Dass die Physalis noch nicht in die International Best Dressed Hall of Fame des amerikanischen Magazins Vanity Fair aufgenommen wurde, ist eigentlich ein Skandal. Keine andere Frucht trägt ein so hübsches und gleichermaßen praktisches Kleid wie die Physalis. Doch anstatt sie ins kulinarische Zentrum zu rücken und sie dort ihre volle Schönheit entfalten zu lassen, wurde sie bei uns schnell zu einem allgegenwärtigen Accessoire für mit zu viel Schokoladensoße garnierte Dessertvariationen, fade Obstsalate und halbherzig zusammengestellte Käseplatten. Wie groß das verschenkte Potenzial der Physalis wirklich ist, zeigt sich jetzt, wo sie langsam aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht. Denn ihr unbeachtetes Schattendasein als bloße Zierfrucht wird zunehmend infrage gestellt – aus der Küche, aber auch aus dem Ernährungslabor.
Viele Namen, viele Gesichter
Wer so schön aussieht wie die Physalis, wird nicht nur bei einem einzigen Namen genannt. Auch die Bezeichnungen Andenbeere, Kapstachelbeere oder Judenkirsche haben sich im Deutschen eingebürgert. Während die ersten beiden Begriffe auf die Herkunft hinweisen, bezieht sich der Name Judenkirsche auf die charakteristische Form der Blatthülle, die die eigentliche Frucht umschließt. Diese soll entfernt an die in manchen Richtungen des Judentums vorgeschriebene Kopfbedeckung der männlichen Gläubigen erinnern.
Biologisch betrachtet gehört die Physalis zur Gattung der Blasenkirschen und damit zu den Nachtschattengewächsen. Das ist nicht weiter verwunderlich, erinnern die Früchte der Physalis optisch doch sehr an orangefarbene Kirschparadeiser – von innen wie von außen. Das bedeutet aber auch, dass die Physalis einer ziemlich großen Familie angehört: rund 80 verschiedene Arten von Blasenkirschen zählt das Naturhistorische Museum Wien auf. Genießbar sind davon allerdings nur fünf: die in Südamerika sehr beliebten Sorten Tomatillo und Erdbeertomate, die Ananaskirsche sowie die bei uns verbreitete Lampionblume und natürlich die wohlbekannte Physalis peruviana. Die Früchte aller anderen Blasenkirschenarten sind giftig und können bei Verzehr zu Magenkrämpfen und Verdauungsbeschwerden führen. Das gilt – mit Ausnahme der Tomatillo – übrigens auch für die hier vorgestellten Sorten, zum Glück aber nur, solange ihre Früchte noch nicht ausgereift sind.
Physalis ist nicht gleich Physalis
Dass die Lampionblume bei uns vor allem als Rohstoff für hübsche Bastelarbeiten bekannt ist, hängt wohl in erster Linie mit dem eher herben bis bitteren Geschmack ihrer Früchte zusammen. Die Früchte der Physalis peruviana, also der allgemein bekannten Physalis, sind dagegen – je nach Züchtung – inzwischen fast immer frei von störenden Bitterstoffen und stattdessen saftig und süß. Wie so oft tragen auch die Neuzüchtungen der Physalis zum Teil sehr klangvolle Namen: Preciosa findet man hier, Lady Madonna und auch eine Sorte namens Schönbrunner Gold, die durch die Forschungsstation für Gartenbau Schönbrunn bei Wien (HBLFA) aus der südamerikanischen Wildform heraus gezüchtet wurde.
