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„Es wäre falsch, Rudolf Steiner als Übervater von Demeter anzusehen“

Demeter-Obmann Andreas Höritzauer nimmt Stellung. Und räumt auch gleich mit dem Esoterik-Image des Bio-Verbands auf.
von Lucas Palm
Biologische Landwirtschaft
© Canva

Als Bauer am Wegwartehof im oberen Waldviertel, der auf die Erzeugung von Stutenmilch und Stutenmilchkosmetik und den Anbau von Heil- und Gewürzkräutern spezialisiert ist, bewirtschaftet Andreas Höritzauer seinen Hof nach Demeter-Prinzipien. Diese gehen auf einen Impuls des österreichischen Anthroposophen Rudolf Steiner aus 1924 zurück – und stehen bis heute für eine neue Art von Landwirtschaft, die sich als lebendigen Organismus aus Boden, Pflanzen, Tieren und Menschen begreift.

@ Martina Fink
Martina Finks Schafe
Demeter-Betriebe stehen bis heute für eine neue Art von Landwirtschaft, die sich als lebendigen Organismus aus Boden, Pflanzen, Tieren und Menschen begreift.

Mit über 260 Höfen in ganz Österreich und 7.000 weltweit ist Demeter der einzige weltumspannende Bioverband dieser Art – und ständig in Bewegung. Im Interview erklärt Andreas Höritzauer, worin sich die biodynamische von der biologischen und konventionellen Landwirtschaft unterscheidet, was Demeter in Zukunft noch alles vorhat – und warum zusammen mit Gaumen Hoch Großes erreicht werden kann.

