Für die einen die beste Erfrischung neben dem Gebirgsquellwasser auf der sommerlichen Wanderung, für die anderen die beinahe schrecklichste Vorstellung gleich nach einer ungeplanten Wurzelbehandlung: der Biss in einen Paradeiser. Wobei bei letzteren ein scharfes Taschenmesser und akkurat heruntergeschnittene Spalten zum Speckbrot schon Wunder bewirkt haben sollen. Wie so oft kommt es auch auf die Präsentation an. Die kleinfruchtige Sorte Gelbe Johannisbeere zum Beispiel ist ein Kompromiss für beide Lager.
1. Wo sagt man Paradeiser?
Tomate sagt man nicht, zumindest nicht in Ostösterreich. Den Grad an Angepasstheit von Zugewanderten an die Bundeshauptstadt erkennt man am besten im Sommer: Wird Paradeissalat serviert oder solcher aus Tomaten?

2. Woher kommen Paradeiser?
Amerika ist das Ursprungsland der Tomate. In Mittel- und Südamerika werden die Nachtschattengewächse seit mindestens 2.200 Jahren in großer Vielfalt kultiviert. Erstmals kamen Paradeiser Anfang des 16. Jahrhundert nach Europa, wurden aber lange skeptisch beäugt. Mittlerweile ist die Tomate das beliebteste Gemüse, weshalb sie das ganze Jahr über verfügbar sein soll – den Großteil des Jahres auf Kosten des Geschmacks oder der Menschen, die sie unter unwürdigen Bedingungen ernten.
Obwohl sie keine gebürtige Südeuropäerin, sondern Südamerikanerin ist, hat sich die Tomate in ihrer Wahlheimat Italien so gut integriert, dass italienische Küche ohne Paradeiser heute unvorstellbar scheint. Die alten Römer hatten ja keine Ahnung, was ihnen alles entging.
3. Wie viele Paradeisersorten gibt es?
Unzählige Paradeisersorten sind weltweit bekannt, mehrere Zehntausend dürften es sein, nur ein Bruchteil davon ist im kommerziellen Anbau. In den letzten Jahren werden aber wieder vermehrt alte, aromatische oder auch neue Züchtungen mit viel Geschmack auf den Markt gebracht, meist aus biologischem Anbau. Darunter winzigkleine süße Cocktailparadeiser, riesengroße Ochsenherzen oder ovale Eiertomaten mit viel Aroma für Saucen.
Zebra schmeckt besonders gut roh und gesalzen, vor allem, wenn es sich um die grün-gelb-gestreifte Tomatensorte Green Zebra mit ihrem feinen zitrusfrischen Aroma handelt. Zwiebeln passen wiederum nicht nur zum grünen Zebra, sondern zu allen Paradeisersorten, ob roh, in Form von Salsa oder Sugo, weich geschmort oder geröstet.
4. Was passt zu Paradeisern?
Basilikum ist nicht nur auf dem Teller der populärste Partner in Crime von Paradeisern, sondern auch im Beet. Als Mischkultur mit Basilikum und Petersilie angebaut gedeihen sie nämlich besonders gut.
Vanille passt zu Paradeisern, und zwar nicht notwendigerweise als Dessert. Die Fruchtsäuren vertragen sich gut mit dem warmen, süßen Aroma der exotischen Schote zum Beispiel auch zu Fisch, Meeresfrüchten oder Geflügel.
Kräuter. Ysop ist ebenso wärmeliebend wie die Tomate und passt mit seiner herben Aromatik behutsam dosiert wie viele Kräuter gut zu Paradeisern, ob zarte wie Basilikum oder Dill, sehr aromatische wie Minze, Majoran, Thymian oder Oregano oder besonders robuste wie Lorbeer, Salbei oder Rosmarin.
Topfen hat auf den ersten Blick nicht viel mit Tomaten zu tun, denkt man jedoch an den aus Molke, Ricotta nämlich, darf auf Gnocchi aus demselben – ob mit oder ohne Spinat – in einer Sauce aus reifen Sommerparadeisern niemals vergessen werden. Zwar kein Topfen, aber ebenso frisch und leicht ist das Schafgupferl, das in Scheiben geschnitten mit Paradeisern, Schnittlauch und Öl aus heimischen Saaten zur Alpen-Caprese wird.
Olivenöl und Tomaten sind unzertrennlich und gemeinsam mit Weißbrot beziehungsweise Weizen und Salz die Basis für zahlreiche Lieblingsgerichte: Salat, Suppe, Bruschetta, Panzanella, Sugo, Pizza. Weshalb jeder Haushalt von Welt Tomatenkonserven, Ölflaschen verschiedener Herkünfte und trockene Pasta für gute (und schlechte) Zeiten bevorratet.
Weißbrot ist der beste Freund der Tomate. Ob zum Auftunken von Salatmarinaden und Pastasaucen, geröstet als Transportmittel für gewürfelte sonnenwarme Paradeiser mit reichlich Olivenöl, ein paar Blättchen Basilikum, einem Hauch Knoblauch und Salzflocken, zum Aufsaugen der kostbaren Tomatensäfte in Form von Panzanella aus der Toskana oder Pan Bagnat aus Nizza. Und im Grunde genommen ist die altehrwürdige Pizza Marinara auch nichts anderes als holzofengebackenes Weißbrot mit Tomatensauce.
5. Wo sitzt in dem Paradeiser der meiste Geschmack?
Je nach Sorte kann die Paradeiserhaut zart und dünn, aufgeplatzt und wieder verheilt oder dick und fest sein. Je nach Verwendungszweck wird sie durch Blanchieren entfernt. Niemals wegwerfen sollte man jedoch die Samen und deren gallertiges Habitat, weil dort besonders viel Geschmack sitzt. Im Steirereck wird daraus aromatisches Paradeiserwasser gemacht: das Fruchtfleisch mit den Kernen kurz aufmixen, über Nacht im Kühlschrank in einem feinen Seihtuch abtropfen lassen.
