In Restaurants geht es längst um mehr als schmackhaftes Essen. Und das ist auch gut so – denn die Gastronomie ist ein wichtiger Hebel, wenn es darum geht, das Thema Ernährung bewusst zu gestalten. In den vergangenen Jahren hat sich gezeigt, wie erfolgreich diese Konzepte sein können – nicht nur, weil sie notwendiger sind denn je, sondern auch, weil die Nachfrage in nie gekanntem Ausmaß vorhanden ist. Wie gastronomische Zukunftsfähigkeit jenseits von Österreich aussehen kann, zeigt die Auswahl der folgenden zehn Restaurantkonzepte.
Wo es um die Gemeinschaft geht
Nobelhart & Schmutzig, Berlin, Deutschland
Neben dem „brutal lokalen“ Anspruch an alle Lebensmittel setzt Deutschlands Gastroikone Billy Wagner immer stärker auf das Thema soziale Nachhaltigkeit: Öko-Strom, möglichst wenig Papier (sprich: digitale Rechnungen), und vor allem geregelte Arbeitszeiten, die eingehalten und genau aufgeschrieben werden. Für Wagner hat gerade in Zeiten des Fachkräftemangels das Wohl der Mitarbeiter oberste Priorität.
Gutes Essen als Konzentrationsübung
Biohof Taratsch, Lohn, Schweiz
Auf 1600 Metern hat Rebecca Clopath auf dem elterlichen Bergbauernhof eine einzigartige Symbiose zwischen Bio-Landwirtschaft und Gastronomie zustande gebracht: Hier, im kleinen Dörfchen Lohn, wird der Geschmack der Alpen ausschließlich mit saisonalen Lebensmittel dieser fruchtbaren Bergregion auf die Teller gebracht – und zwar mit durchaus analytischem Anspruch: „Esswahrnehmung“ nennt Clopath ihre Menüs, die immer unter einem bestimmten Motto stehen und mithilfe von Kunst und Literatur das Ziel haben, bewusst über die Geschmäcker und Lebensmittel nachzudenken, die man vor sich hat.
Alles vom Tier für die Massen
Casa do Porco, Sao Paolo, Brasilien
Nose-to-Tail-Küche gilt als Küche für Fortgeschrittene – dabei ist Fleischgenuss, in dem das ganze Tier verwertet wird, durchaus mehrheitsfähig, ja fast schon massentauglich: Das beweist das Casa do Porco in Sao Paolo, in dem Bio-Schweine aus der eigenen Landwirtschaft zur Gänze verarbeitet werden. Da es in einschlägigen Rankings regelmäßig als eines der besten Restaurants der Welt gelistet wird, suchen es vermehrt Gäste aus aller Welt auf, doch die Inhaber Jefferson Rueda und Janaína Torres wollen vor allem ein zugänglicher Ort für Locals sein. Deswegen ist das Restaurant mit Abstand das günstigste unter den Gehypten der „World’s 50 Best“-Liste – und eben auch eines der nachhaltigsten.
Von den Menschen für die Menschen
D.O.M., Sao Paolo, Brasilien
Kein Restaurant dieser Welt verkörpert den ethischen Anspruch der Gastronomie wegweisender als das D.O.M. in Sao Paolo. Seit 1999 geht es Alex Atala hier um alles: Darum, der indigenen Bevölkerung im Amazonas eine Bühne für ihre Produkte zu bieten, die nur die wenigsten kennen. Darum, Brasilien mit nachhaltigen und gesunden Lebensmitteln eine kulinarische Identität zu geben. Darum, mit regionalen Lebensmitteln gegen Landraub und Abholzung zu kämpfen. Und darum, Restaurants weltweit zu zeigen, was für ein wichtiger Hebel die Gastronomie für den Wandel zu einer besseren Welt sein kann.
Alles für die Fisch
De Jonkman, Brügge, Belgien
Wildfang gilt vielen als das Bio-Gütesiegel des Meeres, zu Unrecht: Er ist mitverantwortlich für die Überfischung der Meere, die Zerstörung von Meeresböden durch Schleppnetze und tonnenweise tote Fische, die von den Kuttern als Beifang einfach zurück ins Meer geschüttet werden. Filip Claeys hat sich in seinem Sternerestaurant an der Nordsee dem verantwortungsbewussten Meeresfischkonsum verschrieben – und setzt auf Fischarten, die wirklich nachhaltig gefischt und gegessen werden können. Mit den „North Sea Chefs“ hat er außerdem eine Organisation ins Leben gerufen, die sich die Verbreitung dieses Wissens auf die Fahne geheftet hat.
