Ähm – und wo, bitte schön, sollen in diesem sterilen Raum jetzt all die Bakterien und Pilze wuchern? „Na, überall!“, antwortet Lukas Nagl. Der Küchenchef des renommierten Restaurant Bootshaus, das rund 20 Minuten von hier entfernt liegt, zeigt auf einige unscheinbare Behälter – und auf eine raumkapselartige Zelle. „Das ist unsere Wärmekammer“, erklärt er. „Die haben wir selbst gebaut, weil wir die aus Japan nicht importieren konnten. Lange Geschichte.“

Wir befinden uns im Gewerbepark in Timelkam, einem Kaff inmitten der oberösterreichischen Pampa. Hier forschen Lukas Nagl, die ausgebildete Designerin Christine Brameshuber und der Lebensmitteltechnologe Viktor Gruber nach neuen Geschmäckern. Das bedeutet: Sie „adaptieren“, wie sie sagen, „fernöstliche Fermentationstechniken auf regionale Produkte“. Unter dem Namen Luvi Fermente haben sie in den vergangenen Jahren in Österreich für ordentlich Furore gesorgt: mit Bio-Miso aus Mohn oder Gerstl, Garum aus Süßwasserfisch oder Pilzen und Sojasaucen aus Kürbiskernkuchen und Einkorn. Das Ziel ist für Lukas klar: „Ich will, dass unsere Produkte in jeder Küche als etwas Unverzichtbares gelten, genauso wie die besten Essige oder Öle des Landes – die hat auch jeder, egal ob als Privatperson oder als Restaurant, immer griffbereit.“ So ambitioniert dieses Ziel auch klingt – wer sich einmal durch die umamireiche Bandbreite von Luvi Fermente gekostet hat, weiß: So unrealistisch ist das nicht.
Bootshaus im „Das Traunsee-Das Hotel zum See“
Das Bootshaus hat sich in den vergangenen 15 Jahren zu einem der besten Restaurants Österreichs entwickelt – und gilt heute zu Recht als eines der innovativsten des Landes. Das liegt auch, aber nicht nur, an Lukas Nagls „Alles für die Fisch“-Credo.
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Fermentation verbindet
Die Idee, asiatische Geschmackssphären aus regionalen Grundprodukten zu fermentieren, konkretisierte sich im Jahr 2019. „Ich habe mich davor zusammen mit Christine schon intensiv mit dem Fermentieren beschäftigt, das ist seit Langem meine Leidenschaft, und als wir den Lukas kennengelernt haben, der damals schon sein Garum machte, war klar, dass wir uns fürs Fermentieren zusammentun müssen“, erinnert sich Viktor.
Alles, was es brauchte, war eine Struktur, heißt: ein Ort, an dem das Trio seine Fermentationsvisionen umsetzen konnte. Seit Herbst 2023 kann es das genau hier, in dieser auf den ersten Blick so sterilen Produktionshalle. Womit wir auch bei dieser raumkapselartigen Wärmekammer wären. Was hat es damit auf sich?
Shoyu don’t know?!
Sie besteht zum Großteil aus einer Wanne, die gefüllt ist mit etwas, das auf den ersten Blick wie trockene Erde aussieht. Hier fermentiert eine Mischung aus Bio-Kürbiskernpresskuchen aus Niederösterreich und Bio-Weizen aus dem nahegelegenen Regau mit dem Koji-Pilz vor sich hin. Beim Koji-Pilz handelt es sich um einen japanischen Edelschimmelpilz, der Stärke und Proteine in Zucker und Aminosäuren umwandelt. Dadurch entsteht umamireiches Aroma, wie wir es etwa von Sojasaucen kennen. In diesem Fall benutzt ihn das Trio, um einen seiner Bestseller zu produzieren: die Kürbiskern-Shoyu, eine, wenn man so will, österreichische Alternative zur Sojasauce.
Nach dem Bestreuen mit dem Koji-Sporenpulver bildet sich jetzt, 24 Stunden später, ein leichter, weißer Film. „Nach circa 40 Stunden kommt die Masse draußen in eine Salzlake und reift mehrere Monate“, erklärt Christine. „Anschließend wird sie gepresst, dadurch entsteht die fast fertige Shoyu. Sie muss sich dann nur noch ‚ausruhen‘ und liegt dafür nochmal mehrere Monate in unseren Behältern, um runder zu werden.“ Das Ergebnis: Eine dunkle Flüssigkeit feinsten Umamis mit subtilen Nussaromen, die den Geschmack von Sojasauce neu interpretiert. Nicht minder spektakulär sind aber auch die anderen Kreationen dieser drei Umami-Jäger:innen.
Probiotische Geschmacksrevolutionen
Da wäre etwa das Miso aus Bio-Sojabohnen und Bio-Reis: eine helle Paste mit erstaunlichen Ananas-Aromen, die das Umami-Erlebnis auf ein neues Level hieven. Oder das Bio-Brotmiso, das aus Vollkorn-Natursauerteig-Brot fermentiert wurde und ein Wunderding an Umami-Malzigkeit ist. Oder die „Bio Liquid Shio Koji“, ein salzig-süßes Elixier aus mit Koji fermentiertem Reis, Wasser und Salz. All diese Kreationen sind vielseitig einsetzbar – in Saucen, Eintöpfen, auf (rohem) Fisch, ja sogar in Desserts, wo sie ihr Umami oft etwas Karamelliges entwickelt.
Dass all dieses Fermentierte hierzulande für neue, derart vielschichtige Geschmackserlebnisse sorgt, liegt laut Lukas auch daran, dass es nicht pasteurisiert wird. „Dadurch sind unsere Produkte nicht nur gesünder, weil probiotischer, sondern auch viel fruchtiger und komplexer“, erklärt er. Wie gesagt: So abwegig ist sie wirklich nicht, diese Vorstellung, dass all diese Misos und Shios bald zum Grundinventar einer jeden österreichischen Küche gehören könnten …