Irgendwann hatten sie genug davon, dass ausgerechnet in einer Stadt, die weltweit mit Wein in Verbindung gebracht wird, das Ansehen des Rebensafts derart angeschlagen war.

Denn die Wiener Winzer Fritz Wieninger, Richard Zahel, Michael Edlmoser und eben Rainer Christ produzierten längst Tropfen, die nichts mehr mit der gefälligen Massenware zu tun hatten, die fast dankbar sein musste für das Soda, das sie in einen Spritzer verwandelte. Also schlug 2006 bei einem Treffen des Winzer-Quartetts im „Steirereck“ die Geburtsstunde von „WienWein“.
„Unsere Gruppe hat das sogenannte Wiener Weinwunder eingeläutet.“
Verkaufte Fritz Wieninger in den 1990er-Jahren von seinem Grünen Veltliner „Herrenholz“ zum Beispiel noch mehr Flaschen in New York als in seiner Heimatstadt Wien, stellt sich das heute ganz anders dar. Der „Wiener Gemischte Satz“, seit 2013 im DAC-Status, erlebte als absolutes Qualitätströpferl seine Renaissance, und kein Lokal, das etwas auf sich hält, verzichtet in seiner Karte auf Wiener Weine, die den Vergleich mit denen aus den bekannten niederösterreichischen Weinregionen nicht zu scheuen brauchen. Rainer Christs Auszeichnung als „Winzer des Jahres“ ist dafür eine Bestätigung: „Das freut mich deshalb besonders, weil es nicht die Anerkennung dafür ist, dass ein Wein toll performt. Sondern es steht für die Arbeit vieler, vieler Jahre und ist fast so eine Lebenswerk-Geschichte.“
„Wir machen keine großen Eingriffe, sondern versuchen, tagtäglich im Kleinen zu tüfteln, sehr respektvoll mit den Ressourcen und sehr schonend mit den Reben umzugehen.“
Kleine Schritte für große Resultate
In Großjedlersdorf im 21. Wiener Gemeindebezirk Floridsdorf sind das Weingut und der Heurige von Rainer Christ angesiedelt. Und dort betrieben schon im 17. Jahrhundert seine Vorfahren eine kleine Landwirtschaft – zu einer Zeit, als Jedlersdorf noch eine Insel in den Donauauen war. Die Rebstöcke des Weinguts wachsen auf dem Bisamberg und werden dort seit 2018 vollbiologisch bewirtschaftet: „Ich habe 2014 die älteste Biofläche der Stadt, den Petershof, übernommen und danach begonnen, Schritt für Schritt auf allen Flächen biologisch zu arbeiten – bis zur Zertifizierung vier Jahre später.“
Schritt für Schritt, das ist auch Rainers Philosophie im Weingarten: „Die Natur ist spannend genug, wir müssen sie nicht ständig designen. Wir können sie begleiten, genau in sie hineinhorchen und hineinschauen. Kleine Schritte machen, um möglichst nah am Optimum zu sein.“ So hielt er es auch, als er mit seinem „Vollmondwein“ vor Jahren erstmals aufhorchen ließ. Was manche als esoterische Weingarten-Spinnerei abtaten, war nichts anderes als Neugierde: „Ich habe versucht zu lernen, zu schauen, ob es einen Unterschied macht, wenn wir gewisse Rhythmen wieder respektieren. Und wenn ja, herauszufinden, ob man diesen Unterschied messen, riechen und schmecken kann – oder ob’s eh wurscht ist.“
„Wenn man die Natur ganzheitlich als Partner ins Boot nimmt, sollte man auch auf die Dinge Rücksicht nehmen, die ihr vorgegeben werden.“
So bewirtschaftete er in seiner Ried Falkenberg Weißburgundertrauben streng nach dem Mondkalender – und erregte damit auch wissenschaftliches Interesse. 2015 nahm sich die Universität für Bodenkultur des „Vollmondweins“ von Rainer Christ an und fand heraus, dass sich bei diesem die Aromen anders zusammensetzen als bei herkömmlichem Wein. Oder, wie es der Winzer ausdrückt: „Er war ausladender, vitaler und bei Blindverkostungen stets auch der höher bewertete Wein.“
Die eigenen Finger im Spiel lassen
Rainer Christ hat sich längst einen großen Namen gemacht, will aber mit seinem Betrieb trotzdem nicht expandieren: „Die Voraussetzungen dafür wären gegeben, aber ich bin auch sehr stolz darauf, dass ich bei essenziellen Dingen meine eigenen Finger im Spiel habe. Ich will, dass das individuell bleibt und nicht zu kommerziell wird.“ Der 49-Jährige übt seinen Beruf mit sehr viel Freude und Herzblut aus, und das liegt auch daran, wie er ihn definiert:
„Ich verstehe mich ein bisschen als ein Regisseur, nur dass meine Superstars keine Schauspieler sind, sondern die Weintrauben da draußen am Bisamberg. Die sind natürlich aufgrund der Witterung jedes Jahr in einer anderen Verfassung, und die Schönheit, die sie jedes Jahr mitnehmen, auf die Bühne zu bringen, das sehe ich als meine Aufgabe an.“
Ein wunderbares Bild, und wer weiß, vielleicht wird auch einmal ein „Wein-Oscar“ verliehen. Da wäre Rainer Christ im Segment „Regie“ definitiv unter den Nominierten.