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Sellerie – mehr als nur sein Saft

Lange Zeit war Selleriesaft in aller Munde – dabei hätte das Gemüse den Hype gar nicht nötig gehabt. Von Stangen, Wurzeln und der Kraft der Sellerie.
von Nick Pulina
Sellerie
© Canva

Von der „Nose-to-Tail“-Philosophie haben die meisten wahrscheinlich schon gehört: vom Kopf bis zum Schwanz sollen alle Teile eines Tieres verwendet werden, wenn es für den Verzehr getötet wurde. Weniger bekannt ist das pflanzliche Pendant, die „Root-to-Leaf“-Bewegung. Auch hier geht es darum, alle Teile einer Pflanze sinnvoll zu verwenden, wenn man mit ihr kocht. Wenige Pflanzen machen uns das so leicht wie der Sellerie. Bei kaum einem anderen Gemüse ist es so selbstverständlich geworden, alle seine Bestandteile zu verwenden, sodass wir manchmal glatt vergessen, dass Knolle und Stangen einmal eine Einheit gebildet haben. Zumindest in der Theorie.

Aus eins mach zwei

© Nick Pulina
Sellerie

Schon seit Jahrtausenden ist Sellerie ein fester Bestandteil der europäischen, nordafrikanischen und vorderasiatischen Landwirtschaft. Während er im alten Ägypten hauptsächlich als Heilpflanze galt, stand in Europa seit jeher die kulinarische Seite des Selleries im Vordergrund. Welche Funktion die Pflanze auch immer hatte, eines ist sicher: Sie sah anders aus als heute.

Die Tatsache, dass sowohl die Wurzel als auch die Blattstiele der Selleriepflanze verarbeitet werden können, hat dazu geführt, dass Sellerie zunehmend zu zwei eigenständigen Sorten gezüchtet wurde. Hatte die Pflanze ursprünglich eine mittelgroße, knollenförmige Wurzel und saftig-fleischige Stangen, so war es das Ziel der Züchter:innen, jeweils nur eine der beiden Eigenschaften zu betonen und besonders auszubilden. Der andere Teil sollte möglichst klein bleiben, um seinem jeweiligen Gegenstück keine wertvolle Energie zu rauben. So gibt es heute zwei Sorten Sellerie, die eigentlich einmal eine waren: Wurzelsellerie und Stangensellerie.

Tolle Knolle

Die Sellerieknolle, besser bekannt als Wurzelsellerie, erfreut sich vor allem in der mitteleuropäischen und nordafrikanischen Küche großer Beliebtheit. Sie ist ein Lieferant leicht verdaulicher Kohlenhydrate und daher äußerst nahrhaft. Hinzu kommt ihr charakteristisch-würziger Geschmack, der die Sellerieknolle auch als Würzgemüse beliebt gemacht hat. Nicht umsonst ist sie Teil jedes Suppengrüns.

Von Stauden
und Stangen
„Am Mittag zwingt man sich, daß man nicht Sellerie frißt“, heißt es in einem Lied aus Bertolt Brechts Dreigroschenoper, das die vermeintlich zerstörerische Kraft des männlichen Sexualtriebs besingt. Und tatsächlich bezieht sich Brecht damit auf das schon bei den alten Ägyptern bekannte Wissen, dass Sellerie nicht nur Speis und Trank aufzupeppen weiß. Sowohl die Stangen als auch die Wurzel enthalten den Sexuallockstoff Adenoston, der als eines der wichtigsten pflanzlichen Aphrodisiaka überhaupt gilt. Und das ist sogar wissenschaftlich erwiesen!

Die Verarbeitung der Knolle ist unkompliziert. Sie kann gebacken, gekocht oder gedünstet werden, gebraten oder sogar geräuchert. Auch aus der österreichischen Küche ist der Wurzelsellerie nicht mehr wegzudenken, besonders für Vegetarier:innen und Veganer:innen. Aus fingerdick geschnittenen, panierten und ausgebackenen Selleriescheiben lässt sich nämlich mit etwas Geschick und Kompromissbereitschaft eine fleischfreie Schnitzelalternative zubereiten, die sich selbst hierzulande großer Beliebtheit erfreut. Nicht zu vergessen: Sellerie ist ein Fixbestandteil unseres Wurzelgemüses und verleiht in dieser Funktion auch klaren Suppen und deftigen Braten das besondere Etwas.

