Österreich, ein Land, das von seiner reichen kulinarischen Tradition geprägt ist, findet sich plötzlich in einer ungewohnten Stille wieder. Lokale sind geschlossen, Straßen leer, und an den Grenzen stauen sich Lastwagen mit Lebensmitteln, die nicht ins Land kommen dürfen. „Es geht so nicht weiter, da muss sich was ändern“ – diese Worte hallten aus der Gastronomie und waren der Auftakt für eine Bewegung, die weit mehr als eine Reaktion auf eine Krise sein sollte. Alexandra Seyer-Gmeinbauer und Reinhold Gmeinbauer, beide tief verankert in der Gastronomieszene, nahmen diesen Aufruf als Initialzündung, um „Gaumen Hoch“ zu gründen.
Doch was genau muss sich ändern?
Gemeinsam mit Gleichgesinnten aus der Gastronomie und Landwirtschaft setzten sich Alexandra und Reinhold zusammen, um über die Zukunft der Lebensmittelversorgung in Österreich zu sprechen. Über die Notwendigkeit eines Wandels und einer neuen kulinarischen Identität. Gaumen Hoch ist das Ergebnis dieser Suche nach Veränderung. Eine Initiative, die von der Krise inspiriert wurde und sich zum Ziel gesetzt hat, ein nachhaltigeres, lokaleres Leitsystem zu schaffen. Es steht für Betriebe, die ihre Produkte verantwortungsbewusst nach ökologischen und biologischen Standards produzieren und verarbeiten. Gaumen Hoch ist weit mehr als nur ein Gütesiegel.
Es ist eine Gemeinschaft von Menschen mit gleichen Werten, die sich für verantwortungsbewusste Lebensmittelproduktion und -verarbeitung einsetzen mit der Mission nachhaltige, transparente, ethische Standards zu etablieren. Mit diesen klar definierten Zielen dient Gaumen Hoch als Verbindung zwischen Landwirt:innen, Gastronom:innen und Verbraucher:innen. Im Gespräch mit Nina Mohimi geben Alexandra und Reinhold Einblicke in die Ursprünge, die Beweggründe, die Gaumen Hoch prägen. Es ist eine Geschichte von Engagement, Zusammenarbeit und dem Glauben daran, dass Veränderung möglich ist, wenn wir gemeinsam handeln.
„Wir wollten nicht nur Probleme lösen, sondern auch eine Bewegung schaffen, die echte Veränderungen im Umgang mit Lebensmitteln bewirkt.“
Diese Identitätsbildung, ähnlich wie bei der Nordic Cuisine im Norden, stellt auch bei uns eine zentrale Frage: Was hat unsere Region zu bieten? Gastronom:innen sollen nicht ausschließlich, aber bevorzugt regionale biologische Produkte verwenden, die die Einzigartigkeit ihres Standorts hervorheben. Es geht nicht darum, ständig auf Zutaten von weit her zurückzugreifen, insbesondere wenn diese außerhalb der Saison sind. Stattdessen sollten wir die Vielfalt und Qualität dessen schätzen, was unser Land und unsere Region bieten. In Österreich, mit seiner kleinstrukturierten und vielfach nachhaltigen Landwirtschaft, finden sich besondere Produkte, die nicht nur geschmacklich überzeugen, sondern auch die harte Arbeit und das Engagement der Menschen widerspiegeln, die oft um ihr Überleben kämpfen. Gastronom:innen spielen eine wichtige Rolle als Abnehmer:innen dieser Produkte, was letztlich nicht nur die regionale Wirtschaft stärkt, sondern auch das Erscheinungsbild unserer Gerichte in der Gastronomie prägt.
