Search
Close this search box.

“Nutzt mehr Pflanzenarten in der Küche!“

Mehr Pflanzen zu essen, rettet den Planeten. Fleischverbote bringen aber nichts, sagt ARCHE NOAH-Geschäftsführer Volker Plass.
von Lucas Palm
Kartoffelvielfalt
© Arche Noah

ARCHE NOAH-Geschäftsführer Volker Plass sagt im Interview, was ihn antreibt, warum es nie wichtiger war, seltene Pflanzenarten auf die Teller zu bringen – und warum die geplante Saatgutverordnung der EU eine Gefahr für unsere Biodiversität ist.

Herr Plass, die Tätigkeitsbereiche von ARCHE NOAH sind vielfältig. Können Sie uns einen groben Überblick über Ihre Schwerpunkte geben?
Volker Plass: Beginnen wir so: Wir sind ein Verein, der sich seit über 30 Jahren um die Erhaltung der Kulturpflanzenvielfalt bemüht. Dabei geht es uns vor allem um jene Kulturpflanzen, die unserer Ernährung dienen. Wir betreiben eine der größten privaten Saatgutsammlungen Europas. Und zwar eine, mit der auch aktiv gearbeitet wird. Wir sind also keine Gen-Bank, die einfach Samen entgegennimmt und tiefgekühlt einlagert, sondern wir versuchen, das Saatgut zu erneuern, zu vermehren und es weiter zu vertreiben, damit es aktiv am Leben erhalten werden kann. Konkret verfügen wir über Saatgut von mehr als 5.500 Nutzpflanzen aus den Bereichen Gemüse, Getreide, Hülsenfrüchte, Kräuter oder auch Färber- und Faserpflanzen. Außerdem haben wir noch eine große Obstsammlung, bestehend aus Bäumen auf einem Dutzend Streuobstwiesen. Und dann gibt es noch unsere Beeren- und Erdäpfelsammlung.
@ Canva
Saatgut
ARCHE NOAH verfügt über Saatgut von mehr als 5.500 Nutzpflanzen aus den Bereichen Gemüse, Getreide, Hülsenfrüchte, Kräuter oder auch Färber- und Faserpflanzen.
„Wir sind keine Gen-Bank. Wir versuchen, das Saatgut zu erneuern, zu vermehren und es weiter zu vertreiben, damit es aktiv am Leben erhalten werden kann.“
Volker Plass
Wie schlimm steht es eigentlich hierzulande um die Vielfalt, was die Nutzpflanzen betrifft?
Volker Plass: Wir befinden uns im sechsten großen Artensterben der Erdgeschichte und erleben einen rasanten Schwund der Arten- aber auch der Sortenvielfalt. Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen sind 75 Prozent der pflanzengenetischen Ressourcen, die es im Jahr 1900 noch gab, unwiderruflich verloren. Die bringen wir nicht mehr zurück! Wir kämpfen jetzt dagegen, dass die übrigen 25 Prozent auch noch verschwinden. Da kann man viel tun. Für uns ist es wichtig, dass das Ganze nicht nur auf den Feldern und in den Gärten wächst, sondern dass es auch auf den Tellern landet. Die sinnliche und kulinarische Freude an dieser Vielfalt war von Anfang an auch ein großer Beweggrund für unsere Arbeit.
@ Canva
Äpfel
Für die ARCHE NOAH ist es wichtig, dass Lebensmittel nicht nur auf den Feldern und in den Gärten wachsen, sondern dass sie auch auf den Tellern landen.
„75 Prozent der pflanzengenetischen Ressourcen, die es im Jahr 1900 noch gab, sind unwiderruflich verloren. Die bringen wir nicht mehr zurück!“
Volker Plass
Hat Sie gerade das auch dazu bewogen, Partner von Gaumen Hoch zu werden?
