Die bittersüße Wahrheit über gutes und schlechtes Eis

Milcheis mit purem Pflanzenfett statt echter Milch und Vanillin statt Bourbonschote – die Schlupflöcher der Speiseeisindustrie.
von Nick Pulina
Hand mit Eiswaffel und Wolke
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Sobald die Temperaturen knapp an der 20-Grad-Marke kratzen, beginnt der Run auf die Eissalons der Republik. Offiziell eingeläutet wird die Eissaison meist schon im März mit der Proklamation der ‚Eissorte des Jahres‘ – in diesem Jahr übrigens Kaffee. Doch wie ist es um die Qualität der Eissorten bestellt? Bei genauerem Blick zeigt sich:  Es ist nicht alles gut, was gut aussieht. Industriell gefertigte Ware, die nur in den wenigsten Fällen selbst niedrigsten Qualitätsansprüchen genügt, ist längst in den Supermärkten und mittlerweile sogar in vielen Eissalons zu Hause. Handwerklich produziertes Eis, womöglich sogar aus regional und ökologisch vertretbar erzeugten Zutaten, ist eine Seltenheit geworden.

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Industrieeisherstellung

Die Industrie kennt ihre Schlupflöcher

Oberseiscreme, Vollmilch-Eis, Fruchteis, Kunstspeiseeis usw. Die Liste der gesetzlich definierten Zubereitungsarten von Speiseeis ist lang. Festgeschrieben ist sie im Österreichischen Lebensmittelhandbuch. Hier ist nachzulesen, wann ein Eis welchen Namen tragen darf. In den meisten Fällen ist es der Milchfettanteil, der über die Qualitätsstufe entscheidet. So muss Oberseiscreme mindestens 15 Prozent Milchfett enthalten, Vollmilcheis hingegen nur 2,1 Prozent. Ist eine Fruchtkomponente im Spiel, darf der Milchfettanteil auch etwas geringer sein. Im Falle eines reinen Fruchteises ist der Fruchtanteil im fertigen Produkt der entscheidende Faktor: Er muss mindestens 20 Prozent betragen.

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Nicht festgelegt ist hingegen, in welcher Form das Milchfett in die Eiscreme gelangen muss und woraus die übrigen 80 bis 97,9 Prozent des Eises zu bestehen haben. Ein Umstand, den sich die Industrie zunutze macht. Wer glaubt, die Basis für Milcheiscreme sei echtes, cremiges Obers, hat sich bereits aufs Glatteis führen lassen. Statt auf das hochwertige Milchprodukt zurückzugreifen, verwendet die Lebensmittelindustrie in Wasser gelöstes Milchpulver und rührt nur verschwindend geringe Mengen Obers ein. Angereichert wird mit purem Pflanzenfett, eingedickt mit Guarkernmehl und gefärbt mit Karotin – im besten Fall.

So erläutert es der Ernährungswissenschaftler und Produktentwickler Sebastian Lege in mehreren vom ZDF in Auftrag gegebenen Reportagen der Reihe BesserEsser. Beim Milcheis dürften zwar, so Lege weiter, nicht ausschließlich künstliche Aromen verwendet werden, aber auch hierfür habe die Industrie ihre Tricks: Getrocknete und gemahlene Vanilleschoten reichen beispielsweise aus, um mit dem Einsatz echter Bourbonvanille im Eis werben zu dürfen; den Rest erledigt künstlich gewonnenes Vanillin. Bei der niedrigsten Qualitätsstufe, dem Kunstspeiseeis, entfallen sogar diese Regelungen; hier ist beinahe alles erlaubt! Schließlich wird noch reichlich Luft in die Eismasse gepumpt und fertig ist sie – die zartschmelzend-sahnige Eiscreme.

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Im Eissalon ist alles anders – oder?

„Die vermeintlichen Vorteile für den Eishersteller liegen auf der Hand. Einfach die Tüte mit der Fertigmischung öffnen, mit einer Geschmackspaste und Wasser oder Milch gründlich mixen und ab damit in die Eismaschine.“
Bio-Eishersteller Jan Thunig über Industrieeis

‚Ich hole ich mir mein Eis eh nur im Eissalon um die Ecke‘, mag man jetzt konstatieren, und steht damit vor dem Problem, das der Eishersteller Jan Thunig in seinem Blog Eiswerkstatt benennt: In Eissalons wird auch Industrieware verkauft, und zwar in großen Mengen. Die Auswahl an Pülverchen, Extrakten und Gemischen, mit denen auch die Gastronomie schnell und einfach Eis produzieren kann, ist erschreckend groß – das offenbart schon ein kurzer Blick in gängige Profi-Onlineshops wie Rigoli, Ital Gel oder Eisbedarf24.

„Die vermeintlichen Vorteile für den Eishersteller liegen auf der Hand“, sagt Thunig. „Einfach die Tüte mit der Fertigmischung öffnen, mit einer Geschmackspaste und Wasser oder Milch gründlich mixen und ab damit in die Eismaschine. Das entstehende Produkt ist schnell fertig und liegt in einer immer gleichbleibenden Beschaffenheit und Qualität vor.“ Ob ein Eissalon handwerklich arbeitet oder sich für den kostengünstigen, aber qualitätsschwächeren Weg entschieden hat, ist oft nicht leicht erkennbar. Mit ‚hausgemacht‘ darf auch werben, wer den Inhalt eines Tütchens in ein Milchpulver-Wassergemisch gekippt und es beim Einfrieren mit Luft versetzt hat.

