Die Freude ist zwar groß, als ich Anfang Juni frische burgenländische Marillen auf dem Bauernmarkt entdecke, aber die Verwunderung auch. „Dieses Jahr ist alles bissl anders“, sagt der Gemüsehändler. „Der Spargel ist jetzt schon frühzeitig vorbei, dafür hab‘ ich die Marillen auch schon zwei bis drei Wochen früher.“ Naja, dann gibt’s eben Marillenkuchen statt Spargelrisotto.
Flexibel bleiben lautet das Motto für die Zukunft. Eine Zukunft, in der die Veränderungen des Klimas immer deutlicher spürbar werden. Josef Eitzinger, Agrarmeteorologe an der BOKU Wien, fasst die Entwicklungen zusammen: „Die Temperatur stieg in den letzten Jahrzehnten stark an. Es gibt also einen Erwärmungstrend mit gleichzeitiger Frühjahrstrockenheit. Dazu kommen Witterungsextreme, die deutlich häufiger auftreten, also Hitze, Trockenheit, Starkniederschlag und Hagel.“
Josef Eitzinger
Agrarmeteorologe an der BOKU Wien
Diese Bedingungen haben immense Folgen für die Landwirtschaft. Mit Simulationsmodellen, die Klimaszenarien imitieren, werden an der BOKU Wien die Auswirkungen auf landwirtschaftliche Nutzpflanzen analysiert und ihre Reaktionen erforscht. „Wir simulieren, wie sich diese bei ändernden Bedingungen anpassen und wie sich die Erträge verändern. Immer in der Annahme, dass es in Zukunft auch andere Sorten gibt“, sagt Eitzinger. Das Ziel dieser Forschung ist, konkrete Lösungsansätze für die Landwirtschaft zu schaffen.
„Wir simulieren in der Forschung, wie sich Nutzpflanzen bei ändernden Bedingungen anpassen und wie sich die Erträge verändern.“
Auch Wolfgang Palme, Abteilungsleiter für Gemüsebau der Gartenbauschule in Schönbrunn und Leiter der City Farm Augarten möchte in seiner Versuchsarbeit zukunftsfähige, lösungsorientierte Produktionsentwürfe entwickeln, die den Frischgemüseanbau von morgen unterstützen. Palme forscht seit drei Jahrzehnten auf der „Experimentierstation“ Zinsenhof im voralpinen Klima des Melktals und kann aus der Praxis bestätigen, was Agrarmeteorologinnen und -meteorologen sagen: Jahreszeiten verschieben sich, die Frühjahrswärme lässt Pflanzen schneller reifen, die Gefahr für frühere Randerscheinungen wie Hagel im Hochsommer, überflutende Regenfälle oder andere Extreme wird höher und die Winter gleichzeitig viel milder.
Wolfgang Palme
Abteilungsleiter für Gemüsebau an der Gartenbauschule Schönbrunn und Gründer/Leiter der City Farm Augarten
Langfristige Lösungsansätze
Die gute Nachricht zuerst: So schnell sterben Pflanzenarten nicht aus. Ihre Produktion verschiebt sich jedoch saisonal und regional. Laut Eitzinger wäre es deshalb für unsere Breiten wichtig, Sorten zu entwickeln, die einen höheren Wärmebedarf und bei Hitze gleich lange Wachstumsphasen haben.
„Schon mal Luffa-Gurken, Melothria, Kiwanos oder Schlangenhaargurken probiert? Diese Arten aus Südostasien oder Südamerika waren schon immer robuster, wir haben sie nur bisher nicht entdeckt.“
Palme gibt ein Beispiel aus seiner Versuchsarbeit mit Gurken: „Wir haben uns an unsere klassische Salatgurke gewöhnt, dabei gäbe es noch so viel mehr Sorten, die sich bei verändernden Klimabedingungen besser entwickeln würden. Schon mal Luffa-Gurken, Melothria, Kiwanos oder Schlangenhaargurken probiert? Diese Arten aus Südostasien oder Südamerika waren schon immer robuster, wir haben sie nur bisher nicht entdeckt. Wir könnten uns damit mehr Stabilität in den Sommer holen.