Volker Plass: Ja, auf jeden Fall. Dafür muss ich etwas ausholen: Es gibt weltweit etwa 6.000 Kulturpflanzenarten, die der menschlichen Ernährung dienen. Von diesen 6.000 Pflanzenarten decken aber nur 80 Arten 95 Prozent des weltweiten vegetarischen Kalorienangebots ab. Und drei wiederum mehr als die Hälfte dieses Bedarfs, nämlich: Reis, Weizen und Mais. Ein großer Hebel, um auf diesem Planeten nachhaltiger zu leben und das Klima zu schützen, ist mehr vegetarische Ernährung. Das funktioniert aber meines Erachtens nicht durch moralisierende Appelle oder Fleischverbote, sondern indem vegetarische Ernährung attraktiver wird.
@ Canva
Maisfeld
Von den weltweit etwa 6.000 Pflanzenarten, die der Ernährung dienen, decken 3 Arten mehr als die Hälfte unseres Bedarfs, nämlich: Reis, Weizen und Mais.
„Ein großer Hebel, um auf diesem Planeten nachhaltiger zu leben und das Klima zu schützen, ist mehr vegetarische Ernährung.“
Volker Plass
Und wie wird sie das?
Volker Plass: Indem sie vielfältiger wird und wir wesentlich mehr Pflanzenarten, aber auch seltene Sorten, in unserer Küche nutzen! Dadurch, dass Gaumen Hoch nicht nur im Bereich der Spitzengastronomie tätig ist, sondern auch im mittleren Segment, können wirklich wichtige Impulse gesetzt werden. Damit kann die vegetarische Vielfalt über die Gastronomie mehr Sichtbarkeit bekommen. Wenn kleine Gemüseproduzenten und -produzentinnen beispielsweise wissen, dass im näheren Umfeld zwanzig Gaumen Hoch-Lokale sind, die Interesse an ausgefallenen Gemüsesorten haben, dann stimuliert das deren Angebot – und ist gut für die Gesamtentwicklung einer Region.
@ Canva
Sortenvielfalt
Mehr Interesse an ausgefallenen Gemüsesorten stimuliert das Angebot der Produzentinnen und Produzenten.
„Durch Gaumen Hoch kann die vegetarische Vielfalt über die Gastronomie mehr Sichtbarkeit bekommen.“
Volker Plass
Dafür braucht es auch die Nachfrage von Gästen.
Volker Plass: Darum mache ich mir am wenigsten Sorgen. Ich bin überzeugt, dass diese da mitziehen.
Warum?
Volker Plass: Weil es ein gutes Beispiel hier in Österreich gibt, das das beweist. Nach dem Weinskandal Mitte der 1980er Jahre war der österreichische Weinmarkt praktisch tot. Wie hat man reagiert? Man hat nicht gesagt: „Da kann man nichts machen, die Konsumenten und Konsumentinnen würden bei besserer Qualität nicht mitziehen“, wie man das so oft von Politiker:innen hört. Sondern man hat gesagt: „Wir müssen ein ganz strenges Weingesetz einführen und diesen Markt kommunikativ und vom Vertrieb her komplett neu aufstellen!“ Und das ist gelungen. Wenn man sich ansieht, was es heute für Weltklasseweine aus Österreich gibt, dann weiß man, was möglich ist. Man muss nur etwas tun, damit Konsumenten und Konsumentinnen den Wert unserer Produkte erkennen. Deswegen bin ich überzeugt: Produzent:innen und Anbieter:innen – darunter auch die Gastronom:innen – sollten sich nicht nach dem teils wirklich schrecklichen Geschmack der Konsumierenden richten, sondern sich zusammentun und die Konsumierenden animieren, Qualität zu erkennen und auch wertzuschätzen.
@ Canva
Weingarten
Mitte der 1980er Jahre war der österreichische Weinmarkt praktisch tot. Dann kam ein strengeres Weingesetz.
