Katharina Gessl

Katharina Gessl zeigt, wie man Herkunft neu denkt – international, kompromisslos, biologisch und ganz ohne „Hudln“.
Katharina Gessl
© Franzi Stegemann

Montreal oder Tokio. Hauptsache Weinviertel

von Felix Moßmeier

Es begann alles mit einem Fragebogen. Welche Farbe passt zu meinem Charakter? Welches Outfit beschreibt ihn? Welches Land? Welches To-go-Essen? Fragen über Fragen. Ein Fragebogen eben. Aber was hat das mit Wein zu tun? Alles – zumindest, wenn man Katharina Gessl fragt.

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Katharina Gessl

2021 sendete sie eben diesen Fragebogen an Bekannte und Verwandte, aber auch Menschen, die sie erst einmal in ihrem Leben gesehen hatte. Die große Frage über allem: „Wie nehmen mich Außenstehende wahr?“ Herausgekommen ist eine Marke, die gemeinsam mit der Winzerin wachsen kann, denn „ich möchte mit 45 kein Weingut führen, bei dem ich mich frage, wie jung und naiv ich bei der Gründung war.“

Aber von Anfang an. Die Geschichte der jungen Winzerin beginnt weit früher, lange bevor Fragebögen, Pinterest-Boards und Markenstrategien Teil ihres Alltags wurden. Katharina Gessl wächst als mittleres von drei Kindern im Familienbetrieb auf, der im Weinviertler Zellerndorf das Zweigespann aus Ackerbau und Weinbau betreibt. Fünf Generationen Geschichte, aber kein vorgezeichneter Weg. Ihre Eltern Alois und Margit – selbst früh in Verantwortung stehend – wollten diesen Druck nie weitergeben. „Schaut euch die Welt an, kommt heim, wenn ihr wollt – aber ihr müsst nicht.“ Ein Satz, der sich tief einprägt. Freiheit, die Flügel verleiht.

Vom Weinviertel in die Welt

Und so fliegt Katharina, getreu ihrer Philosophie „S’Leben leben. Nur ned hudln“ los: Tourismusschule, Sommelière, der Bachelor in „International Wine Business“. Praktika in Deutschland, internationale Kommiliton:innen, der erste Kontakt zur strategischen Seite eines Weinguts. Der Wein ist immer da – vielleicht zu selbstverständlich? Sie geht bewusst weg vom Gewohnten, absolviert in den Niederlanden einen Master in „Content & Media Strategy“, schreibt Strategien für Konzerne und erkennt gerade dadurch, was ihr wirklich fehlt: der Wein. Und damit verbunden auch das Arbeiten mit den Händen. Also doch.

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Katharina Gessl
„Schaut euch die Welt an, kommt heim, wenn ihr wollt – aber ihr müsst nicht“, sagten einst Katharinas Eltern – vielleicht kam sie gerade deshalb wieder zurück ins Weinviertel.
„Meine Eltern haben immer gesagt: Wenn euch etwas wichtig ist, dann zieht eure Vision durch – wir unterstützen euch.“
Katharina Gessl

2021 kehrt sie nach Zellerndorf zurück – ohne Verpflichtung, aber mit einer neuen, klaren Idee. Der Familienbetrieb, seit 2009 biologisch geführt, bietet ideale Voraussetzungen. „Meine Eltern haben immer gesagt: Wenn euch etwas wichtig ist, dann zieht eure Vision durch – wir unterstützen euch.“ Doch statt einzusteigen, gründet sie ihr eigenes Weingut: „Katharina Gessl“. Keine Unterlinie, kein „Junior“-Label, sondern ein eigenständiges Projekt mit eigenem Stil. Zweieinhalb Hektar, vier Weingärten und das Versprechen, keine Kompromisse einzugehen. „Ich wollte etwas schaffen, das zu mir passt – mit 25 genauso wie mit 45.“

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Katharina Gessl
Verspielt sind nur die Etiketten – in die Flasche füllt Katharina kompromisslosen Purismus.
„Bei mir liegt der Hauptfokus auf den Trauben. Ich will sie so, wie ich sie ernte, in die Flasche füllen.“
Katharina Gessl

Vom Hawara und dem Gspusi

Ihr Zugang zum Wein ist puristisch, naturverbunden und präzise. Die besten Trauben sind für sie nicht nur Voraussetzung, sondern Haltung. „Bei mir liegt der Hauptfokus auf den Trauben. Ich will sie so, wie ich sie ernte, in die Flasche füllen.“ Im Keller passiert so wenig wie möglich – und wenn, dann bewusst. „Je weniger ich im Keller mache, desto genauer muss ich draußen arbeiten.“ Keine Schönung, kein Hinbiegen eines Jahrgangs. „Ich habe so wenige Chancen in meinem Leben, einen Wein zu machen. Jede Lese zählt. Das muss wertgeschätzt werden.“

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Katharina Gessl
Hawara, der treue Begleiter, die Gummistiefel auf dem Etikett des Grünen Veltliner sind nicht zufällig gewählt.