„Diese Exoten werden unsere klassische Gurke nicht ersetzen, aber sie können als Bereicherung dienen“, sagt der Experte. Freilich funktioniere so eine Integrierung nicht von heute auf morgen: „Bis die Vermarktungsstrukturen neuer Produkte aufgebaut sind, dauert es Jahrzehnte. Dazu kommt, dass es ein langer Weg ist, „Österreicher:innen aus Gewohnheiten rauszuführen.“ Die Produktion könne nur reagieren, wenn der Handel und die Konsumentinnen und Konsumenten mitziehen.
Wie die Landwirtschaft reagieren kann
- Mehr Vielfalt. Neue/robustere Sorten nutzen und entwickeln.
- Fokus auf Bodengesundheit legen. Fruchtfolge verändern, Bodenerosionsschutz, Biodiversitätszonen
- Saisonen verschieben und verlängern
- Den Winter nicht versäumen
- Wasserrückhaltemaßnahmen, Hagelnetze, Windschutzgürtel
Saisonalität first!
„Ich würde mir den Winter als Gemüsebäuerin oder Gemüsebauer nicht mehr entgehen lassen!“
Neben langfristig interessanten Lösungen, wie ganz neuen Sorten oder auch den Anbau von Süßkartoffeln, Oliven oder Reis aus Österreich, braucht es also zuerst kurzfristige Möglichkeiten für die Landwirtschaft. Durch eine Verschiebung der Saisonen und Optimierung der Fruchtfolge könne laut Palme hier viel erreicht werden: „Ich würde mir den Winter als Gemüsebäuerin oder Gemüsebauer nicht mehr entgehen lassen!“ Viele Gemüsearten seien viel frostbeständiger, als wir bisher angenommen haben, und durch mildere Winter würden sich ganz neue Möglichkeiten erschließen. Ein Beispiel aus Palmes Versuchen: Zuckererbsen, die im November im kalten Folientunnel gesät werden, können im April geerntet werden und machen im Boden nochmal Platz für eine ganze neue Sommerkultur.
„Ohne Saisonalität gibt es keine regenerative und zukunftsfähige Produktion von Lebensmitteln.“
Ein Punkt, der uns unmittelbar zum nächsten Faktor führt: „Saisonalität ist ein Schlüssel ökosystemischen Denkens in der Landwirtschaft. Ohne Saisonalität gibt es keine regenerative und zukunftsfähige Produktion von Lebensmitteln. Das bedeutet aber auch, dass der Ganzjahresgedanke nicht funktioniert“, sagt Palme. Gewächshäuser, die mehr Energie brauchen als Tausende Wohneinheiten, haben keinen Platz mehr: „Warmer Lebensraum ist ein Grundbedürfnis. Die Paradeiser zu Weihnachten nicht“, bringt es der Spezialist auf den Punkt.
Klar sei auch, dass Landwirtinnen und Landwirte jene Pflanzen anbauen werden, die gute Erträge erzielen. Wenn eine Getreideart ein besonders hohes Ertragsausfallrisiko hat – wie Mais – könnten Produzentinnen und Produzenten zum Beispiel auf Hirse als Ersatz ausweichen. Hier sind wir als Konsumentinnen und Konsumenten gefragt und müssen unseren Teil zu einer vielfältigen Zukunft beitragen.
„Das saisonale Konzept, wie das beim Spargel akzeptiert ist, muss in der Breite ankommen.“
Wer mit Offenheit und Flexibilität an den Lebensmitteleinkauf herangeht, ist klar im Vorteil und unterstützt die Landwirtinnen und Landwirte bei ihren Herausforderungen. Wolfgang Palme plädiert für ein System von Vorfreude, Genuss und Abwechslung: „Es geht nicht um Verzicht, sondern um einen wohltuenden Rhythmus. Das saisonale Konzept, wie das beim Spargel akzeptiert ist, muss in der Breite ankommen. Darum bin ich immer für Direktvermarktung. Im anonymen Supermarkt ist dieses Bewusstsein nicht lebbar und schwer vermittelbar.“
Wie Konsumentinnen und Konsumenten einen Beitrag leisten können
- Vielfalt schätzen und flexibel bleiben
- Saisonen und Kreisläufe leben
- Lebensmittel direkt bei Produzentinnen und Produzenten beziehen und Anonymität überwinden. Tipp: Marktgärtnereien mit einem Einkauf unterstützen!
- Offen sein für Neues