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Wiesmayer Hof

Auf seinem Hof südlich von Wien zeigt Wildzüchter Johannes Wiesmayer, wie Nachhaltigkeit funktioniert: mit großem Einsatz und einigem Gehirnschmalz.
Wiesmayerhof
© Wiesmayerhof

Wild und frei

von Sebastian Hofer

„Ich war ein echter Benzinbruder. Über Nachhaltigkeit habe ich mir viele Jahre lang genau null Gedanken gemacht. Ich habe zwanzig Jahre meines Lebens in der Automobilbranche verbracht, hatte zwölf Motorräder und noch viel mehr Autos in der Garage.“ Wenn Johannes Wiesmayer von seinem alten Leben erzählt, glaubt man es kaum: Radikaler kann man sich nicht verändern. Johannes hat – um in der Automobilsprache zu bleiben – einen formvollendeten U-Turn hingelegt.

„Wir überlegen inzwischen bei jedem Produktionsschritt und jeder Alltagsaktivität, wie wir Nachhaltigkeit fördern können.“
Johannes Wiesmayer
© Wiesmayer Hof
Wiesmayer Hof Küche

Denn der Landwirt wird heute, zwanzig Jahre nach seiner Benzinbruderschaft, vor allem von einem Gedanken gelenkt: Wie kann man nachhaltig leben, arbeiten und sein? „Diese Frage kam auch mit der Geburt der Kinder auf und hat sich im Laufe der Jahre immer mehr verstärkt: „Wir überlegen inzwischen bei jedem Produktionsschritt und jeder Alltagsaktivität, wie wir Nachhaltigkeit fördern können. Das beginnt bei der Wahl unserer Kleidung, unserer Hygieneartikel, der Verpackungen und Transportmittel, bei der Stromerzeugung, bei wirklich allem“, sagt Johannes. 

 Die Keimzelle seines Wiesmayerhofs, der er mit seiner Frau Lydia am südlichen Stadtrand von Wien betreibt, steht ein paar Meter entfernt, auf einem Feld jenseits des Petersbachs: das Wiesmayersche Damwildgehege. Dessen Gründungsgeschichte ist eine schöne Anekdote: „Joachim Gradwohl, damals Küchenchef im Meinl am Graben, hat immer bei uns seine Reifen wechseln lassen. Einmal habe ich ihn gefragt, wo er sein Reh bezieht.“

Die Antwort war für den leidenschaftlichen Jäger Wiesmayer eher unbefriedigend: „Er hat mir erklärt, dass er sein Rehfilet, fein säuberlich pariert, aus Frankreich bekommt. Wo es übrigens kaum Rehe gibt.“ Noch in der Autowerkstatt wurde ein Deal gemacht – „ich bringe ihm am folgenden Montag zwei Rehe, und er schaut sich die einmal an.“ Der Küchenchef schaute und war sehr angetan – und aus dem Handschlaggeschäft wurde ein Unternehmen: „Ich habe dann ein Grundstück, das wir in Hennersdorf hatten, eingezäunt und mit der Wildzucht begonnen.“ Johannes ist keiner, der lange herumredet. Inzwischen macht die eigene Wildzucht nur mehr einen kleinen Anteil im Betrieb aus, das meiste wird von befreundeten Jägerinnen und Jägern bezogen und am Wiesmayerhof verarbeitet – zu Frischfleisch oder Sugos, Chili und Wurstwaren.

„Wir haben mit sieben Hühnern am Hof begonnen, dann waren es irgendwann 23 im Familiengarten. Aber die Nachfrage ist immer größer geworden, sodass wir jetzt 250 Hühner haben, die biozertifiziert in Holzställen im Freiland leben. Das ist ein Hühnerparadies.“
Johannes Wiesmayer

Für Johannes ist auch das ein Bekenntnis zur Nachhaltigkeit, konkret zu einer Landwirtschaft, die so naturnah wie nur irgend möglich ist, die ohne Massentierhaltung oder Tiertransporte auskommt und einen wirklichen „Respekt vor der Schöpfung“ pflegt. 

© Wiesmayer Hof
Wiesmayer Hof Gasthaus
Wo einst die Ur-Ur-Großeltern schon wohnten, befindet sich heute das Bio-Wirtshaus, das Johannes gemeinsam mit seiner Frau Lydia betreibt.

Vertrieben wird das Wiesmayer-Wild – Rebhuhn, Fasan, Hase, Reh, Wildschwein, Hirsch oder Gams – einerseits über den eigenen Hofladen und den freitäglichen Stadlmarkt im benachbarten Vösendorf, andererseits geht es an die Wiener Top-Gastronomie, ausgewählte Feinkostläden sowie den Billa Corso am Hohen Markt. 

