind noch längst nicht alle Vorteile des Schneckenfleischs ausgezählt: „Sie liefern wertvolle Mineralstoffe, zahlreiche Vitamine, Folsäure und Omega-3-Fettsäuren. Zudem lassen sie sich in der Küche sehr vielfältig zubereiten“.
Die alten Römer und ihr future food
Vermutlich wussten das bereits die alten Römer:innen, die neben dem Wein auch die Schneckenzucht in die neue Provinz Carnuntum mitnahmen. Die mittelalterlichen Klöster übernahmen diese Zucht mit großem Appetit, denn bei 160 Fastentagen pro Jahr war kulinarische Abwechslung höchst willkommen. Im barocken Wien waren Schnecken ein Bestandteil der Esskultur. Wer konnte, züchtete Schecken im Nebenerwerb.
Es gab einen eigenen Schneckenmarkt im Bereich des heutigen Petersplatzes, wo „Schneckenweiber“ ihre Waren feilboten. Die lokale Produktion reichte jedoch nicht aus, um den Gusto Wiens zu stillen. Bis zu vier Millionen Schnecken wurden pro Jahr zusätzlich importiert.
„Haupterwerb meiner Großeltern war noch die Produktion von Wiener Suppengrün, also Karotten, Pastinaken, Sellerie und ähnlichem. Aufgewachsen bin ich zwischen Gemüsekisten, Hühnern, Schweinen und Kaninchen.“
Das wird dem Südsteirer Sebastian Gugumuck wohl einerlei gewesen sein, als er im Jahr 1720 in eine bäuerliche Familie in Rothneusiedl, damals ein Dorf weit vor den Toren der Stadt, einheiratete. Historisch gesichert ist, dass die Gugumucks seit diesem Datum auf diesem beschaulichen Fleckerl Erde Landwirtschaft betreiben.
Vom Wiener Bauernbub zum Techno-Producer
Dass Andreas den elterlichen Betrieb in elfter Generation letztlich doch übernehmen würde, war vor zwanzig Jahren so wahrscheinlich wie heute ein Fußball-Meistertitel der Wiener Austria, die ebenso in Rothneusiedl beheimatet ist. „Haupterwerb meiner Großeltern war noch die Produktion von Wiener Suppengrün, also Karotten, Pastinaken, Sellerie und ähnlichem. Aufgewachsen bin ich zwischen Gemüsekisten, Hühnern, Schweinen und Kaninchen“, erinnert sich Andreas gerne an seine Kindheit in Rothneusiedl: „Ich habe das Leben auf unserem Gugumuck-Hof geliebt.“
Aber natürlich hatte er als junger Bursch auch andere Interessen. So war er ein aktiver Teil der Wiener Techno-Szene und produzierte eifrig Tracks. Nach dem Besuch der HTL und abgeschlossenem Studium der Wirtschaftsinformatik an der TU Wien stand zunächst eine Karriere in die IT-Branche auf dem Programm. Der Hof blieb für Andreas Gugumuck so etwas wie eine romantische Ressource im Hinterkopf: Rückblickend scheint es, als ob er nur auf die passende Gelegenheit gewartet hatte, um wieder in die analoge Welt zurückzukehren.
Rothneusiedl revisited
Das Rückfahrtticket nach Rothneusiedl buchte er nach der Lektüre eines Interviews mit Starkoch Christian Petz, damals Küchenchef im „Palais Coburg“, über die Wiener Küche, in der Petz auch auf die Schneckentradition Wiens einging. Der Funke sprang sofort über. Andreas Gugumuck recherchierte, wühlte sich durch Archive, um sein vages Vorhaben ohne Businessplan mit historischer Substanz aufzuladen. Das Schnecken-Kochbuch von Gerd Wolfgang Sievers eröffnete ihm neue Perspektiven hinsichtlich der Vermarktung.
Geträumt, getan: 2008 startete er im Nebenerwerb mit 20.000 Schnecken. „Ich habe die Wiener Top-Gastronomie top-down abgegrast und bin offene Türen eingelaufen“, erinnerte sich Andreas an die Magie der ersten Aufträge. 2010 quittierte er seinen IT-Job und plante sein Leben fortan rund um die Schneckenzucht. Mit Beharrlichkeit und Leidenschaft für faire, hochwertige Lebensmittel entwickelte er seinen Hof in vielen kleinen Schritten zu einem regenerativen Musterbetrieb für die zukünftige „Essbare Stadt Rothneusiedl“. Bis 2016 rotierte Andreas Gugumuck als One-Man-Show durch die Wiener Kulinarikszene. Das „Office“ checkte damals schon seine Lebensgefährtin Maria. Nun beschäftigt Andreas Gugumuck im sommerlichen Vollbetrieb bis zu 18 Mitarbeiter:innen und Praktikant:innen.
2016 – jetzt geht´s los
2016 startete die Manufaktur zur Verarbeitung der Schnecken: Schlachtung, Reinigung, Garen im Gemüsesud, Abfüllung und Verpackung fanden nun am Hof statt. Zum Hofladen kamen nach und nach weitere Puzzleteile zum Gesamtkunstwerk dazu: Schneckenfeldführungen, mehrgängige Schneckenmenüs im hofeigenen Bistro, Pilzzucht, Gemüseanbau, Schule am Bauernhof, und die charmante Gartenbar, in der all diese Köstlichkeiten seit 2020 gastronomisch aufbereitet werden. Angedacht ist sogar eine Kosmetiklinie zur Verbesserung des Hautbilds durch Wirkstoffe im Schneckenschleim.
Wenn es eine Konstante in den vergangenen 17 Jahren am Hof gab, dann war das der Antrieb Andreas Gugumucks sich nie auf dem Erreichten auszuruhen, sondern immer wieder neue Projekte anzustoßen und eine starke Stimme für eine regenerative Landwirtschaft zu erheben. Man darf in freudiger Erwartung sein, was Andreas Gugumuck in den nächsten Jahren noch alles einfallen wird.