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Null Prozent – der Boom alkoholfreier Alternativen

Die alkoholfreie Getränkebegleitung im Restaurant wird immer wichtiger – und die Auswahl immer interessanter. Vom Boom der Sparkling Teas, Amazakes, Kombuchas und Quitten-Essenzen.
von Sebastian Hofer
Alkoholfreie Alternativen
© Gaumen Hoch

Karrieren beginnen oft auf seltsame Weisen, jene von Brittany Broski aber wohl auf die allerseltsamste. Im Sommer 2019 stellt die texanische TikTokerin ein Video online, das sie beim Verkosten eines Kombucha-Getränks zeigt. Ihr Minenspiel, das innerhalb von Sekunden zwischen völligem Unverständnis, totalem Erstaunen und zweifelnder Verzückung schillert, ließ den Clip schnell viral und Broski zum internationalen Online-Phänomen werden. Kombucha sei Dank hat die 27-Jährige heute ein digitales Publikum im zweistelligen Millionenbereich.

© Canva
Kombucha

Vergleichbar spektakuläre Gesichtsverrenkungen sind aus dem Wiener Tian nicht überliefert, auch wenn Kombucha – also fermentierter Tee – in dem vegetarischen Spitzenrestaurant durchaus auf der Tagesordnung steht (beziehungsweise auf der Getränkekarte): „Wir haben im Jahr 2017 begonnen, konsequent auch eine alkoholfreie Getränkebegleitung aufzubauen“, erinnert sich Michael Peceny, Tian-Restaurantleiter und -Getränkeguru: „Die Nachfrage war damals noch deutlich geringer als heute, aber es war für uns, insbesondere unseren Küchenchef Paul Ivic, wichtig, dass kein Gast das Gefühl bekommt, auf etwas verzichten zu müssen, nur weil er keinen Wein trinken möchte.“ Das Tian erwies sich als Trendsetter, inzwischen bewegt sich das Verhältnis zwischen alkoholfreier und Weinbegleitung im Restaurant oft schon in Richtung 40:60, erzählt Peceny.

Und auch in vielen anderen Restaurants – besonders prominent etwa auch im GAUMEN-HOCH-Restaurant Edvard im Palais Hansen oder im oberösterreichischen Vierhauber Rau – vollzieht sich gerade ein radikaler Wandel: Alkoholfreie Getränkebegleitungen erobern die Speisekarten und sind längst nicht mehr nur Notlösung für designated drivers oder Alkoholfastende, sondern Genussprojekt per se.

„Wenn du zu einem achtgängigen Menü nur Säfte und andere fruchtzuckerhaltige Getränke servierst, wird es rasch eintönig.“
Michael Peceny, TIAN

Die klassische Weinbegleitung hat sich in avancierten Lokalen längst ausdifferenziert, die Vielfalt ist größer geworden, da wird zu einzelnen Gängen auch einmal ein spezielles Bier oder ein Sake serviert – oder eben, warum nicht, eine Kräuteressenz, ein Shrub (essigsaurer Fruchtauszug), Wasserkefir (auf Basis von Milchsäure) oder Kombucha. Damit wird eine Geschmacksvielfalt erschlossen und eine Kreativität ermöglicht, die über die gewohnte Abfolge von Schaum-, Weiß-, Rot- und Süßwein deutlich hinausreicht. 

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Amazake
Durch Koji fermentieres Reisgetränk: Amazake aus Japan.

Denn die Aromatik der neuen Begleitgetränke ist komplex, botanische Extrakte und exotische Gewürze können als Speisenbegleiter ganz neue Dimensionen eröffnen. Sommeliers sind hier allerdings gefordert, denn moderne alkoholfreie Getränkebegleitungen brauchen ein erhebliches Know-how, sowohl in Sachen Pairing als auch in der Herstellung. 

„Das wäre ja so, als würde man in einer Weinbegleitung ausschließlich Süßwein anbieten. Mit diesem Grundgedanken landet man dann sehr schnell bei den verschiedenen Arten der Fermentation. Dabei wird Zucker abgebaut und ein vielschichtiger Geschmack entfaltet.“
Michael Peceny, TIAN
© Canva
Kombucha Scoby
Das Herzstück der Kombucha-Fermentation: Der Scoby. Eine Bakterien-Hefekultur, die den Gärprozess startet.

„Wenn du zu einem achtgängigen Menü nur Säfte und andere fruchtzuckerhaltige Getränke servierst, wird es rasch eintönig“, erzählt Michael Peceny vom Tian, wo die alkoholfreien Getränke übrigens durchwegs hausgemacht sind: „Das wäre ja so, als würde man in einer Weinbegleitung ausschließlich Süßwein anbieten. Mit diesem Grundgedanken landet man dann sehr schnell bei den verschiedenen Arten der Fermentation. Dabei wird Zucker abgebaut und ein vielschichtiger Geschmack entfaltet.“ Peceny hat dazu auch exotischere Möglichkeiten wie japanischen Amazake (ein Getränk auf Basis von Koji-fermentiertem Reis), südafrikanischen Malwa (auf Hirsebasis) oder osteuropäischen Kwas (aus vergorenem Brot) erforscht, gerade Letzterer „gibt uns auch die Möglichkeit, unser No-Waste-Prinzip zu komplettieren und auch übrig gebliebenes Brot zu verwenden.“

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Kombucha fermentation
Bei der Gärung des Kombucha durch den hinzugefügten Scoby entsteht fast kein Alkohol.

Auch Getränkefirmen und Abfüller haben den Trend zur alkoholfreien Anregung erkannt und befördert, dank Pionierleistungen etwa von der Kopenhagener Sparkling Tea Company, die schon seit 2010 spitzenküchentaugliche Teegetränke als Schaumwein-Alternative vertreibt. Aus Österreich sind in jüngerer Zeit die poppigen Kombuchas von Peng Peng Booch aus Wien oder die wahrhaft edlen Combuchants von Haubenkoch Klemens Schraml aus Großraming aufgetaucht (ganz fantastisch etwa Schramls Brut Natur Blanc, der nicht nur in Sachen Aufmachung locker mit den besten Winzersekten mithalten kann).

Zu den österreichischen Vorreitern zählen die High-End-Bio-Fruchtsäfte von Wachstum König aus Kittenberg bei Leibniz – sortenrein, unbehandelt, von Conference-Birne, Mammutquitte oder Vogelkirsche – oder die spektakulären Wildfrucht-Essenzen vom Obsthof Retter aus Pöllau, die auch international in zahlreichen hochdekorierten Restaurants gelistet sind und mit präzisem Geschmack und famosem Süße-Säure-Spiel begeistern. Timo Weisheidinger vom Vier-Hauben-Restaurant Lukas in Schärding wiederum stellt unter seiner Linie „Timo & Co“ maßgeschneiderte Getränke wie Sparkling Teas oder Fruchtessenzen her, und auch im Weinbau werden hochwertige Traubensaft- oder Verjus-Abfüllungen immer wichtiger.

Noch jemand ein Gläschen Kombucha? Warum auch nicht.

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