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Die Lüge von der glücklich grasenden Milchkuh

Milch-Rebell Ewald Grünzweil liegt schon seit Jahrzehnten im Clinch mit der heimischen Agrarindustrie. Ein Interview.
von Sebastian Hofer
Lüge der glücklich grasenden Kuh
@ Canva/Gaumen Hoch

Im Interview mit Gaumen Hoch erklärt Ewald Grünzweil aus Bad Leonfelden in Oberösterreich, warum der Milchpreis die Milchbäuerinnen und Milchbauern so oft am falschen Fuß erwischt, wie es den Kühen im Laufstall wirklich geht und was Konsumentinnen und Konsumenten besser machen können.

© IG-Milch
Ewald Grünzweil
„Den Leuten wird etwas vorgemacht, was nicht stimmt.“
Ewald Grünzweil

In der Milchwerbung stehen die Kühe meistens auf der sattgrünen Wiese und grasen unter sanfter Sonne glücklich vor sich hin. Wir nehmen einmal an, dass diese Bilder nicht ganz der Realität entsprechen.
Ewald Grünzweil: Die Annahme ist leider richtig. Was Sie in der Werbung sehen, sieht in Wahrheit ganz anders aus. Im Kern ist das eine Sauerei.“

„Der Großteil der Milchkühe steht das ganze Jahr über im Stall.“
Ewald Grünzweil

Wie schaut denn die Realität von Milchkühen in Österreich aus?
Grünzweil: Der Großteil der Milchkühe steht das ganze Jahr über im Stall. Die Anbindehaltung ist zwar ein Auslaufmodell und der Laufstall setzt sich durch, aber auch der wurde nicht eingeführt, weil er so gut für die Kühe ist, sondern weil er für den Menschen sehr praktisch ist. Die Kuh steht immer noch auf einem Betonboden. Und speziell im konventionellen Bereich wird sie nicht wiederkäuergerecht gefüttert, sondern mit einem hohen Maisanteil, mit Getreide und Kraftfutter. Den Mais sollte der Mensch essen, in der Milchkuhfütterung hat er nichts verloren. Aber die Fütterungsberatung und die Ausbildung in der Landwirtschaftsschule gehen genau in die Richtung: mehr Mais, mehr Kraftfutter, mehr Wachstum. Der Kuh wird so etwas abverlangt, was sie genetisch nicht hergibt – mit allen gesundheitlichen Schäden, die das nach sich zieht: Stoffwechselstörungen, Leberschäden und so weiter. 

© Canva
Kühe
So wie diesen Milchkühen geht es in Österreich nur den wenigsten – die meisten stehen einen Großteil des Jahres im Stall.
„Im konventionellen Bereich wird die Milchkuh nicht wiederkäuergerecht gefüttert, sondern mit einem hohen Maisanteil, mit Getreide und Kraftfutter. Den Mais sollte der Mensch essen, in der Milchkuhfütterung hat er nichts verloren.“
Ewald Grünzweil

Sind die Tiere denn nicht genau für diese Anforderungen gezüchtet?
Grünzweil: Ja, und man kann das ruhig als Qualzucht bezeichnen. Dem muss man Einhalt gebieten. Eine normale Kuh gibt 300 Tage im Jahr Milch, der Rest ist die sogenannte Trockenstehzeit. An diesen 300 Tagen wären 20 Liter Milch pro Tag schon sehr viel, aber das ist mit einem gesunden Futter – Gras, Heu, Silage – machbar. Das hält die Kuh aus. Dann kann sie auch 15 Jahre alt werden. Allerdings müsste der Liter Milch entsprechendes Geld kosten, damit ein Gewinn gemacht werden kann.

© Canva
Kühe auf Betonboden
Viele Milchkühe stehen das ganze Jahr auf Betonböden in Ställen und werden nicht wiederkäuergerecht gefüttert, was Krankheiten begünstigt.
„Milchbäuerinnen und -bauern wissen kaum, für welchen Stundenlohn sie eigentlich arbeiten.“
Ewald Grünzweil

Wie setzt sich der Milchpreis heute zusammen? Wann kommen Milchbäuerinnen und Milchbauern ins Verdienen?
Grünzweil: Milchbäuerinnen und -bauern wissen kaum, für welchen Stundenlohn sie eigentlich arbeiten. Ein Liter Milch wird im Geschäft vielleicht um 1,50 Euro verkauft. Davon kalkuliert der Handel seine Marge herunter, dann die Molkerei die ihre, und was danach noch überbleibt, kriegen die Bäuerinnen und Bauern rückwirkend mitgeteilt. In der Regel passiert das sechs Wochen nach dem letzten Abliefertag. Sprich: Für den gesamten August erfahren sie Mitte September ihre Preise. Eine wirtschaftliche Kalkulation geht sich so natürlich nicht aus. Weil man einfach nicht sagt: Die Produktion von einem Liter Milch in Gunstlage kostet bei Zugrundelegung eines Stundenlohns von zehn Euro so und so viel – und von dort wird der Handelspreis dann wegkalkuliert. 