Landwirtschaftliches Erweckungserlebnis

Dort fand auch das zweite landwirtschaftliche Erweckungserlebnis des Johannes Wiesmayer statt: „Das war damals noch der Merkur am Hohen Markt, den ich in Kooperation mit Slow Food beliefern durfte. Dort sehe ich eines Tages Topinambur, Kilopreis 13,90 Euro. Für so eine schrullige Knolle, habe ich mir gedacht, und dass ich das auch probieren muss.“ Und wieder wurde der Gedanke schnell Wirklichkeit, wurde ein Grundstück nach dem anderen angepachtet und sukzessive ein landwirtschaftlicher Betrieb aufgebaut. Inzwischen kultivieren die Wiesmayers auf rund 17 Hektar Topinambur, Rote Rüben und Nackthafer. 

© Wiesmayer Hof
Wiesmayer Hof Hühnerstall
Es hat alles ganz klein begonnen – inzwischen leben 250 Hühner am Wiesmayer Hof.

Klein angefangen, groß rausgekommen

Und dann sind da auch noch die Hühner – noch so ein Paradebeispiel dafür, wie sich Johannes Wiesmayer das mit der Nachhaltigkeit vorstellt. „Wir haben mit sieben Hühnern am Hof begonnen, dann waren es irgendwann 23 im Familiengarten. Aber die Nachfrage ist immer größer geworden, sodass wir jetzt 250 Hühner haben, die biozertifiziert in Holzställen im Freiland leben. Das ist ein Hühnerparadies“, sagt der Landwirt und erzählt, dass die Leute am Anfang geglaubt hätten, „wir bauen da einen Campingplatz mit Tiny Houses. So schön sind die. Aus Waldviertler Holz von Waldviertler Händen hergestellt. Ich will mir keinen Stall aus Spanien kommen lassen, weil er dort billiger produziert wird. Das würde nicht zusammenpassen. Wir lassen auch die Hühner nachhaltig leben, die kriegen keine Extra-Beleuchtung, die ihnen einen längeren Tag vorspielt, damit sie mehr Eier legen. Dafür leben sie 2,5 Jahre lang und kommen nicht schon nach 14 Monaten in die Suppe wie die modernen Hochleistungshendln.“ 

„Wir müssen den Bäuerinnen und Bauern das Raunzen abgewöhnen – und den Leuten besser erklären, welchen Stellenwert ihre Lebensmittel eigentlich haben. Dann geht sich das aus.“
Johannes Wiesmayer
© Wiesmayer Hof
Wiesmayer Hof Traktor
Die Bewirtschaftung von 75 Hektar Ackerbau zählt inzwischen auch zu Johannes Tätigkeitsbereich.

Seit dem überraschenden Tod seines Bruders im vergangenen Frühjahr führt Johannes auch noch dessen landwirtschaftlichen Betrieb – eine andere Welt, klassischer Ackerbau auf 75 Hektar: „Da bin ich jetzt auch im Fahrwasser der großstrukturierten Landwirtschaft und merke, wo die Bitterkeit in der Branche herkommt. Die Bäuerinnen und Bauern sind oft wirklich die letzten in der Nahrungsmittelkette.“

Aber mit Einsatz und Gehirnschmalz wird Johannes Wiesmayer auch diese Kurve kratzen. Im nächsten Jahr will er nicht mehr Weizen fürs Lagerhaus, sondern Roggen für kleine, handwerkliche Bäckereien anbauen. „Wir müssen den Bäuerinnen und Bauern das Raunzen abgewöhnen – und den Leuten besser erklären, welchen Stellenwert ihre Lebensmittel eigentlich haben. Dann geht sich das aus.“

Johannes Wiesmayer

Johannes Wiesmayer

Drei Dinge, die du immer in Ihrem Kühlschrank hast?
Bier, Wildschinken, Butter.
Der erste Job deines Lebens?
Erntehelfer mit sieben Jahren bei meiner Tante.
Wo trifft man dich an, wenn du nicht in der Arbeit bist?
In der Gastro oder am Hochstand.
Deine kulinarische „Sünde“, die manchmal sein muss?
Käsekrainer am Würstelstand.
Wie würde ein Mitarbeiter dich beschreiben?
Lustig, korrekt, cholerisch, getaktet.

Wiesmayer Hof

Wiesmayer Hof ist Mitglied von Gaumen Hoch*

*Gaumen Hoch ist eine Gemeinschaft von Menschen aus der Gastronomie und Landwirtschaft, die sich mit ihrem verantwortungsvollen Handeln für einen gastronomischen Wandel einsetzen. Mit ihrer Mitgliedschaft leisten sie einen Beitrag, um diese Veränderung zu unterstützen. Gaumen Hoch-Mitglieder bekennen sich zu unserem Wertemanifest und werden jährlich von einer unabhängigen Zertifizierungsstelle geprüft.

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