Die Artischocke stammt über den Umweg der Kardone (oder Carde) von der Distel ab. Sie ist der Inbegriff einer essbaren Blüte, deren Knospen ganz und gar verspeist oder Blatt für Blatt gezupft, getunkt, gelutscht und mit allerlei Ergänzendem verzehrt werden. Lässt man sie wachsen, aufgehen und erblühen, verwandelt sie sich in ein skulpturales Kleinkunstwerk von seltener Schönheit. Ihre strahlend blaue Farbe und der honigsüße Duft betören nicht nur Insekten.
Alle Disteln sind essbar
Am Anfang war also die Distel. Und tatsächlich ist dieser Inbegriff des stachelig wehrhaften Gewächses essbar. Mariendistel, Kratzdistel, Eselsdistel – sie alle lassen sich verzehren, finden sich in diversen Wildkräuter-Blogs oder naturheilkundlichen Ratgebern. Dabei verwendet man, wie letztlich auch bei Kardone und Artischocke, wahlweise Teile der geschälten Stängel oder die Blüten. Ihre Heilkräfte werden gerühmt, sie hilft der Leber, stärkt das Herz und reinigt das Blut, so steht’s zu lesen. Fähigkeiten, die sie übrigens mitsamt dem Bitterstoff Cynarin an ihre Nachfahren weitergegeben hat.
Die Distel im Garten. Die Artischocke, Cynara cardunculus, gehört zur Familie der Korbblütler. Will man sie im Garten pflanzen, empfiehlt sich eine Vorkultur ab Mitte Februar, Mitte Mai kann man sie ins Freiland setzen. Man kann sie auch in Töpfen ziehen, sie braucht einen sonnigen, warmen Standort und sollte gut mit Kompost versorgt werden. Die Blütenknospen können etwa ab Ende August geerntet werden. Zu den häufigsten und am besten an unsere Breiten angepassten Sorten gehören „Green Globe“ oder die „Grüne von Laon“, die allerdings unbedingt Winterschutz braucht.
Feuer unterm Hintern
Artischocken hatten durch die Jahrhunderte auch den Ruf, aphrodisierend zu wirken. So sind etwa Rezepte von Madame du Barry überliefert, die Artischocken-Gerichte für ihren Liebhaber, den alternden Ludwig XV., zubereiten ließ. Und wollen die Franzosen jemandem nachsagen, dass er sich allzu leicht verliebt, so hat er „un cœur d’artichaut“ – das Herz einer Artischocke. Auf Pariser Märkten wird die Artischocke auch heute noch gern folgendermaßen angepriesen: „Artischocken für den Herrn und für die Dame! Sie erwärmen Herzen und Seelen. Und machen Feuer unterm Hintern!“
Artischocken aus Österreich
Eigentlich ist Madame Gemüsekönigin ja vor allem dort daheim, wo die Winter warm und gemäßigt sind und Frost ein seltenes Fremdwort ist. In Italien, Frankreich oder Spanien, den europäischen Hauptanbaugebieten, ist das Winterhalbjahr die Saison der Artischocken. In Österreich wurde die Artischocke – wie übrigens auch der ähnlich erlesene Safran – eine Zeitlang tatsächlich auch kultiviert. Überall dort, wo Wein wächst, ist schließlich auch das passende Klima für die so besondere Speisedistel. Bei uns war und ist aber natürlich nicht Winter, sondern Sommer die Zeit der violett schimmernden Knospen.
„Ich habe sie für mich in unserem privaten Gemüsegarten angebaut, einfach weil ich sie so gern gegessen hab.“
Kultivierung im Weinviertel
Heute ist es vor allem dem Engagement eines Weinviertler Familienbetriebes zu verdanken, dass Artischocken hierzulande wieder kultiviert werden. Ab dem Hochsommer geerntet, haben sich die Delikatess-Knospen, die von Familie Theuringer in Raasdorf angebaut werden, zu einer begehrten Spezialität entwickelt. Auf die eine wachsende Fangemeinde aus Spitzengastronomie und Privatkundschaft jedes Jahr sehnsüchtig wartet. Auch ein eigenes Kochbuch mit zum Teil historischen oder auch ganz persönlichen Lieblingsrezepten ist bereits entstanden.