Das Risiko tragen Bäuerinnen und Bauern. Den Rahm schöpfen die Molkereien ab, die in Österreich übrigens mehrheitlich zum Raiffeisenverband gehören.“
Ewald Grünzweil


Wie groß fallen die Schwankungen bei der nachträglichen Milchpreisbestimmung denn aus?
Grünzweil: Das kann von Monat zu Monat bis zu zehn Prozent nach unten gehen, wenn der Handel schlecht läuft oder weil in China ein Sack Reis umgefallen ist. Die Ausreden sind dann schnell bei der Hand. Darum wehren sich die Molkereien auch so gegen andere Modelle mit verbindlicher Preisgestaltung. Das Risiko tragen Bäuerinnen und Bauern. Den Rahm schöpfen die Molkereien ab, die in Österreich übrigens mehrheitlich zum Raiffeisenverband gehören. 

„Ich bin aus ganzer Überzeugung Biobauer. Da ist von Haus aus mehr Tierwohl da, es wird kein Kunstdünger eingesetzt, Umweltschutz und Renaturierung sind selbstverständlich.“
Ewald Grünzweil
© Canva
Milchkuh
Milchbäuerinnen und -bauern können nicht wirtschaftlich kalkulieren, sagt Grünzweil. Sie erfahren erst Wochen nach Lieferung, um welchen Preis ihre Milch verkauft wird und was ihnen davon übrigbleibt.

Von staatlicher Seite wird die Not der Bäuerinnen und Bauern mit Förderungen abgefedert – gehen die Förderanreize in die richtige Richtung?
Grünzweil: Leider nein. Ich bin aus ganzer Überzeugung Biobauer. Da ist von Haus aus mehr Tierwohl da, es wird kein Kunstdünger eingesetzt, Umweltschutz und Renaturierung sind selbstverständlich. Wenn der Konsument Bio kauft, kauft er viele Lösungen mit. Trotzdem wurde die Bio-Förderung gekürzt und das pure Wachsen wird immer noch belohnt. Das verstehe ich dann nicht mehr. Es steigen auch schon wieder viele Bäuerinnen und Bauern aus der Bio-Produktion aus, weil sie sich verarscht fühlen.

„Die Leute halten sich selbst für verantwortungsvolle Konsumentinnen und Konsumenten, aber sie kaufen auch den größten Müll.“
Ewald Grünzweil


Aber der Bio-Anteil im Supermarkt steigt nach wie vor. 
Grünzweil: Ja, aber wir haben auch gesehen, wie schnell es wieder in die andere Richtung geht: Wenn die Inflation steigt, sind die Leute sofort wieder beim Diskont-Angebot. Die kognitive Dissonanz ist groß: Die Leute halten sich selbst für verantwortungsvolle Konsumentinnen und Konsumenten, aber sie kaufen auch den größten Müll. Der Hype um die Regionalität ist dabei leider kontraproduktiv. Regional an sich ist keine Qualität. Es gibt den schönen Spruch dazu: Wenn ich regional kaufe, weiß ich zumindest, wo das Gift herkommt. Mir sind Bio-Bäuerinnen und -Bauern, die 100 Kilometer weg sind, lieber jene in der Nachbarschaft, die 10-mal im Jahr ihre Getreide spritzen.

© Canva
Fleischtheke
Der Anteil an Bio-Artikel in Supermärkten steigt in Österreich auch beim Fleisch – wegen der Inflation sieht Grünzweil dieses Angebot aber in Gefahr.
„Wenn man eine Bio-Bäuerin oder einen Bio-Bauern in der Nachbarschaft hat, bei dem man Milchprodukte ab Hof bekommt, dann wäre das natürlich der Idealfall: bio, regional, direkt.“
Ewald Grünzweil

Sie glauben also nicht, dass die Konsumentinnen und Konsumenten im Supermarkt entscheiden können, wie das System ausschauen soll?
Grünzweil: Die Konsumentinnen und Konsumenten können im Supermarkt zwischen dem entscheiden, was ihnen vorgesetzt wird. 
Aber wenn man es richtig machen will, was macht man dann?
Grünzweil: Wenn man eine Bio-Bäuerin oder einen Bio-Bauern in der Nachbarschaft hat, bei dem man Milchprodukte ab Hof bekommt, dann wäre das natürlich der Idealfall: bio, regional, direkt. Wenn das nicht möglich ist, kann man mittlerweile auch schon viel bei Direktvermarkter:innen online bestellen. Und wenn man wirklich im Supermarkt einkaufen muss, dann bleibt einem nur übrig, konsequent auf Bio zu schauen und ein bisschen mitzudenken, ob die Versprechen, die da auf der Verpackung stehen, auch stimmen.

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