Ikigai, das ist japanisch und bedeutet so viel wie Wert oder Sinn des Lebens. Kurz gesagt: Das, wofür es sich zu leben lohnt. Der Begriff bezeichnet die Schnittmenge aus vier Bereichen: den eigenen Talenten, den Leidenschaften, dem, womit man Geld verdienen kann, und dem, was die Welt braucht.
Marion Ebner-Ebenauer und ihr Mann Manfred haben mit ihrem Weingut ihr Ikigai gefunden. Es liegt im südlichen Weinviertel – oder südländisch, wie sie sagen. Ja, das Weingut in Poysdorf hat durchaus etwas Toskanisches an sich. Es fühlt sich nach Dolce Vita an. Nach Lebendigkeit, Lebensfreude und einem im besten Sinne trotzigen Jetzt-erst-recht-Hedonismus.
„Der Opa hat in Paris studiert. Keiner weiß wirklich was genau – wahrscheinlich die Frauen und den Wein.“
Wenn auch die Rebsorten, um die sich Marion und Manfred seit 2007 kümmern, keine Italienerinnen, sondern in erster Linie Französinnen sind. „Der Opa hat in Paris studiert. Keiner weiß wirklich was genau – wahrscheinlich die Frauen und den Wein. Und dort hat er sich in die französischen Rebsorten verliebt“, sagt Marion, deren eigene Weinliebe schon in Jugendjahren in der Weinbauschule Krems entflammt ist. „Der Wein hat mich richtig erwischt. Es war Liebe auf den ersten Blick. Noch lang, bevor die Burschen interessant wurden.“ Auch ihr Manfred „erwischte“ sie etwas später so richtig. Und damit ging die Lovestory rund um den Wein in die nächste Runde.
„Der Wein hat mich richtig erwischt. Es war Liebe auf den ersten Blick. Noch lang, bevor die Burschen interessant wurden.“
Gute Gärten mit alten Reben
Auf den rund um Poysdorf verstreuten Lagen auf mittlerweile 20 Hektar entstehen nicht nur der ortstypische Grüne Veltliner, sondern eben auch französische Sorten wie Chardonnay, Pinot Noir, Weißburgunder und Saint Laurent. „Die werden bei uns im nordöstlichen Weinviertel besonders ausdrucksstark“, sagt Marion, „wir haben ähnlich kalkige Böden wie die Champagne.“
„Die zwei Generationen vor uns haben von der Substanz gelebt, und das haben wir zu spüren bekommen.“
2007 haben Marion und Manfred das in 14. Generation familienbetriebene Weingut mitsamt dem 400 Jahre alten Keller übernommen. Das hört sich romantisch an, war es aber nicht. „Wie das so ist bei vielen Generationen, ist es ein Up and Down. Die zwei Generationen vor uns haben von der Substanz gelebt, und das haben wir zu spüren bekommen“, sagt Marion. Es gab damals weder eine Kund:innenstruktur noch einen Cashflow, nur ein renovierungsbedürftiges Haus und sieben Hektar Weingärten, die rund um Poysdorf verstreut lagen.
„Die schönsten Geschichten erzählen die alten Reben.“
Aber gute Gärten mit alten Reben. „70 Prozent unserer Reben sind zwischen 40 und 75 Jahre alt. Ein Alter, bei dem die meisten anderen schon wieder nachpflanzen würden. Wir finden, dass die Lagen da erst wirklich interessant werden.“ Ihre älteren Weinstöcke wurzeln bis zu 25 Meter in den Boden hinein, wo sie an Mineralien herankommen, die ein junger Rebstock nie zu fassen bekommen würde. Sie tragen zwar weniger Früchte, dafür sind die Weintrauben wertvoller – „das ist die natürliche Selektion.“ Die Weine, die aus diesen Trauben entstehen, sind komplexer und ausdrucksstärker. „Es ist ja so: Jeder Weingarten erzählt eine Geschichte, und die schönsten Geschichten erzählen die alten Reben.“
Bester Mistelbacher Schaumwein
Das Liebkind von Marion und Manfred ist der Schaumwein. „Austrias finest fizz“ und „Ebner-Ebenauer is killing Champagne“ schrieb man der amerikanische Weinkritiker Robert Parker über ihren Blanc de Blancs Zero Dosage. Ganze sieben Jahre ruhen die künftigen edlen Sprudel auf der Hefe, Marion sagt dazu Schönheitsschlaf.
„Schaumwein macht was mit einem.“
Dann wird degoriert, händisch ausgestattet und verpackt; die Ebner-Ebenauers zelebrieren das Handwerk. In ihrem Tun stecken Sorgfalt, Fürsorge und Lebensfreude, die sich im Perlwein widerspiegeln. „Dieses Prickeln, dieses Unvernünftige, dieses Festliche – Schaumwein macht was mit einem.“ Mit denen, die ihn trinken. Und jenen, die ihn produzieren. 2022 wurden die Ebner-Ebenauers als erstes Couple zum „Falstaff-Winzerpaar des Jahres“ ausgezeichnet.
Kreuchen und fleuchen
Handarbeit ist auch einer der Grundpfeiler der Biodynamie. Seit 2016 arbeiten sie biologisch, seit 2020 betreiben Marion und Manfred ihr Weingut biodynamisch – mit hauseigener Kompostierung und Begrünungsmischungen für die Weingärten mit Blumen, Gräsern und Leguminosen (Hülsenfrüchtler) wie Klee, die den Boden einerseits tief durchwurzeln und durchlüften und andererseits Wildbienen, Hummeln und Schmetterlinge anziehen. „Da kreucht und fleucht es im Weingarten, das ist einfach wunderschön“, sagt Marion. Und das tröstet auch über die Tatsache hinweg, dass man nie mit allem fertig wird.
„Die Böden gehören zwar uns, aber ich empfinde sie eigentlich nur als geborgt.“
Dieses „Es gibt immer was zu tun“-Gefühl kann stressen. Oder aber man lehnt sich hinein und sieht es als Antrieb. Als Grund, warum es sich zu leben lohnt: Ikigai. Nur so kommt man mit den 60 bis 80 Wochenstunden klar, die der Betrieb eines Weinguts so mit sich bringt. Das entsprechende Mindset hat Marion übrigens von ihrem Mentor Fritz Wieninger, dem „Doyen des Wiener Weins“, mitbekommen: „Beim Fritz hab ich gelernt, dass Arbeit erfüllend sein kann.“
Bei Ikigai geht es auch um das große Ganze, das über die Gegenwart hinausgeht. Das ist bei der Biodynamie nicht anders. Marion sieht diese naturnahe Bewirtschaftungsweise als einzige Antwort auf den Klimawandel: „Biodynamisch bewirtschaftete Böden halten das Wasser besser und sind fruchtbarer. Es liegt in unserer Verantwortung, gesunde und vitale Böden an die nächste Generation weiterzugeben. Die Böden gehören zwar uns, aber ich empfinde sie eigentlich nur als geborgt.“ Vielleicht ist es auch dieses Denken, das den Antrieb gibt. Natürlich in Kombination mit dem prickelnden Sprudel, der alles ein bisschen leichter macht.