„Gaumen Hoch ist weit mehr als nur ein Siegel. Es steht für eine tiefgreifende Haltung gegenüber Lebensmitteln und ihrer Produktion.“
Es war uns außerdem stets ein Anliegen, dass die Gastronomie als zentraler Marktplatz wahrgenommen wird, besonders für die landwirtschaftlichen Produzenten, und gleichzeitig auch als Vorbild dient. Beim Spargel etwa wird allgemein in der Gastronomie akzeptiert und geschätzt, dass er nur in einem knappen Zeitfenster Saison hat – der Spargel hat es geschafft, die Paradeiser nicht. Uns ist es wichtig, die Schönheit der saisonalen Veränderung zu unterstreichen. Wir erleben nicht ständig Sommer. Der Wechsel der Jahreszeiten bereichert unser Leben, denn er ermöglicht es uns, die Ankunft des Frühlings oder den ersten Schnee mit echter Freude und authentischem Geschmack zu genießen. Diese Vielfalt und das saisonale Bewusstsein möchten wir fördern, um eine tiefere Wertschätzung für das, was die Natur uns bietet, zu entwickeln. Und damit wollen wir wieder die Vorfreude auf die saisonalen Besonderheiten wiederfinden.
Alexandra: Genau, und was uns auch wichtig ist: Wir schauen auf die ganze Kette. Vom Feld bis zum Teller. Es geht darum, die Beziehung zwischen dem Konsumenten und dem Ursprung seiner Nahrung zu stärken. Unsere Gastronom:innen und Produzent:innen engagieren sich dafür, den Menschen die Geschichten hinter den Produkten zu erzählen, was zu einer stärkeren Wertschätzung und letztendlich zu bewussteren Konsumentscheidungen führt.
Indem man sich beispielsweise für saisonales Essen entscheidet, fördert man zugleich eine unglaubliche Vielfalt. Nehmen wir nur die zahlreichen Gemüsesorten – jede Saison bringt ihre eigenen Varianten mit sich, die es zu entdecken gilt. Oftmals ist die Saison allerdings viel zu kurz, um alle ihre Facetten voll auszukosten. Wenn Gastronom:innen diese Vielfalt erkennen und in ihre Menüs integrieren, was bereits viele tun, öffnet das Tür und Tor für eine völlig neue kulinarische Spielwiese.
Dieser Ansatz führt zu einer wichtigen Entwicklung in der Landwirtschaft, besonders für kleinere Betriebe. Es ermöglicht Gespräche und Kooperationen, die fragen: „Was funktioniert für uns beide? Lass uns etwas Neues ausprobieren.“ Auf diese Weise stärkt man nicht nur das Miteinander, sondern auch das gesamte System, indem man neue Möglichkeiten für die Landwirtschaft schafft und die Produzent:innen direkt unterstützt.
Reinhold: Im Kern tragen Gastronom:innen und Produzent:innen eine tiefe Verantwortung gegenüber ihren Gästen und Endkonsument:innen – eine Verantwortung, die aus einer festen Haltung und Überzeugung erwächst. Diese Haltung betont, dass die Einstellung und die Integrität der Beteiligten entscheidend sind. Sie handeln aus einer tiefen Überzeugung heraus, die das Fundament ihres täglichen Wirkens bildet. Dieses Engagement für Nachhaltigkeit spiegelt sich nicht nur in der Qualität und Herkunft der Produkte wider, sondern ist auch eine Reaktion auf globale Herausforderungen wie den Klimawandel. Eine ökologische und möglichst regenerative Bewirtschaftung der Böden ist dabei essenziell. Es reicht nicht, nur regional zu agieren, denn wahre Nachhaltigkeit erfordert auch, dass die Praktiken der Produzent:innen das Tierwohl und ökologische Standards berücksichtigen.
Letztendlich ist es die Verbindung von Überzeugung und praktischer Umsetzung dieser Werte, die die Qualität unserer Lebensmittel und damit unser aller Lebensqualität bestimmt.
