Eigentlich haben Schweine viel mit uns gemeinsam, wenn’s ums Sozialverhalten geht: „Sie befreunden sich mit bestimmten Artgenossen, mit anderen können sie weniger anfangen“, sagt Tierärztin und Schweineexpertin Marianne Wondrak. „Wenn sie einander mögen, bleiben sie meistens in Sichtkontakt miteinander. Stimmt die Sympathie nicht, gehen sie sich gerne weiträumig aus dem Weg.“
„Schweine befreunden sich mit bestimmten Artgenossen, mit anderen können sie weniger anfangen.“
Schweine brauchen Raum
So weit, so einfach – vorausgesetzt, die Schweine haben genügend Platz, um einander zu meiden. In den Massentierhaltungsbetrieben ist das allerdings nicht gegeben. Wondrak: „Man versucht diesen Bedürfnissen zu begegnen, indem man im Stall Wände aufstellt, damit zumindest ein bisschen das Gefühl von Distanz aufkommen kann.“ Was noch dazu kommt, ist die Rangordnung: „Herrscht Platzmangel, können Rangniedrigere oft kein unterwürfiges Verhalten zeigen.“ Daraus resultieren Konflikte und Kämpfe. Der Stresslevel steigt.
Drei Prozent aller Schlachtschweinbetriebe in Österreich sind biozertifiziert. Weniger als ein Prozent davon haben Freilandhaltung. Der Rest hält Schlachtschweine in kargen Ställen mit Vollspaltenböden aus Beton, ohne Einstreu, ohne Auslauf. Laut gesetzlicher Vorgabe muss ein Mastschwein bis 110 Kilo 0,7 Quadratmeter und ab einem Gewicht von 110 Kilo 1 Quadratmeter Platz zur Verfügung haben. Zum Vergleich: Eine Tischtennisplatte hat 4,3 Quadratmeter.
Auch Spass muss Schwein
Auch Schweine müssen Druck abbauen und Energie loswerden. Wie sie das im Normalfall tun? Jungtiere – und alle Mastschweine sind Jungtiere – spielen mit Objekten und Artgenossen, sie unternehmen wilde Verfolgungsjagden über weite Strecken, mit Bocksprüngen und Hakenschlagen. Außerdem graben sie Löcher, und das nicht nur zur Futtersuche.
„Dem Wühlverhalten in einer Stallsituation gerecht zu werden, ist aber wieder schwierig, weil man die Hygienestandards einhalten muss. Auf einer großen Weide ist das einfacher.“ In der Massentierhaltung hingegen beobachtet man Schweine, die einander die Ohren und Schwänze abbeißen. „Das ist die Folge von sozialem Stress und Langeweile.“
“Entgegen der landläufigen Meinung sind auch erwachsene Schweine nicht faul.“
Daher werden die Schwänze bei Schweinen, die in solchen Betrieben gehalten werden, kupiert. Denn Schweine haben sowohl einen großen Bewegungsdrang als auch das Bedürfnis nach Beschäftigung. „Entgegen der landläufigen Meinung sind auch erwachsene Schweine nicht faul, sondern gehen am Tag mehrere Kilometer, während sie mit ihrem Rüssel den Boden nach Futter absuchen. Sie zelebrieren das richtig.“
Sauber wie Sau
Auch ist es ein weit verbreiteter Irrglaube, dass Schweine dreckig sind und stinken. Wondrak weiß: „Schweine achten penibel darauf, ihre Schlaf- und Futterstellen sauber zu halten. Sie legen sich nur dann in ihre eigenen Hinterlassenschaften, wenn sie keine anderen Möglichkeiten haben, sich abzukühlen.“
Frischfutter, bitte!
Auch in puncto Futter gibt es große Diskrepanzen, wenn man sich die natürlichen Bedürfnisse anschaut und mit den Gegebenheiten in Massentierhaltungsbetrieben vergleicht: Ein Schwein in natürlicher Umgebung verzehrt jeden Tag mit großem Appetit mehrere Kilo Grünfutter. Kräuter und Gräser werden genau ausgesucht und vorsichtig abgezupft. „Das fein gemahlene und hoch verdauliche Futter, das die Schweine in Mastbetrieben bekommen, damit sie schnell zunehmen, führt sehr häufig zu einem übersäuerten Magen und damit zu Magengeschwüren. Auf all diese Aspekte kann in Massentierhaltungsbetrieben so gut wie keine Rücksicht genommen werden.“
„Vor 75 Jahren hat man gelehrt, das Schwein nicht als Tier, sondern als Maschine zu sehen.“
Dort und da versucht man es, geht mit guten Beispielen voran und setzt sich für bessere Lebensbedingungen von Schlachtschweinen ein. Die Verantwortung aber allein bei den Landwirten zu belassen, ist nicht fair“, sagt Wondrak und weist auf ein Ideal hin, das längst Standard sein sollte: doppelter Preis, halbe Menge. Dann könnten wir, so die Expertin, zumindest in die Nähe von wirklich artgerechter Haltung kommen.
Ich bin doch keine Maschine
Die Tierexpertin betont außerdem: „Vor 75 Jahren hat man gelehrt, das Schwein nicht als Tier, sondern als Maschine zu sehen. In meiner Ausbildung vor 20 Jahren haben Vortragende Ferkel als Produktionsmittel bezeichnet und mit Autos verglichen. Das Wichtigste ist, dass wir beim Thema Tierwohl das Tier und seine Perspektive in den Mittelpunkt stellen. Es geht nicht darum, was wir toll und schön finden. Rosa Schweinchen auf blitzsauberen Böden – dieses Bild, das gerne von der Werbung bedient wird, entspricht nicht ihrer natürlichen Lebenswelt.“
5 Fakten
über Schweine
- Schweine sind Meister im Erinnern. Sie verfügen über ein sehr starkes Langzeitgedächtnis.
- Ihr Rüssel enthält so viele Tastsinneszellen wie unsere beiden Hände zusammen.
- Nur wenige Tierarten erkennen sich selbst im Spiegel. Schweine aber tun es und haben demnach ein Ich-Bewusstsein.
- Ihr Grunzen ist wie unser Fingerabdruck. Kein Schwein grunzt wie ein anderes. Jedes entwickelt individuelle Laute.
- Man kann nicht schwitzen wie ein Schwein. Sie besitzen nämlich keine. Schweißdrüsen und müssen daher duschen, baden oder im Dreck suhlen, um sich abzukühlen.
Marianne Wondrak
Tierärztin und Schweineexpertin