8,2 Milliarden Menschen bevölkern derzeit den Planeten Erde. Damit hat sich die Anzahl der Erdbewohner:innen seit Mitte der 1970er-Jahre verdoppelt, gegenüber 1950 fast vervierfacht. Sie alle wollen ernährt werden, und das wird immer wieder als Hauptargument für hochtechnologisierte große Landwirtschaften verwendet. Was auf den ersten Blick logisch und folgerichtig erscheint, hat auf den zweiten aber mehr als nur einen Haken. Denn ein großer Teil der weltweiten Ackerflächen dient der Futtermittelproduktion – und die wiederum einem verschwenderischen und Fleisch-zentrierten Ernährungsstil in den wohlhabenden Regionen dieser Erde.
Dr. Thomas Lindenthal vom Fachinstitut für Biologischen Landbau (FIBL) in Österreich nennt dazu schockierende Zahlen: „Der vermeidbare Lebensmittelabfall allein in Österreich beträgt eine Million Tonnen im Jahr. Grob gesagt, wird ein Drittel der Lebensmittel in privaten Haushalten, der Gastronomie oder in Supermärkten als vermeidbarer Lebensmittelabfall weggeschmissen.“
Der Wissenschaftler hat errechnet, dass mit einer Reduzierung dieses „Abfalls“ um 25 Prozent und einer Senkung des Fleischkonsums um zehn bis 15 Prozent die gegenwärtigen Ernährungsbedürfnisse in Österreich allein vom Bio-Landbau gedeckt werden könnten: „Wenn man nur diese zwei Hebel bedient, braucht es keine industrialisierte Landwirtschaft, um die Ernährungsbedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen.“
„Wir haben kein Ernährungsproblem, sondern ein Verschwendungsproblem.“
Schutz der Böden ist geboten
Eine große Schweizer Studie kam zum selben Ergebnis wie der österreichische Wissenschaftler und seine Kolleg:innen. Aber haben diese Erkenntnisse auch außerhalb relativ kleiner Länder mit einem jetzt schon relativ großen Anteil an Bio-Betrieben Gültigkeit? Können Kleinstbetriebe und Bio-Landwirtschaften weltweit mehr sein als eine öko-romantische Utopie? Ja, glaubt Forscher Lindenthal. Weil es noch um viel mehr geht als das Beenden verschwenderischer Gewohnheiten in Wohlstandsgesellschaften, die Nahrungsmittel zum Wegwerfprodukt entwertet haben. Es geht auch um das Überleben eines Agrar-Ökosystems.
Beste Bio-Landwirtin in der EU: „Wenn etwas stimmt, dann stimmt es“
Reinhild Frech-Emmelmann, die Gründerin und Geschäftsführerin von ReinSaat in St. Leonhard am Hornerwald, über einen prominenten Preis, die Konkurrenz der internationalen Saatgut-Konzerne und die Chancen der Marktgärtnerei.
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„Hochtechnologisierte und energieintensive Landwirtschaftssysteme haben nicht die Steigerung der Resilienz von Böden, die Stabilität oder die Vielfalt des Ökosystems im Fokus – sie wollen in erster Linie ökonomisch optimieren“, kritisiert Lindenthal: „Man sagt: Wir können uns ein Jahr Bodenruhe nicht leisten, denn wir müssen Getreide oder Soja produzieren, um die Weltbevölkerung zu ernähren. Dabei braucht man es für die Tiere und, böse formuliert, für die Fütterung von Müllbergen.“
„Die Logik einer industriellen, energieintensiven Landwirtschaft baut immer auf Märkten auf und nicht auf einer langfristigen Ressourcenschonung.“
Ökologische Netzwerke schaffen
Dass die fahrlässige und rücksichtslose Ressourcenverschwendung beim Konsum keine Zukunft hat, sollte grundsätzlich einleuchten. Dass der Fleischkonsum in Industrieländern absurd hoch ist und viele der globalen Probleme mitverursacht, geht auch daraus hervor, dass von der Österreichischen Gesellschaft für Ernährung bis hin zur WHO eine Reduzierung in diesen Ländern um zwei Drittel (!) empfohlen wird.
Aber wie setzt man global die Segel in Richtung biologischer, nachhaltiger Landwirtschaft, wenn vom Saatgut bis zur Futtermittelindustrie milliardenschwere Geschäftsinteressen für heftigen Gegenwind sorgen? Auch da hat Forscher Lindenthal eine Antwort: „Man hat in den vergangenen Jahren schon gesehen, wie vulnerabel internationale Versorgungssysteme sein können. Es geht gar nicht so sehr um einen Schwenk, sondern darum, nachhaltige Ernährungssysteme weiter auszubauen und weiterzuentwickeln. Damit Knowhow, Technologien und Netzwerke da sind, wenn sie in Notzeiten gebraucht werden. Das ist eine Riesenchance für Länder wie Österreich, Deutschland, die Schweiz oder Dänemark, in denen der Bio-Landbau bereits eine große Rolle spielt. Denn wenn dann, egal wo auf der Welt, Krisen auftauchen, wird man schauen: Wo gibt es diese nachhaltigen Systeme und dieses Knowhow bereits?“
Dr. Thomas Lindenthal
Arbeitet seit 14 Jahren als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für globalen Wandel und Nachhaltigkeit an der Universität für Bodenkultur (BOKU) sowie seit 2008 am Forschungsinstitut für Biologischen Landbau (FIBL) Österreich. Seit 30 Jahren forscht und lehrt er in den Themenbereichen Nachhaltige Entwicklung, Biologische Landwirtschaft, Treibhausgas-Bilanzierung, Nachhaltigkeitsbewertung und Nachhaltige Lebensstile sowie Umweltpsychologie.