„Produzent:innen und Anbieter:innen sollten sich zusammentun und die Konsumierenden animieren, Qualität zu erkennen und auch wertzuschätzen.“
Volker Plass
Sprechen wir noch über ein anderes Thema. Die EU plant eine neue Saatgutverordnung, laut der der Handel mit Saatgut auch unter Landwirt:innen und Gärtner:innen streng reguliert würde. ARCHE NOAH setzt sich stark dafür ein, dass dieses Gesetz in dieser Form nicht verabschiedet wird. Worum geht es Ihnen dabei genau?
Volker Plass: Wir sagen ohne Übertreibung: Da steht eine Jahrhundertentscheidung bevor. Denn die gesetzlichen Rahmenbedingungen, nach welchen Saatgut in der EU produziert, verkauft und in Verkehr gebracht werden darf, stammen alle aus den 1960er-Jahren. Es ist also dringend notwendig, dass es ein neues, modernes – und wir sagen auch bewusst: liberales – Saatgutrecht gibt. Wir haben jetzt die Situation, dass gerade einmal vier große Konzerne mehr als die Hälfte des weltweiten Saatgutmarktes dominieren. Was also Jahrtausende lang in kleinbäuerlicher und gärtnerischer Hand war, ist heute reine Konzernware geworden. Wir kämpfen dafür, dass dieses neue Saatgutgesetz meinetwegen für Konzerne gelten soll, dass aber gemeinnützige Erhaltungsorganisationen, Kleinbauern, Kleinbäuerinnen und Gärtner:innen davon ausgenommen sind.
@ Canva
Saatgut
ARCHE NOAH setzt sich dafür ein, dass gemeinnützige Erhaltungsorganisationen, Kleinbauern, Kleinbäuerinnen und Gärtner:innen vom neuen EU-Saatgutgesetz ausgenommen werden.
„Wir sagen ohne Übertreibung: Da steht eine Jahrhundertentscheidung bevor.“
Volker Plass
Dass diese also frei das Saatgut zirkulieren lassen können, ohne die bürokratischen Einschränkungen, die die EU durch dieses Gesetz vorschreiben würde, beachten zu müssen.
Volker Plass: Genau. Denn wenn die Weitergabe von Saatgut zwischen landwirtschaftlichen Betrieben sowie von Erhaltungsorganisationen an die Bäuerinnen und Bauern so drastisch eingeschränkt wird, wie laut diesem Gesetz geplant, wird das die Nutzpflanzenvielfalt noch stärker beschädigen und zurückdrängen. Wir sind der Meinung, dass es in dem Bereich kein strenges Saatgutrecht braucht, weil Landwirte und Landwirtinnen ja sehr wohl unternehmerische Entscheidungen treffen können und sehr wohl selbst entscheiden können, was sie da anbauen. Außerdem gibt es beim Einkauf von Saatgut ja die ganz normale Produkthaftung. Hier sind wir sehr aktiv und versuchen, mit den Parlamentarier:innen, vor allem mit den Berichterstatter:innen der einzelnen EU-Fraktionen, Kontakt zu halten, damit Verbesserungen an diesem Gesetzesvorschlag vorgenommen werden. Und Stand heute sind wir auch optimistisch, dass uns das gelingt.

Seit über 30 Jahren setzt sich der Verein ARCHE NOAH für den Erhalt tausender gefährdeter Gemüse-, Obst- und Getreidesorten in Österreich ein. Mit 17.000 engagierten Mitgliedern und Förderer:innen ist dem Verein schon vieles gelungen – doch es gibt aufgrund besorgniserregender Entwicklungen noch viel zu tun.
Volker Plass

Volker Plass

Geschäftsführer Arche-Noah

Neu bei Gaumen Hoch

Unsere Bewegung wächst: Um Menschen, die Lebensmittel verantwortungsbewusst herstellen oder verarbeiten. Und uns inspirieren, uns gesünder zu ernähren.