„Ich kenne die Physalis noch aus meiner Lehrzeit als Koch, das war so um 1985 herum. Damals wurde sie aber eigentlich nur als Dekoration für Käseplatten verwendet.“
Sie ist auch die Lieblingssorte unseres Gaumen-Hoch-Mitglieds Robert Brodnjak. In seinem Krautwerk baut er sie nun bereits im zehnten Jahr an. Viel länger steht die Physalis ohnehin noch nicht in Österreichs Beeten und Gewächshäusern. Brodnjak hat es hautnah miterlebt: „Ich kenne die Physalis noch aus meiner Lehrzeit als Koch, das war so um 1985 herum. Damals wurde sie aber eigentlich nur als Dekoration für Käseplatten verwendet. Das waren aber noch ganz andere Sorten als heute, die waren viel kleiner. Über die Jahre wurden sie aber stark weiterentwickelt, sodass es mittlerweile sogar ziemlich viele Sorten gibt. Im Durchschnitt kann man sagen, dass die Früchte dabei ein gutes Stück größer geworden sind und vor allem ein viel komplexeres Geschmacksbild bekommen haben. Reife Physalis erinnern an Ananas und Honig und haben ein intensives, süßsäuerliches Aroma. Mit den damals importierten Früchten hat das nur noch wenig zu tun.“
Achtung, Suchtgefahr!
Wie aromatisch die Früchte einer reifen Physalis sein können, erlebt man übrigens am besten, wenn man sie ganz einfach von ihrem Lampion befreit und direkt daraus nascht. „Ich gebe meinen Kunden manchmal eine Physalis mit auf den Weg, wenn sie an meinem Marktstand mit dem Einkauf fertig sind. Viele essen sie gleich, manche nehmen sie erst einmal mit und essen sie später. Aber auch sie kommen dann nach kurzer Zeit ganz beeindruckt zurück und kaufen Physalis für zu Hause“, sagt Robert Brodnjak und lacht. „Mit den Früchten von früher hätte das wohl nicht geklappt.“
Übrigens: Die Früchte der ertragreichen Pflanze reifen bei uns jetzt im August. Da lohnt es sich gleich umso mehr, mit offenen Augen über die Märkte zu gehen. Zwischen eineinhalb und zwei Kilogramm Früchte kann eine einzige der bis zu 1,80 Meter hohen Stauden tragen. Einziges Problem: Sie sind nicht frostresistent, sodass der Genuss meist nur von kurzer Dauer ist.
„Eine tolle, erfrischende Komponente.“
Länger als bis Ende September halten bei uns nur die wenigsten Physalispflanzen aus. Wer mehr kauft, als er oder sie gerade verzehren kann, tut gut daran, die goldgelben Früchte zu ebenso goldigen Marmeladen, Gelees oder Chutneys zu verarbeiten und so auch in den kalten Monaten immer etwas Sommerliches aus dem Keller holen zu können. Gerade die Chutneys eignen sich, insofern man sie nicht überzuckert, hervorragend zur Verfeinerung von herzhaften Speisen. Darauf zielt auch Robert Brodnjaks Geheimtipp ab: Die frischen Früchte halbieren und ganz am Ende der Garzeit mit in einen reichhaltigen und deftigen (Lamm-)Eintopf geben – „eine tolle, erfrischende Komponente.“ (Unser Rezepttipp: Gurken-Physalis-Nashi-Birnen-Salat von unserem Mitglied Heinz Reitbauer aus dem Steirereck)
Nicht nur schön, sondern auch gesund
Und das ist noch längst nicht alles! Betrachtet man die zahlreichen wertvollen Inhaltsstoffe der Physalis, ist es gleich noch erstaunlicher, wie sehr wir sie in den letzten Jahrzehnten unterschätzt haben. Sie stecken bis zur Schale voll mit Vitamin C, enthalten viel Beta-Karotin, das der Körper später in Vitamin A umwandelt, und sind reich an Antioxidantien. So können sie den Körper nicht nur bei der natürlichen Pflege und Regeneration der Haut unterstützen und das Bindegewebe stärken, sondern sich auch positiv auf das Immunsystem, den Stoffwechsel und das Nervensystem auswirken. Wichtig ist nur, beim Einkauf auf die Reife der Früchte zu achten. Doch ist die Haut der Früchte goldig bis orangefarben, kann nach Herzenslust genascht werden. Vor allem in den nächsten acht Wochen!