Kräuterdorf Sprögnitz, Waldviertel. Da sitzt er, der Johannes Gutmann – unverkennbar an seiner Lederhose, roter Brille und einem derart schnellen Witz, dass man zurückspulen möchte, um nichts zu verpassen. Er ist der Mann, der mit Sonnentor seit den 1980ern einen neuen Ton im Bio-Diskurs angestimmt hat. Und wer Bio heute immer noch auf ein Wohlfühllabel reduziert, hat die Rechnung ohne den Visionär vom Kräuterdorf gemacht.
Was treibt einen wie Gutmann ins Kräutergeschäft?
Gutmann ist kein Posterboy der Landromantik. Sondern ein Systemkritiker, der Bio nicht als Lifestyle, sondern als komplexes Wirtschafts- und gesellschaftliches System versteht. Für ihn sind Bio-Teebeutel mehr als Konsumprodukte – sie sind Ausdruck eines Wirtschaftens, das Ethik, Ökologie und Zukunft miteinander verknüpft. Seine zentrale Haltung lautet: „Es geht nur miteinander.“ Damit meint Gutmann, dass nachhaltiges Wirtschaften auf untrennbaren Netzwerken von Vertrauen, Verantwortung und Kooperation basiert, die jegliche Akteur:innen – von Bäuer:innen bis Konsument:innen – einbeziehen.
Was er auf seinem Elternhof lernte, geht weit über einfache grüne Phrasen hinaus:
„Der biologische Kreislauf – das ist Geben und Nehmen, Leben und leben lassen.“
Für den Sonnentor-Gründer ist dieser Kreislauf kein abstraktes Konzept, sondern gelebte Praxis, bei der Bodenfruchtbarkeit, Artenvielfalt und soziale Beziehungen untrennbar verbunden sind. Innovation beginnt für Gutmann genau hier: in der Anerkennung, dass Landwirtschaft nicht isoliert gelingt, sondern als Teil eines sozialen und ökologischen Ganzen.
Aus dieser Perspektive heraus ist es kein Widerspruch, dass die vermeintlich „provinzielle“ Herkunft des Unternehmens zur Stärke wird. Johannes Gutmann weiß: Innovation entsteht nicht allein durch Hightech, sondern durch ein tiefes Verständnis für natürliche Kreisläufe, durch Partnerschaften auf Augenhöhe mit über 1.000 Bio-Bäuerinnen und -Bauern und Lust an der Eigenständigkeit. Das bedeutet, sich bewusst gegen den Mainstream, gegen die Wachstumslogik und den hektischen Marktdruck zu stellen – und stattdessen Wirtschaftsweisen zu pflegen, die nicht nur kurzfristigen Profit, sondern langfristige Resilienz und Gemeinwohl im Blick haben.
Das Sonnentor-Prinzip: Nicht einfach „Bio“, sondern Haltung zum System
Während andere Wachstum predigen, rechnet Gutmann vor: Was bleibt am Ende für die Region, für die Bäuer:innen, fürs Gemeinwohl übrig? Über 1.000 Bio-Landwirt:innen beliefern Sonnentor – aber immer zu Bedingungen, die auf Augenhöhe verhandelt werden. Und immer mit Blick auf den Boden.
„Die Bio- Bäuerinnen und Bauern, die ticken anders. Die reden von Bodenleben und Kreisläufen. Davon, dass manche Böden tot sind und andere belebt. Und wissen: Wenn du dem Boden gibst, was er braucht, das kriegst du das wieder, was du brauchst.“
Gutmann geht’s nicht um Bio-Inflation, sondern um Kreislaufwirtschaft und die kompromisslose Orientierung an echter Qualität.
Kräuter als Statement, nicht als Deko – und warum das System nervös wird
Was in Sprögnitz abläuft, ist keine Esoterik, sondern Geschäftsethik mit harter Kante. Sonnentor steht nicht für den schnellen Hype, sondern für Transparenz in Lieferketten, faire Preise und damit auch für Kritik an der unbegrenzten Wachstumslogik des Marktes. Hier werden Trends nicht blind übernommen, sondern im Licht der Wissenschaft, Biodiversität und Bodengesundheit hinterfragt. Was bedeutet Biodiversität wirklich? Wie messbar ist Gemeinwohl – und wo liegt der Unterschied zwischen Marketing und echter Transformation?
Markt, Moral und das Märchen vom „Guten Siegel“
Sonnentor taugt nicht als Märchen für einen perfekten Bio-Kapitalismus. Die Gemeinwohlbilanz zeigt: Transparenz, Innovationskraft und Community-Anspruch stehen im Vordergrund, garantiert nachhaltig, zertifiziert, aber nie selbstgefällig. Gutmanns Bilanz ist überraschend: Wachstum ist zweitrangig, vorrangig bleibt, was für Mensch, Region und Umwelt zählt.
Vision, Kritik und die Rolle von Gaumen Hoch
Warum passt Sonnentor so gut zu den Werten der Gaumen Hoch-Gemeinschaft? Weil es hier nicht um gefällige Bio-Storys geht, sondern um kritische Fragen und Lust an ehrlicher Transformation: Wie viel Haltung verträgt der Markt wirklich? Und was kann ein visionäres Unternehmen dazu beitragen, eine nachhaltige Esskultur in Herz und Hirn der Gesellschaft zu pflanzen?
Sonnentor bleibt unbequem – und gerade deshalb relevant. Wer wissen will, wie aus einem vermeintlichen Spinner ein Systemkritiker mit Einfluss wurde, sollte den Podcast hören. Weil hier keine Wohlfühl-Bio-Märchen erzählt werden, sondern Wirtschaft und Werte am Marktplatz der Ideen neu verhandelt werden. Authentisch, hintergründig, direkt und (ja!) voller Lust auf Zukunft.
Neugierig geworden? Die Podcastfolge mit Johannes Gutmann und Alexandra Seyer-Gmeinbauer liefert noch mehr Zwischenrufe, Anekdoten und pointierte Systemkritik, die im österreichischen Bio-Diskurs wohltuend nachwirkt. Reinhören lohnt sich – für alle, die mehr wollen als den nächsten hippsten Kräutertee im Regal.
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