„Wir haben oft eins auf den Deckel gekriegt“, sagt Johannes Hirsch. Klar, das glaubt man dem sympathischen Winzer sofort. Sein Weingut Hirsch im malerischen Kamptal hat in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder Entscheidungen getroffen, die das Weinland Österreich mit Kopfschütteln quittiert hatte.
Andererseits: Im Nachhinein betrachtet waren es genau diese Entscheidungen, die aus diesem Weingut eines der schillerndsten des Landes machten. Nirgendwo werden hierzulande dermaßen straffe, mineralische und herkunftsbetonte Rieslinge und Grüne Veltliner in die Flaschen gefüllt wie hier. Wie das geht? Durch viel Sturheit und Eigensinn. Aber auch viel Mut zu Neuem. Durch folgende 6 mutige Schritte.
1. Tausche Böden gegen Mist
Bereits Ende der 1970er-Jahre nahm das Weingut eine Vorreiterrolle ein. „Mein Vater hatte einen unglaublichen Weitblick, weil er sich damals dazu entschlossen hatte, Ackerböden einem Bio-Bauern zu geben – und von ihm im wahrsten Sinne des Wortes Scheiße dafür zu bekommen“, erinnert sich Hirsch ganz unzweideutig.
„Mein Vater hatte einen unglaublichen Weitblick. Er gab einem Bio-Bauern Ackerböden und bekam dafür Scheiße.“
Und präzisiert: „Bei diesem Bio-Bauern handelte es sich um den großen Käser Robert Paget, der uns bis heute mit dem Mist seiner Büffel und Ziegen versorgt. Aus diesem Bio-Mist begann mein Vater damals, vollkommen natürlichen Dünger für unsere Weinberge herzustellen. Viele hielten meinen Vater damals für verrückt, weil diese ganzheitliche und durchaus aufwendige Form der Bewirtschaftung das Vierfache von den konventionellen Düngemitteln kostete. Aber heute wissen wir, wie wichtig diese Entscheidung war.“
Hirsch schwärmt von seinen gesunden Böden, die sich auch in besonders trockenen Jahren – wie etwa 2015 – als besonders robust und wasserresistent erweisen. Auch im Zuge der Umstellung auf Biodynamie im Jahr 2007 sprang dem Berater, der die Böden genau auf ihre Gesundheit hin prüfte, ihre beeindruckende Qualität ins Auge. Kein Wunder: Zu diesem Zeitpunkt wurden diese Böden bereits seit 27 Jahren mit wertvollem Bio-Dünger versorgt.
„Viele hielten meinen Vater damals für verrückt.“
Auch im Rahmen vieler Untersuchungen wurde seinen Böden eine beeindruckende Qualität attestiert – eine, die nur durch jahrzehntelanges natürliches Hegen und Pflegen erreicht werden kann. Überhaupt: Wenn es ein Weingut gibt, das in seine Böden und Einzellagen vernarrt ist, dann das Weingut Hirsch. „Rebsorten sind ja lediglich dazu da, Terroir zu transportieren“, ist Johannes Hirsch überzeugt.
2. Feiere die Herkunft noch mehr als die Sorte
Womit wir auch schon bei der nächsten „Verrücktheit“ sind, für die die Winzerfamilie eins auf den Deckel bekommen hatte: 1995 prangte auf dem neuen Etikett die Herkunft doppelt so groß wie die Rebsorte. Klingt heutzutage ja ziemlich normal. War es damals aber ganz und gar nicht. Genau diese sture Terroirbesessenheit führte wenige Jahre später dann auch zum nächsten unerwarteten Schritt.
3. Weiß statt Rot
Inmitten des Rotweinbooms, durch den auch in Niederösterreich massenhaft rote Rebsorten gepflanzt wurden, rodete Johannes Hirsch seine roten Reben – und setzte alles auf Riesling und Grünen Veltliner. „Auch das haben viele zunächst nicht verstanden“, sagt er.
4. Mut zu Weinen mit Drehverschluss
Wobei der radikalste Schritt seiner bisherigen Laufbahn noch ausstand: Als erstes Weingut Österreichs führten die Hirschs im Jahr 2003 mit dem Jahrgang 2002 den allseits geschmähten Drehverschluss ein – und begannen ausgerechnet mit allen Riedenweinen, bevor sie ein Jahr später den Drehverschluss auf das gesamte Sortiment ausweiteten.
„Es wurde sogar zum Boykott meiner Weine aufgerufen!“
„Es wurde sogar zum Boykott meiner Weine aufgerufen!“, erinnert sich Hirsch, der heute natürlich darüber lachen kann. „Ich habe nie verstanden, warum man ein Produkt, in das jedes Jahr so viel harte Arbeit in Garten und Keller hineingesteckt wird, mit etwas verschließen soll, von dem man – eben wie beim Kork – nicht wirklich abschätzen kann, wie es sich entwickelt!“
5. Weltweiter Vertrieb, jedoch nicht im Supermarkt
Doch die leidige Diskussion rund um den Drehverschluss ebbte bald schon ab – weil das, was in den Flaschen steckte, für viel mehr Gesprächsstoff sorgte. Und das nicht nur in Österreich, sondern weltweit. Denn Hirsch-Weine gibt es heute in den besten Häusern der USA, Japans, Englands oder Skandinaviens. Wo es die Weine jedoch nicht gibt: im Supermarkt. Denn dafür ist Johannes Hirsch die Zusammenarbeit mit der Gastronomie zu wichtig. Und das mit gutem Grund: Seine Rieslinge und Grüne Veltliner sind durch ihre Leichtigkeit und Lagerfähigkeit begehrte Speisebegleiter in den besten Restaurants weltweit.
6. Mach deine Böden schmeckbar
Aber auch für die die Betreuung der Privatkunden und -kundinnen ab Hof nimmt sich der Winzer immer ausführlich Zeit. Der Blick vom Verkostungsraum hat dabei etwas geradezu Surreales: Mit Panoramablick auf einige der ikonischsten Lagen des Kamptals wie etwa Ried Heiligenstein-Rotfels, Gaisberg oder Lamm können dort die unterschiedlichen Bodenbeschaffenheiten im Glas präzise herausgeschmeckt werden.
Die biodynamische Bewirtschaftung der Weingärten, die relativ frühe Lese von Hand mit mehreren Durchgängen, die traditionelle Vinifizierung, im Zuge derer ausschließlich spontan mit weineigenen Hefen vergärt wird – das alles bringt Terroir-Weine von seltener Präzision mit großem Lagerpotenzial hervor.
Letzteres übrigens gerade auch wegen des Drehverschlusses. Und genau dieser steht mittlerweile fast schon symbolisch für die DNA dieses Weinguts, das übrigens eines der Gründungsmitglieder von respekt-BIODYN* ist: Um etwas Zeitloses zu erschaffen, muss man manchmal seiner Zeit eben voraus sein.
*respekt–BIODYN ist ein Verein, dem international renommierte Weingüter aus Österreich, Deutschland, Italien und Ungarn angehören.