Juniorchefin Stephanie Theuringer hat den Artischocken-Anbau in Raasdorf im Marchfeld vor rund 15 Jahren gestartet. Am Beginn des Unterfangens stand dabei mehr oder weniger der Zufall: „Ich habe sie für mich in unserem privaten Gemüsegarten angebaut, einfach weil ich sie so gern gegessen hab.“ Das „Anfängerglück“, wie sie es nennt, war ihr dabei mehr als hold. Und so wurde aus der gnädigen Ernte des Erstversuches mittlerweile ein Erfolgsprojekt in der Größenordnung von mehreren Hektar. Gut 30.000 Jungpflanzen werden inzwischen pro Saison gesetzt.
Die Auswahl der geeigneten Sorte ist entscheidend – mittlerweile hat man sich in Raasdorf auf etwa vier Sorten spezialisiert, die für kältere Klimaregionen geeignet sind und auch bereits im ersten Jahr Erträge bringen. Jahr für Jahr wird zusätzlich auch anderes versuchsweise ausgesetzt.
Artischocken bis in den Herbst hinein
Den Sommer über wartet dann die nächste Herausforderung: die Hitze. Artischocken gedeihen am besten in feuchtem, mildem Klima. Die perfekte Saison sollte warm sein, keinesfalls zu heiß und schon gar nicht trocken. Die wasserarmen Sommer der letzten Jahre haben Theuringer daher dazu bewogen, die Phasen des Ausbaus – und damit auch der Ernte – zu staffeln. Die Pflanzen werden in mehreren Sätzen gepflanzt, was die Gefahr des Ausfalls durch große Hitzeperioden einerseits verringert, und andererseits „die Saison weiter in den Herbst ausdehnt.“ Gute Nachrichten eigentlich.
Nur keine Scheu
Besonders die Spitzen-Gastronomie, hier allen voran jene wachsende Gemeinde an Küchenchefinnen und -chefs, die regionalen und nachhaltig hergestellten Lebensmitteln den Vorzug geben, schätzt die Artischocken made in Austria über alle Maßen.
Auch zahlreiche Ab-Hof-Kunden finden sich Jahr für Jahr in Raasdorf ein. Meist sind es erklärte Fans der Artischocke, „Neueinsteiger“ sind etwas weniger dabei. Erstaunlich eigentlich, denn sowohl Handhabung als auch die Zubereitung der vielblättrigen Knospe sind eigentlich keine große Hexerei.
„Vielleicht haben viele immer noch ein bisschen Scheu vor der Artischocke.“
Was uns fehlen mag, ist wohl der Bezug zu einer traditionellen Familienküche oder auch zum eigenen Gemüsegarten. Theuringer: „Vielleicht haben viele immer noch ein bisschen Scheu vor der Artischocke. Die Menschen, die bei uns einkaufen, haben jedenfalls meistens eine ganz spezielle Beziehung und fast schon eine persönliche Geschichte, die sie mit dem Gemüse verbindet.“ Eine Großmutter aus Kroatien, Erinnerungen an erste Italienreisen oder Ausflüge in den Maghreb – wo bis heute übrigens die stachelige Wildform als „Akkoub“ zubereitet wird.
Und auch für Stephanie Theuringer selbst waren’s schließlich erste persönliche Geschmackserlebnisse, die sie Jahre später mit dem Anbau des edlen Gemüses beginnen ließen. „Wir waren in meiner Kindheit öfter bei Freunden in der Nähe von Padua auf Besuch. Da hab ich irgendwann von den ganz jungen Artischocken probiert. Die haben noch kein Heu, und man isst sie im Ganzen – sehr kindgerecht sozusagen. Mit dem Ergebnis, dass ich von Anfang an von Artischocken begeistert war, und sie immer wieder essen wollte.“