Einerseits ist der Weißensee ein See wie jeder andere in Österreich, das heißt: ein malerisches Gewässer, an dem man sich nicht sattsehen kann. Andererseits ist der Weißensee anders als die anderen Seen hierzulande. Einer, an dem man, sagen wir so: satter wird. An keiner anderen Seenregion werden kulinarische Nachhaltigkeit, regionaler Geschmack und saisonales Kochhandwerk erfolgreicher zelebriert als hier, auf 950 Metern Höhe.
„Gemessen an der Anzahl der Bewohnerinnen und Bewohner ist die Dichte an Restaurants, die für ihre regionale und saisonale Küche ausgezeichnet werden, europaweit hier am höchsten“, sagt Michael Knaller. Der Hotelier muss es wissen: Gemeinsam mit seiner Frau Corinna führt er den Gralhof in Neusach. Das Bio-Hotel, das bis heute in Sachen Nachhaltigkeit Maßstäbe setzt, gehört genau zu diesen Betrieben, um die der Weißensee weit über Österreich hinaus so beneidet wird. Weil hier Genuss und Verantwortung, Hedonismus und gutes Gewissen spielerisch Hand in Hand gehen, ja, mehr noch: ohne einander gar nicht können – und wollen.
Wo auch Bio geputzt wird
So ein komplexes Wunderding wie der Gralhof entsteht nicht über Nacht. „1913 hat meine Familie hier zum ersten Mal vermietet“, sagt Knaller. Zum Gralhof kamen damals vor allem Sommerfrischler:innen aus Wien, die dank des in ganz Österreich ausgebauten Eisenbahnnetzes bis in die kühlen Gefilde des Weißensees vordringen konnten.
Die Basis des Gralhofs war schon damals die Landwirtschaft, die mittlerweile seit 1992 biozertifiziert ist. Heute können Corinna und Michael Knaller auf ihren 15 Hektar Grünland und 25 Hektar Wald aus dem Vollen schöpfen – und das nicht nur kulinarisch. „Wir haben seit 1997 eine Hackschnitzelheizung, die wir größtenteils mit unserem eigenen Holz betreiben“, erklärt Knaller. „Außerdem liefert uns unsere Photovoltaik am Dach 101 Kilowatt Strom. Auch auf unsere Kompostiermaschine sind wir stolz, die dafür sorgt, dass wir aus dem Kompost wertvollen Dünger auf unsere Felder bringen können. Und auch all unsere Reinigungsmittel sind Bio.“
Im Mai 2006 übernahmen die Knallers den Betrieb von Seniorchef Chrischtl und -chefin Gretl. „Beide haben schon sehr naturnah gearbeitet, ich würde sagen, wir waren schon zum Zeitpunkt der Übernahme ein Betrieb mit einer 40-prozentigen Bio-Quote an Lebensmitteln“, sagt Knaller.
„Alle unsere Produkte sind Bio. Egal ob es unsere eigenen sind oder die von unseren Produzentinnen und Produzenten des Vertrauens.“
Für den gelernten Kontra- und E-Bassisten war die vollständige Bio-Zertifizierung des Gralhofs aber mehr als nur Zukunftsmusik: „Ich wusste, dass das gehen würde. Unsere Voraussetzungen waren vielversprechend, deswegen ist es auch so schnell gegangen“, erinnert er sich. Noch im selben Jahr wurde aus dem Gralhof offiziell ein Bio-Hotel – und bald auch eines, in dem auch das Essen eine entscheidende Rolle spielen sollte.
Nachhaltig ist ursprünglich
„Alle unsere Produkte sind Bio“, sagt Knaller, „egal, ob es unsere eigenen sind oder die von unseren Produzentinnen und Produzenten des Vertrauens.“ Dass das Essen einen großen Platz beim Gralhof einnehmen sollte, war Corinna und Michael nicht von Anfang an klar. „Eigentlich gab’s bei uns nur Frühstück, aber wir haben uns dann bald entschieden, mehr anzubieten“, sagt er.
„Wer in ein Bio-Hotel einkehrt, will doch zu Mittag oder zu Abend nicht irgendwohin fahren, um ein Tiefkühlschnitzel zu essen – oder?“ Die kurze Antwort lautet: nein. Die längere: Wir kochen und zeigen, wie gschmackig und filigran nachhaltige Bio-Küche sein kann. Die hofeigenen Rinder und Schweine werden zur Gänze verarbeitet, also nach dem nose-to-tail-Prinzip. „Nicht nur, weil’s die nachhaltigste Art der Fleischverarbeitung ist, sondern auch die ursprünglichste. Das gesamte Tier wird damit wertgeschätzt“, sagt Knaller. Mindestens genauso wertgeschätzt wird beim Gralhof auch das saisonale Gemüse, das in spontanen Menüabfolgen von der Wurzel bis zum Stiel verarbeitet wird.
„Außerdem haben wir einen Fokus auf Bio-Naturweinen mit Schwerpunkt Österreich. Wir arbeiten eng mit unseren Winzerinnen und Winzern zusammen und veranstalten auch regelmäßig Events mit ihnen“, sagt Knaller. Kein Wunder, dass das Who’s Who des österreichischen Naturweins sich da nicht zweimal bitten lässt. Der Weißensee ist halt nicht wie jeder andere. Und der Gralhof ist kein Hotel wie jedes andere.