Diese Haltung spürt man in ihren Weinen: klar, direkt, charakterstark. Namen wie „Hawara“, „Gspusi“ oder „Schlingel“ erzählen Geschichten aus dem Weinviertel – verständlich für den Opa im Wirtshaus, charmant für die Sommelière oder den Sommelier in Montreal oder Tokio. „Ich wollte Weine machen, die ich selbst gerne trinken würde – und die man versteht, ohne ein Wörterbuch.“ Weinviertel – Deutsch; Deutsch – Weinviertel ausgenommen.

Geschichten, die erzählt werden müssen

Denn Katharina Gessl limitiert sich nicht selbst. Sie reist mit ihren Weinen um die Welt, steht auf Messen in Kanada, erklärt in Japan den Begriff „Spompanadeln“, den zugegeben auch in Österreich nicht jede:r direkt versteht, und füllt in New York Gläser mit Weinviertler Identität. Über 20 internationale Märkte bedient sie inzwischen. „Ich will die Flaschen zu den Menschen bringen, die ein Produkt wertschätzen, in dem ein Jahr Arbeit steckt.“ Drei Jahre bei Wine & Partners haben sie geprägt: Markenbildung braucht Konstanz. „Jede Geschichte bringt nichts, wenn sie nicht erzählt wird. Und man muss sie so lange erzählen, bis man sie selbst nicht mehr hören kann.“

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Katharina Gessl
Ihre Weine vertreibt die Weinviertlerin inzwischen auf mehr als 20 Märkten weltweit.
„Für mich ist Bio die Basis. Aber es geht weiter: um Bodenpflege, um Biodiversität, um Zukunftslagen.“
Katharina Gessl

Wer sie beeinflusst? Menschen mit Haltung, wie sie sagt. Frauen, die kompromisslos ihren Weg gehen – allen voran ihre ehemalige Arbeitgeberin Dorli Muhr. „Egal, was links und rechts passiert – sie zieht durch.“ Und Produzentinnen wie Sarah Schmolmüller von den Dirndln am Feld, die „Landwirtschaft neu denkt“. Denn Nachhaltigkeit bedeutet für Katharina nicht nur Bio-Zertifizierung. „Für mich ist Bio die Basis. Aber es geht weiter: um Bodenpflege, um Biodiversität, um Zukunftslagen.“ 

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Katharina Gessl
„S’Leben leben. Nur ned hudln“, ist Katharina Gessls Motto.

Und so geht Katharina Gessl, dem Naturprodukt Wein verschrieben, ihren Weg. Ein Weg, nicht geerbt, sondern geformt und der Beweis, dass Herkunft das beste Fundament für Neues sein kann. So wächst ihr Weingut Jahr für Jahr – nicht nur in Hektar, sondern in Persönlichkeit. Eben „S’Leben leben. Nur ned hudln.“ Ein Motto, das sich durchzieht – vom ersten Fragebogen bis in jeden einzelnen Jahrgang. 

Katharina Gessl

Katharina Gessl

Welchen Beruf hättest du ergriffen, wenn du nicht Winzerin geworden wärst?

Profisurferin.
Ein Geschmack deiner Kindheit?

Bei der Oma Rindfleisch mit Semmelkren.
Drei Dinge, die du immer in deinem Kühlschank hast?

Butter, Oliven, selbstgemachte Marmelade von Mama.
Der wichtigste Rat, den du in puncto Wein je bekommen hast?

Nur ned hudeln. Es gibt in kaum einem Bereich, wo das wichtiger ist als beim Weinmachen.
Ein Lieblingswein, den du selbst gemacht hast?

Schmähtandler, ein Grüner Veltliner und Hauswein von Felix Schellhorn im Seehof Goldegg.

Katharina Gessl ist Mitglied von Gaumen Hoch*

*Gaumen Hoch ist eine Gemeinschaft von Menschen aus der Gastronomie, der Landwirtschaft, aus dem Weinbau, der Hotellerie, dem Lebensmittel-Verkauf und der -Verarbeitung, die sich mit ihrem verantwortungsvollen Handeln für einen gastronomischen Wandel einsetzen. Mit ihrer Mitgliedschaft leisten sie einen Beitrag, um diese Veränderung zu unterstützen. Gaumen Hoch-Mitglieder bekennen sich zu unserem Wertemanifest und werden jährlich von einer unabhängigen Zertifizierungsstelle geprüft.

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