© Nick Pulina
Sellerie
Der Stangensellerie ist eine der beiden Sorten, die heute gezüchtet werden.

Sellerie international

Während der Wurzelsellerie meist gegart zum Einsatz kommt, sind die Stangen des Selleries besonders im rohen Zustand ein beliebtes Gemüse. Zwar können auch sie gegart eine hocharomatische Beigabe z. B. zu Suppen, Eintöpfen oder Mischgemüse sein, doch häufiger findet man sie als Rohkost-Snack, als Bestandteil eines knackigen Salats oder als Garnitur für herzhafte Cocktails. Durch den hohen Wassergehalt, verbunden mit einer noch höheren Konzentration an ätherischen Ölen als in der Wurzel, erfrischt der Verzehr des rohen Stangenselleries und versorgt den Körper dabei direkt mit wertvollen Vitaminen und Nährstoffen, die beim Erhitzen zerstört werden würden.

© Nick Pulina
Sellerie
Die andere Variante ist der Knollensellerie.

Stangensellerie ist gesund – und das hat sich herumgesprochen. Im Gegensatz zur Knolle konnten sich die Stangen selbst jenseits des Atlantiks einen Namen machen. In den USA ist der Stangensellerie in den letzten Jahren zu einem regelrechten Superfood avanciert. Doch diese Entwicklung ist mit Vorsicht zu genießen.

„Super Food, aber kein Superfood“

So beschreibt es Dr. Christian Keßler, promovierter Mediziner und Naturheilkundler am Immanuel Krankenhaus Berlin, in einem Fernsehbeitrag. Dabei bezieht er sich auf einen Trend, der die sozialen Medien in den letzten fünf Jahren regelrecht geflutet hat: Selleriesaft. So weit, so gut. Selleriesaft ist sehr gesund. Er enthält all die wertvollen Mineralstoffe wie Kalium, Eisen und Kalzium, Karotinoide, Vitamin C sowie Vitamine der B-Gruppe, die auch der Verzehr der rohen Stangen liefern würde. Einzig die ballaststoffhaltigen Fasern entfallen, was den Saft sehr bekömmlich macht und dem Körper hilft, die Inhaltsstoffe schnell und direkt aufzunehmen. Was Selleriesaft allerdings nicht kann: Wunder bewirken. Auf Instagram und Co. sah das jedoch zeitweise ganz anders aus.

© Nick Pulina
Sellerie
Die Tatsache, dass sowohl die Wurzel als auch die Blattstiele der Selleriepflanze verarbeitet werden können, hat dazu geführt, dass Sellerie zunehmend zu zwei eigenständigen Sorten gezüchtet wurde.

Der regelrechte Hype, jeden Morgen ein Glas frisch gepressten Selleriesaft zu trinken, ging von Anthony William aus, einem selbsternannten „Medical Medium“. Seine angebliche Gabe, die Krankheiten seiner Mitmenschen von einem höheren Wesen ins Ohr geflüstert zu bekommen, weckte schnell mediale Aufmerksamkeit. Besonders auch, weil William ein so leicht zugängliches Allheilmittel präsentierte: Selleriesaft. Plötzlich entsaftete ganz Hollywood die grünen Stangen und zeigte es auf seinen digitalen Kanälen. Wenig später trank alle Welt Selleriesaft und Anthony Williams Bücher verkauften sich wie geschnittener Sellerie. Ein Schelm, wer Böses denkt.

Gesund, aber nicht völlig unbedenklich

Placeboeffekt hin oder her: Trotz allen berechtigten Zweifels an der Quelle hat der Trend zum Selleriesaft niemandem geschadet – ganz im Gegenteil. Zwar ist Sellerie eine vergleichsweise allergene Pflanze, doch wer darauf nicht reagiert, kann nur von ihm profitieren. Gerade Rheuma- und Gichtpatienten profitieren vom hohen Kaliumgehalt der Pflanze, der harntreibend und entzündungshemmend wirkt.

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