Alexandra: Ich möchte noch zwei wichtige Aspekte hervorheben: Erstens, ein faires Miteinander sowohl innerhalb eines Betriebs als auch im Umgang mit den Lieferant:innen. Es ist essenziell, dass Lebensmittel wertgeschätzt werden und Produzent:innen von ihrer Arbeit leben können, ohne sich abzumühen und am Jahresende leer auszugehen. Diese Einstellung zur Fairness ist tief in unserer Haltung verankert. Zweitens, legen wir großen Wert auf Transparenz. Als verantwortungsvolle/r Gastronom:in ist es wichtig, offen darzulegen, woher die Produkte stammen. Dies soll nicht nur intern klar sein, sondern auch für Gäste nachvollziehbar gemacht werden. Daher ist es für jede/n Gastronom:in bei uns verpflichtend, seine/ihre Hauptlieferant:innen öffentlich zu machen, sei es durch die Speisekarte, einen Aufsteller im Restaurant jedenfalls aber auf unserer Website im Profil des jeweiligen Betriebs. So können unsere Gäste genau einsehen, woher die Produkte, die auf ihren Tellern landen, stammen.
„Wir glauben fest daran, dass Veränderung durch Zusammenarbeit und geteilte Visionen entsteht.“
Natürlich wäre es möglich, alles immer nur durch Vorgaben zu regeln, doch die wahre Freude am Handeln entsteht, wenn es aus eigenem Antrieb kommt. Das Schöne daran ist, dass bereits zu Beginn unserer Initiative viele Menschen dabei sind, die aus tiefer Überzeugung handeln. Diese besonderen Menschen, die sich unserem Zeichen anschließen, verkörpern genau das, was wir fördern möchten.
Wir sind davon überzeugt, dass die Gastronomie eine Schlüsselrolle spielt, nicht nur um hervorragende Mahlzeiten zu bieten, sondern auch um die Landwirtschaft in Österreich wieder lohnenswert zu machen. Es geht darum, Landwirt:innen neue Chancen zu eröffnen und ihnen zu zeigen, dass sie mehr als nur überleben können. Angesichts globaler Tendenzen zur Förderung großindustrieller Landwirtschaft stellt sich die Frage: Ist das der Weg, den wir auch gehen wollen? Wollen wir wirklich ein Land sein, das nur Großfarmen unterstützt, wie es anderswo der Fall ist? Oder wählen wir einen anderen Pfad, setzen auf Vielfalt und die Stärken kleinstrukturierter Landwirtschaft, die echte Alternativen und nachhaltige Zukunftschancen bietet? Diese Entscheidung wird letztlich darüber bestimmen, wie unsere Zukunft aussieht. Und das können wir mit unserer Gemeinschaft mitbestimmen.
Alexandra: Wir freuen uns, mittlerweile über 70 Mitgliedsbetriebe zu unserer Initiative zählen zu können. Ihr Vertrauen zeigt uns, dass der Bedarf für Wandel spürbar ist und unsere Idee Anklang findet. Dieser erste Erfolg ist ein ermutigender Anfang, und wir sind bereit, diese Bewegung weiter voranzutreiben.
Gaumen Hoch repräsentiert eine eng verbundene Gemeinschaft, die gemeinsam wächst und sich entwickelt. Jedes Mitglied ist dabei von essenzieller Bedeutung.
„Wenn ich sehe, wie unsere Ideen Anklang finden und wie begeistert die Leute sind, Teil dieser Bewegung zu sein, dann weiß ich, dass wir auf dem richtigen Weg sind.“
Reinhold: Absolut. Jedes Mal, wenn ein ein neuer Partner oder eine neue Partnerin zu uns kommt, der/die unsere Vision teilt und sich engagiert, ist das ein Bestätigung dafür, dass unsere harte Arbeit Früchte trägt. Wir hatten anfangs ja nur unsere Ideen, die wir präsentierten, und jede Zusage, uns zu unterstützen und mit uns zu kooperieren, war unglaublich bestärkend. Diese Art von Unterstützung ist es, was uns über die vier Jahre intensiver Arbeit hinweg geholfen hat. Diese Erfahrung und die daraus resultierende Gemeinschaft zählen zu den wertvollsten Aspekten.
Danke euch beiden, dass ihr uns einen Einblick in euer Herzensprojekt gegeben habt. Wir sind gespannt, wie sich eure Initiative weiterentwickeln wird und welche Impulse es für die Gaumen Hoch Gemeinschaft noch geben wird.