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Industrieeisherstellung
„Das sogenannte Bergeis, prachtvoll arrangierte Eishügel, die weit über den Rand der Eisschalen hinaus in die Höhe ragen und die in uns häufig in großen Einkaufszentren anlachen, erhält durch die Verwendung von Emulgatoren und anderen Zusatzstoffen die notwendige Standfestigkeit.“
Bio-Eishersteller Jan Thunig über Industrieeis

Die Luftigkeit des Eises kann, so Thunig, übrigens ein guter Indikator sein, wenn man sich einmal nicht sicher sein sollte, ob ein Eissalon handwerklich arbeitet oder industrielle Produkte verwendet: „Das sogenannte Bergeis, prachtvoll arrangierte Eishügel, die weit über den Rand der Eisschalen hinaus in die Höhe ragen und die in uns häufig in großen Einkaufszentren anlachen, erhält durch die Verwendung von Emulgatoren und anderen Zusatzstoffen die notwendige Standfestigkeit. Diese sind in Fertigmischungen häufig enthalten.“ Doch wir sollten den Kopf nicht vorschnell hängen lassen. Nur weil viele Eisproduzentinnen und -produzenten auf Instant-Produkte und industrielle Helferlein zurückgreifen, heißt das zum Glück noch nicht, dass es keine handwerklich arbeitenden Eismacher:innen mehr gibt.

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Bio-Eisherstellung im Biohof Stadler
Der Biohof Stadler war der erste Betrieb Österreichs, der Eis nach Bio-Kriterien hergestellt hat.
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Bio-Eisherstellung im Biohof Stadler
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Bio-Eisherstellung im Biohof Stadler
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Bio-Eisherstellung im Biohof Stadler
„Gutes Eis entsteht nur durch gute Zutaten. Deren Verwendung macht sich im Geschmack deutlich bemerkbar.“
Bio-Eisherstellerin Sylvia Stadler

„Echte Früchte, keine Imitate“

„Gutes Eis entsteht nur durch gute Zutaten. Deren Verwendung macht sich im Geschmack deutlich bemerkbar“, sagt Sylvia Stadler vom gleichnamigen Bio-Hof in Putzleinsdorf. In der Industrie und auch in vielen Eissalons wird oft eine Basismischung verwendet, in die dann die einzelnen Geschmackskomponenten – in den seltensten Fällen ‚echte‘ Produkte – eingerührt werden. „Das produziert schnell einen ziemlichen Einheitsbrei. Daran kann man auch gutes von schlechtem Eis unterscheiden. Wir haben für jedes einzelne Eis eine eigene Rezeptur. Außerdem verwenden wir ausschließlich echte Früchte, keine Imitate und auch kein Mus, dafür Milch und Schlagobers, kein Palmfett oder Öl, keine Konservierungsstoffe.“

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Hand hält Speiseeis in Waffel

Um Eis auf handwerkliche Weise herzustellen, werden zunächst alle Einzelkomponenten vermengt, mit echtem Eigelb gebunden und in einem Pasteur auf 80 Grad erhitzt. Dann darf das Gemisch erst einmal ruhen: „Ich gebe der Masse einen Tag Reifezeit – langes Rühren mit längerem Reifeprozess, dann bekommt man tolles Eis auch ohne den künstlichen Zusatz von Luft oder Stickstoff.“ Schließlich wird die Masse in den Freezer gefüllt, der sie unter weiterem Rühren in wenigen Minuten auf minus 10 bis minus 12 Grad abkühlt.

„Wir verwenden ausschließlich echte Früchte, keine Imitate und auch kein Mus, dafür Milch und Schlagobers, kein Palmfett oder Öl, keine Konservierungsstoffe.“
Bio-Eisherstellerin Sylvia Stadler

„Die Qualität jeder einzelnen Zutat ist wichtig“

Stadler kommt es auf jede einzelne Komponente an: „Ich verwende zum Beispiel auch einen eigenen Vanillezucker. Den herzustellen ist viel Arbeit und dauert drei Monate, aber es lohnt sich“, ergänzt die Eisproduzentin, die seit zwanzig Jahren Eis nach Bio-Kriterien produziert. Damals war der Biohof Stadler der erste Betrieb in Österreich, der sich dem gewidmet hat – umwerfend viele sind es heute allerdings immer noch nicht. „Das war am Anfang ein harter Kampf, die einzelnen Komponenten in den kleinen Mengen zu bekommen, die wir damals noch gebraucht haben“, erinnert sich Stadler, „aber es hat irgendwie geklappt und der Erfolg hat uns mehr und mehr recht gegeben.“ Der ursprüngliche Gedanke war einmal, eine Veredlungsmethode für die gute Bio-Milch des seit 1992 nach ökologischen Kriterien bewirtschafteten Hofes zu finden. Mittlerweile gibt es das Eis der Stadlers in ganz Österreich zu kaufen, vorrangig in Bio-Läden, aber auch in der Gastronomie.

Zur Lieblingssorte der Saison avanciert zum Überraschen der Produzentin die Eigenkreation Rum-Kokos. Die Spitzenreiter bei den Kindern sind aber nach wie vor die Sorten mit den knalligsten Farben: Erdbeere und Himbeere. Zugegeben, all diese Sorten werden auch industriell gefertigt, manchmal auch für weniger Geld. Wer allerdings einmal hinter die Kulissen geblickt hat und weiß, welche Inhaltsstoffe dort den Weg in unser heißgeliebtes Eis finden, wird wohl nicht lange überlegen und den Aufpreis eines traditionell, nachhaltig-saisonal und qualitätsbewusst arbeitenden Eissalons gern bezahlen.

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