Als die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) im Jahr 2022 insgesamt 110.829 Lebensmittelproben aus den 27 EU-Mitgliedsstaaten untersuchte, stellte sie in 41 Prozent, also fast der Hälfte dieser Proben, Pestizidrückstände fest. Allerdings lagen dabei 96,3 Prozent innerhalb der zulässigen Grenzwerte. Also eh alles in Ordnung? Weit gefehlt. Denn genauso wenig wie der Nachweis von Pestizidrückständen automatisch auf eine Gesundheitsgefährdung hinweist, ist die Unterschreitung von Grenzwerten ein Unbedenklichkeitsnachweis.
Keine Grenzwerte für Pestizid-„Cocktails“
Denn diese Grenzwerte gelten immer nur für einen Wirkstoff, nicht aber für die Kombination von mehreren Substanzen. Und allein in der EU sind 455 verschiedene Wirkstoffe zugelassen. Damit tun sich gleich mehrere Problemfelder auf. Die Auswirkungen einer Mehrfachbelastung durch Pestizidrückstände sind zum einen wissenschaftlich noch nicht ausreichend erforscht, zum anderen steht das Etikett der Unbedenklichkeit auf keiner besonders soliden Basis, wenn die Grenzwerte nur für die einzelnen Wirkstoffe, nicht aber für einen „Cocktail“ gelten. Ein Beispiel: Bei der bereits erwähnten Untersuchung der EFSA wurden in einer Paprikapulver-Stichprobe 43 (!) verschiedene Pestizide festgestellt, in einer von Erdbeeren 15 und in jeweils einer von Tomaten und Wein 14.
„Pestizide haben verheerende Auswirkungen auf Bienen,
Vögel, Säugetiere und Bodenbewohner.“
Kontrolliert wird zwar regelmäßig, EU-weit wie auch national, aber die Parameter sind dabei nicht identisch, wie folgende Beispiele zeigen: Die Anzahl zugelassener Wirkstoffe ist nicht einheitlich – in der EU sind es 455, in Österreich zum Beispiel 256, in Deutschland 281. Von 54 als besonders gefährlich eingestuften Substanzen sind in Österreich 35 zugelassen, in Deutschland 37, in Ungarn sogar 49. Und auch die Grenzwerte selbst sind nicht unumstritten. Kritiker aus Umweltschutzorganisationen meinen, diese orientierten sich mehr an der konventionellen landwirtschaftlichen Praxis als am tatsächlichen Gefahrenpotenzial.
Das Geschäft mit dem Gift
Zwar wurden etliche besonders gefährliche Substanzen in Europa längst verboten, kommen aber in anderen Teilen der Welt weiterhin zum Einsatz. Denn der Handel mit Pestiziden ist ein lukratives Milliardengeschäft. Die Recherche-Plattform „Investigate Europe“ bezifferte 2019 den europäischen Markt für Pestizide mit zwölf Milliarden Euro, weltweit geht es laut Pestizid-Atlas von „Global 2000“ sogar um ein 110-Milliarden-Euro-Business.
„Über Früchte oder Soja kommen Pestizide, die in Europa längst verboten sind, wieder zu uns zurück.“
Das Deutsche Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit hat das auch mit Zahlen untermauert. Auf der Basis von 8,3 Millionen Analyseergebnissen aus knapp 22.000 Lebensmittelproben ermittelte es folgende Überschreitungsquoten bei Pestizidrückständen: 1,3 Prozent aus Deutschland, 1,5 Prozent aus anderen EU-Staaten, aber 9,8 Prozent aus Nicht-EU-Ländern. Das betraf vor allem Früchte wie Kirschen, Mandarinen, Trauben oder Erdbeeren. Dabei wurde bei einem Drittel aller Proben, und damit kommen wir wieder zum „Cocktail-Effekt“, mehr als ein Wirkstoff festgestellt.
Bio-Obst und -Gemüse weitgehend unbelastet
Die gute Nachricht kommt aber aus dem biologischen Landbau, in dem der Einsatz von chemisch-synthetischen Pestiziden verboten ist. Laut Öko-Monitoring der deutschen Verbraucherzentrale sind drei Viertel des untersuchten Bio-Obstes und -Gemüses völlig rückstandsfrei, und selbst da, wo etwas festgestellt wurde, ist das Ausmaß nicht vergleichbar. Konventionelles Obst war laut diesem Monitoring aus 2022 im Durchschnitt 76 Mal höher mit Pestizidrückständen belastet, Gemüse sogar 153 Mal.
„Pestizide verbleiben nicht am Ausbringungsort, sondern werden breitflächig verdriftet und können Schäden in der Umwelt und beim Menschen verursachen.“
Warum Bio-Ware überhaupt „belastet“ sein kann, hängt unter anderem mit dem sogenannten „Abdrift“ zusammen. Das bedeutet: Pestizide verbreiten sich über Wind und Wasser in der Umwelt und können so auch in Bio-Lebensmitteln landen. Es ist das besonders Tückische an vielen dieser Substanzen, dass sie schwer abbaubar und damit lange wirksam sind. Als das Magazin „Konsument“ einen Kürbiskernöltest machte, stieß man auf Spritzmittelrückstände von Wirkstoffen, die längst verboten waren und seit Jahrzehnten nicht mehr eingesetzt wurden. Auch das ist ein Indiz dafür, dass jene wohl nicht unrecht haben, die davor warnen, dass sich beim Menschen gesundheitliche Auswirkungen von Pestizidrückständen auch erst nach Jahrzehnten zeigen können.