Vegane Regionalität ohne Schranken
Seven Swans, Frankfurt, Deutschland
Das erste vegane Sternerestaurant der Welt zeigt, wie unentdeckt das weite Feld der pflanzlichen Küche bis heute ist – und wie exotisch regionales Bio-Grünzeug schmecken kann. Die hauseigene Permakultur liefert da etwa rote Beete, die Küchenchef Ricky Saward durch Garen und Räuchern in etwas beeindruckend Speckartiges verwandelt, aber auch Chili und Sichuan-Pfeffer, die zusammen mit dem selbstgemachten Einkorn-Miso ziemlich viel Bumms in die Küche bringen. Und überhaupt: Abseits der Permakultur sammelt der Tüftler mit dem grünen Daumen alles, was die Natur hergibt, wie etwa junge Birkenblätter und Fichtentriebe – denn auch die schmecken, richtig zubereitet, großartig.
Altes Wissen als Wegweiser der Zukunft
Kjolle, Lima, Peru
2018 eröffnet, hat Küchenchefin Pia Leon ihr Restaurant zu einer der wichtigsten Drehscheiben für verantwortungsbewusstes Produkt-Knowhow etabliert. Das gelingt ihr vor allem mit der von ihr mitbegründeten Forschungsplattform Mater Iniciativa: Diese fördert zukunftsfähige Praktiken, indem sie mithilfe der lokalen Bevölkerung – oft in abgelegenen Gebieten – das Wissen um traditionelle Anbaumethoden und seltene Zutaten erhält und weitergibt. Nachhaltigkeit ist eben auch ein kultureller Akt – das zeigen seltene Wurzelpflanzen aus den Anden, Inka-Erdnüsse oder proteinreiches Getreide aus den Hochanden mit jedem einzelnen Teller, der hier serviert wird.
Lebensmittelrettung rettet auch Menschen
Refettorios, 20 Städte
Besser geht’s nicht: Aus überschüssigen Lebensmitteln, die Supermarktketten noch vor Jahren weggeschmissen hätten, werden heute in den über zwanzig Mensen nahrhafte Mahlzeiten für Menschen zubereitet, die sich ein warmes Essen ansonsten nicht leisten könnten. Gegründet wurde diese Wohltätigkeitsorganisation von Sternekoch Massimo Bottura und seiner Frau Laura Gilmore – und sie wächst unentwegt. Der Mensch lebt nun einmal nicht nur von Brot allein, sind die beiden überzeugt – und zeigen, dass Lebensmittelverschwendung eben auch eine soziale Frage ist. Und bewusste Gastronomie die Antwort.
Eine Dach-Farm für alle
Gro Spiseri, Kopenhagen, Dänemark
Wie städtische Restaurants Betonwüsten grüner machen können, zeigt das Gros Spiseri mitten in Kopenhagen: Das Restaurant hat die erste Community-Dachfarm der Stadt, eine Art Garten also, in dem auch Nicht-Restaurantgäste mithelfen und -ernten können. Saisonale, selbstangebaute Lebensmittel landen hier also nicht nur auf dem Teller der Gäste, sondern dienen auch dem Austausch zwischen Menschen, die mehr über all das, was an Essbaren gedeiht, erfahren möchten. Zum Beispiel, wo es herkommt und wie es schmeckt.
Es geht auch um Böden
Apricity, London, England
Hier dreht sich alles um Zero Waste und regionale Bio-Lebensmittel von Produzentinnen und Produzenten, die zum allergrößten Teil regenerative Landwirtschaft betreiben. Doch Hausherrin Chantelle Nicholson trägt als eine der wenigen auch den Mobiliarsaspekt nach außen, sprich: Auch das Interior soll den höchsten Nachhaltigkeitsansprüchen genügen. Ob es um die Stühle geht, die aus recycelten Cola-Plastikflaschen bestehen, um Wände, die ganz ohne chemischen Materialen geschönt werden, oder um Küchenböden, die ganz ohne umweltschädlichem PVC-Plastik auskommen – hier wird klar: Nachhaltigkeit in der Gastronomie mag beim Essen anfangen. Aber da hört sie eben noch lange nicht auf.