6. Mit welchem Messer schneide ich Paradeiser?
Das Tomatenmesser mit Wellenschliff wurde nur erfunden, weil die meisten Haushalte keine Ahnung haben, wie schön das Arbeiten mit scharfen Messern mit glatter Klinge wäre, würden sie welche besitzen. Vor Beginn der Paradeisersaison im Juli empfiehlt es sich daher, die Lieblingsmesser zum Messerschleifer des Vertrauens zu bringen. Es gibt fast nichts Schöneres als eine extrem scharfe Messerklinge, die mühelos durch eine sonnenwarme Paradeiserhaut beißt und durch deren saftiges Fruchtfleisch gleitet.
7. Kann man den grünen Stielansatz der Paradeiser mitessen?
Das wohl größte Missverständnis in Sachen Tomaten ist der Geruch. Denn es ist Tatsache, dass nicht die Frucht selbst, sondern deren Grün so bezaubernd riecht. Reife Tomaten erkennt man niemals am Duft des Grüns (dafür durchaus deren Frische). Weil sich diese Erkenntnis noch nicht durchgesetzt hat, sind Rispenparadeiser einer der größten Verkaufsschlager, seit in Plastik verhüllte Glashausparadeiser mit langer Lagerfähigkeit, aber geringem Geschmack in Supermärkten zu kaufen sind. Wie bei allen Nachtschattengewächsen enthalten die grünen Pflanzenteile wie Blätter und Rispen das giftige Solanin. Daher sollten grüne Stielansätze auch ausgeschnitten werden.
8. Wie sollen Paradeiser gelagert werden?
Ein trauriges Kapitel in der Geschichte der Paradeiser. Es wäre ganz einfach: In Form von getrockneten, zu Saft gepressten, zu Sugo, Mark oder Sauce gekochten, confierten, eingelegten, zu Ketchup gekochten reifen Sommerfrüchten eignen sie sich prima als Vorrat. Aber wer braucht Tomaten, die roh wochenlang auf der Küchenfensterbank halten und dafür nach nichts schmecken?
9. Gehören Paradeiser in den Kühlschrank?
Feind und Freundin des Paradeisers. Niemals dürfen rohe Paradeiser einen Kühlschrank von innen sehen. Vor Schreck verlieren sie ihr Aroma und versteifen sich vor Kälte zu mehliger Unappetitlichkeit. Wohingegen sie sich in gegarter Form – ob ganz, gehackt oder püriert – in Dosen, Gläsern und Flaschen gut aufgehoben fühlen. Vor allem in der Zeit von Oktober bis Juni, in Form von Ketchup ganzjährig.
10. Wie pflanzt man Paradeiser selbst an?
Saatgut kann aus samenfesten Paradeisern ganz einfach selbst aus den besten Früchten der Pflanze gewonnen werden oder bei Betrieben und Vereinen, die sich der Nutzpflanzenvielfalt verschrieben haben (wie Arche Noah oder ReinSaat) in überwältigender Vielfalt bestellt werden. Ein einfacher und lehrreicher Weg zu mehr Ernährungssouveränität im Hausgarten.
11. Wann sind Paradeiser reif?
So einfach und doch so ein Luxus. Dürfen Paradeiser von untadeliger Herkunft (sprich: einer Sorte, die grundsätzlich mehr Aroma als Schalenfestigkeit und Lagerfähigkeit mitbringt) an der Rispe ausreifen und werden sie im Idealfall sonnenwarm verarbeitet, taugen sie als Definition des überstrapazierten Begriffes „reif“. Leider gilt das nur von Juli bis September und nur für einen kleinen Teil der im Handel erhältlichen Früchte.
12. Haben Paradeiser umami?
Umami ist ein weitgereistes Wort, das die weltweite Attraktivität der Tomate erklären hilft. Sie ist diesbezüglich nämlich ziemlich potent: Sie verschafft vor allem in konzentrierter Form von Tomatenmark, lang gekochten Saucen oder getrockneten Paradeisern zu dem würzigen Wohlgeschmack, der fünften Grundgeschmacksrichtung umami, die der Japaner Kikunae Ikeda 1908 erstmals beschrieben hat.
13. Was ist eine Gazpacho?
Gazpacho wurde zur Zeit ihrer Erfindung von spanischen Bauern während der heißen Erntesaison möglicherweise nur aus den damals bekannten Gurken gemacht, heute ist sie ohne reife Paradeiser undenkbar. Die rohe, rein pflanzliche, niemals mit Kräutern oder gar Fond verhunzte dickcremige Suppe mit reichlich Olivenöl bietet in Flaschen im Kühlschrank bevorratet jeder Hitzewelle Paroli.
14. Was ist Caprese?
Caprese ist das Codewort für eine famose Sommermahlzeit, wenn die Qualität der Zutaten stimmt: reife, sonnenwarme Paradeiser einer aromatischen, nicht zu wässrigen, aber auch nicht zu mehligen Sorte mit ausgewogenem Süß-Säure-Verhältnis (Farbe egal), frischer Büffelmozzarella aus einem Betrieb, in dem die Tiere anständig gehalten werden, Sekunden vor dem Servieren vom Strauch gezupfte Basilikumblätter (Sorte nach Wunsch) und reichlich bestes Öl (das nicht zwangsweise von der Olive stammen muss, auch mit Sonnenblume, Distel oder Raps funktioniert der Klassiker). Salzflocken obendrüber und basta. Nein, kein Balsamico. Ja, viel Weißbrot.