„Das Wasser hier bei uns im Ort ist der Grund, warum ich wieder nach Hause gekommen bin“, sagt Klemens Gold, der genug von der Welt gesehen hat, um zu wissen, was er an diesem Wasser und an diesem Zuhause hat:
„Ich habe hier meine eigene Quelle“, schwärmt Gold, und das ist nicht nur wichtig, es ist entscheidend, denn: „Ich starte bei allem, was ich mache, immer mit dem Wasser. Kochen beginnt nicht mit dem Semmelknödel, sondern mit dem Wasser. Es ist überall Wasser drinnen, in einer Gurke genauso wie in einem Stein. Sobald ich das Wasser verstehe, verstehe ich die Temperaturausbreitung beim Kochen, die Mikrobiologie der Produkte und ihrer Zubereitung.“
Fuchs und Hase, Krause Glucke und Tahiti-Vanille
Das Wasser, von dem Gold da so schwärmt, entspringt im oberösterreichischen Großraming, Ortsteil Pechgraben, einer doch etwas entlegenen Gegend am Rand der nördlichen Kalkalpen, auf halbem Weg zwischen Steyr und Weyer, wo die Ortschaften schon eher mehr Siedlungen sind und die Leute stolz und ein bissl eigen.
Fuchs und Hase, genau. Nicht die erste Adresse, an die man denkt, liest man die Speisekarte von Klemens Golds Restaurant „Rau“: zur Vorspeise eine Sardine mit Kräuterhummus, Malabarspinat und Verjus; später Wilder Brokkoli mit Curry und geräucherter Mandel; schließlich Krause Glucke im Orangensaft mit Tahiti-Vanille, Seidentofu, Dörrobst und Zedernkernen. Und ja, das ist ein Dessert.
Klemens Gold nennt das, was er da im „Rau“ macht, „nature based cuisine“, und er denkt sehr viel über dieses Prinzip nach, es ist ein Handwerk, eine Kunst, aber auch eine Philosophie. „Es geht mir darum, die Natur einer Speise zu erkunden. Die Natur einer Eiscreme ist, kalt zu sein. So wie die Natur der Pechgrabler ist, im Winter Eisstockschießen zu gehen.“
„Nature based heißt für mich nicht nur Respekt vor den Produkten, sondern auch Respekt gegenüber den Leuten.“
„Wir haben hier eine Luftfeuchtigkeit wie in Taiwan“
Der Name seines Restaurants ist natürlich Programm: Rau ist die Natur, rau sind auch die Menschen in dieser Gegend, aber sie sind es in einem guten Sinn, weil sie hier eben sehr direkt, aber eben ehrlich miteinander umgehen. „Die sagen nicht ‚Wie bitte?‘, sondern ‚Ha?‘. Sie sind geradeheraus“, sagt Klemens Gold, und: „Nature based heißt für mich nicht nur Respekt vor den Produkten, sondern auch Respekt gegenüber den Leuten. Ich versuche, meine Umgebung immer mitzunehmen, gastronomisch, psychologisch, landwirtschaftlich.“
Klemens Gold, der viele Jahre lang in Spitzenküchen in aller Welt gearbeitet und gelernt hat, gibt sein Wissen gern weiter, spricht viel mit seinen Lieferant:innen und Produzent:innen, von denen die meisten aus der unmittelbaren Umgebung stammen – dem Fechter Fritz zum Beispiel, Fleischermeister in Reichraming, oder dem Biohof Ortbauer in Großraming. Sie alle prägen die Menüs im „Rau“, die Gold unter dem Einfluss von zehn unterschiedlichen Jahreszeiten kreiert.
„Wir haben hier schwere Böden, feuchte Hanglagen, wir haben oft eine Luftfeuchtigkeit wie in Taiwan. Das ist alles ideal für die Teepflanze, die hier sehr ertragreich gedeihen kann.“
Besonders gern und kenntnisreich spricht der Chefkoch aber über den Tee, der – auf seine Initiative hin – in seiner Region heute angebaut wird. „Tee passt ganz hervorragend hierher“, schwärmt Gold: „Wir haben hier schwere Böden, feuchte Hanglagen, wir haben oft eine Luftfeuchtigkeit wie in Taiwan. Das ist alles ideal für die Teepflanze, die hier sehr ertragreich gedeihen kann. Dieses Argument versteht übrigens jede Landwirtin und jeder Landwirt.“
„Die Viecher waren vor einer Million Jahren schon hier“
Sieben Betriebe in der Gegend werden bald Tee für Klemens Gold anbauen, und zwar nach biodynamischen Bedingungen. Anders geht es nicht, meint Gold: „Nur so wird Tee wirklich gut. Konventioneller Anbau bringt langweiligen, oberflächlichen Tee hervor.“ Die Ernte geht in die von Gold entwickelten Combuchonts, perlende Low-Alcohol-Getränke, die in Sachen Raffinesse locker mit edelsten Schaumweinen mithalten können. Aber das ist längst nicht alles, Klemens Gold schwebt noch einiges vor: „Wir möchten hier zur ersten europäischen Tee-Anbauregion werden. Weil es landwirtschaftlich, kulinarisch, aber auch touristisch einfach sinnvoll ist.“
Die Regionalität, die die „nature based cuisine“ ausmacht, ist keine dogmatische Angelegenheit. Die Sardine, von der oben die Rede war, ist nie in der Enns geschwommen. Gold hat hier eine eigene Perspektive: „Für mich sind die internationalen Produkte sowas wie meine Tourist:inneen. Ich brauche keine Ausrede, um ein Hummergericht zu kochen, für mich zählt nur die Qualität.“ Und der Pulpo zum Beispiel, der in dem spektakulären Zwischengang aus dem Spätsommermenü verarbeitet wird, „der ist fünf Stunden, nachdem er aus dem Wasser gefischt wurde, bei mir in der Küche. Da fährt manches Rindfleisch aus Deutschland wesentlich weiter.“
Und auch das adriatische Meerestier hat Wurzeln hier in Oberösterreich: „Dieses Gericht heißt nicht umsonst ‚Fossil‘. Es basiert auf einer Kindheitserinnerung. Der Bach im Pechgraben ist voller Fossilien, da habe ich als 10-Jähriger Ammoniten gefunden. Das ist schon eine prägende Erfahrung. Und es zeigt, dass die ja vor einer Million Jahren schon hier waren. Ich hole sie nur wieder zurück.“ Aus dem Wasser, ans Wasser. Ins Rau.