„Der Weg, den Demeter-Bäuerinnen und -Bauern gehen, ist eine völlig andere Art, Landwirtschaft zu betreiben.“
Andreas Höritzauer
Herr Höritzauer, rund um die Begriffe bio und biodynamisch gibt es immer wieder Missverständnisse. Das liegt auch daran, dass unterschiedliche Zertifikate und Labels bei Konsumenten für Verwirrung sorgen. Wofür steht in diesem Kontext Demeter?
Höritzauer: Ganz einfach gesagt: Demeter ist nicht Bio-plus, sondern viel mehr. Der Weg, den Demeter-Bäuerinnen und -Bauern gehen, ist eine völlig andere Art, Landwirtschaft zu betreiben. Eine viel ganzheitlichere als die konventionelle oder rein biologische Landwirtschaft.  
@ Canva
Landwirt schaut auf sein Feld
Demeter ist nicht Bio-plus, sondern viel mehr. Nämlich eine ganzheitlichere als die konventionelle oder rein biologische Landwirtschaft.
Was heißt das konkret? 
Höritzauer: Demeter steht in erster Linie für biodynamische Agrikultur. Das bedeutet, es geht darum, eine Landwirtschaft als lebendigen Organismus zu begreifen, in dem Tiere, Menschen, Pflanzen und Boden alle einander bedingen, um gute Lebensmittel für den Menschen hervorzubringen. In der Regel werden in einem biodynamischen Betrieb so viele Tiere gehalten, wie Landwirtinnen und Landwirte mit ihrem Land ernähren können. Ihr Mist wiederum sorgt für eine hohe Bodenfruchtbarkeit – das alles ergibt einen biodynamischen Kreislauf. Ziel ist es, den Boden zu verlebendigen. Den Unterschied zwischen konventioneller, biologischer und biodynamischer Landwirtschaft kann man in einem einfachen Satz auf den Punkt bringen: Die konventionelle Landwirtschaft möchte den Boden nutzen, die biologische möchte ihn erhalten – aber die biodynamische möchte ihn entwickeln. Das gelingt auch mithilfe von Präparaten, die seit den Gründungsideen von Rudolf Steiner immer weiterentwickelt wurden.
„Biodynamische Agrikultur bedeutet, eine Landwirtschaft als lebendigen Organismus zu begreifen, in dem Tiere, Menschen, Pflanzen und Boden alle einander bedingen, um gute Lebensmittel für den Menschen hervorzubringen.“
Andreas Höritzauer
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Bauernhof
Tiere, Menschen, Pflanzen und Boden bedingen alle einander, um gute Lebensmittel für den Menschen hervorzubringen.
Der Anthroposoph Rudolf Steiner wird immer wieder im Zusammenhang mit Demeter genannt. Welche Rolle spielen seine Ideen heute, 100 Jahre nach der Gründung, bei Demeter?
Höritzauer: „Der landwirtschaftliche Kurs“ ist und bleibt natürlich enorm wichtig für Demeter. Es handelt sich dabei um eine Vortragsreihe aus dem Jahr 1924, die Steiner vor Landwirtinnen und Landwirten gehalten hatte, die nach Lösungen suchten, weil sie bemerkten, dass Boden- und Nahrungsqualität sich verminderte. Steiner machte mit unterschiedlichen Ansätzen klar, dass die Landwirtschaft nicht Veränderungen brauchte, sondern völlig neu gedacht werden muss. Zentral war dabei von Anfang an der Begriff der Entwicklung. Deswegen wäre es auch falsch, Rudolf Steiner als einen dogmatischen Übervater von Demeter anzusehen. Ja, er hat Impulse gegeben, aber diese werden von jeder Generation weiterentwickelt.
„Es wäre falsch, Rudolf Steiner als einen dogmatischen Übervater von Demeter anzusehen.“
Andreas Höritzauer
@ Canva
Schweine
Die Landwirtschaft brauchte nicht Veränderungen, sondern musste völlig neu gedacht werden.
Demeter haftet, gerade auch wegen der Schriften Rudolf Steiners, manchmal das Image eines esoterischen Zirkels an. Was sagen Sie dazu?
Höritzauer: Wir sind keine Esoteriker oder anthroposophischen Überflieger, die irgendeine Religion vertreten. Sondern Bäuerinnen und Bauern. Ich verstehe natürlich, dass gerade in den Anfangszeiten von Demeter, als es noch keine sozialen Netzwerke und andere Kommunikationskanäle gab, alles ein wenig okkult gewirkt hat. Da wirkte man von außen schnell wie eine verschworene Sekte, weil man wenig Aufklärungsarbeit in der Öffentlichkeit leisten konnte. Das ist heute zum Glück anders. Die Leute können besser nachvollziehen, was wir warum tun. Man kann sich sogar YouTube-Videos anschauen, wie man Präparate herstellt. Ich finde das auch gut so! 
„Wir sind keine Esoteriker oder anthroposophischen Überflieger, die irgendeine Religion vertreten. Sondern Bäuerinnen und Bauern.“
Andreas Höritzauer
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Marktverkauf
Es geht darum, Lebensmittel herzustellen, die Menschen und Natur in ihrer Entwicklung unterstützten.
Was hat Sie bewogen, Partner von Gaumen Hoch zu werden? 
Höritzauer: Ich finde die Initiative sehr spannend und auch für uns Demeter-Bäuerinnen und -Bauern sehr vielversprechend – vor allem, wenn man bedenkt, dass Menschen in Österreich im internationalen Vergleich oft in die Gastronomie essen gehen. Es gibt erstaunlich viele Länder, in denen das gemeinsame Essengehen in Restaurants viel weniger ausgeprägt ist. Wenn dadurch mehr Demeter-Produkte den Weg in die Gastronomie finden, dann ist das eine dreifache Win-Win-Win-Situation für Produzierende, Kochende und Konsumierende gleichermaßen. Zwei Dinge sind mir dabei besonders wichtig: Es geht uns ja nicht darum, dass wir etwas produzieren und es möglichst teuer verkaufen. Sondern es geht auch hier wieder um das Thema der ganzheitlichen Entwicklung. Es geht darum, Lebensmittel herzustellen, die Menschen und Natur in ihrer Entwicklung unterstützten. Und darüber hinaus geht es uns darum, mit Gaumen Hoch die Vision des sogenannten assoziativen Wirtschaftens besser umsetzen zu können.
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Restaurantessen
Es gibt erstaunlich viele Länder, in denen das gemeinsame Essengehen in Restaurants viel weniger ausgeprägt ist als in Österreich.
„Wenn durch Gaumen Hoch mehr Demeter-Produkte den Weg in die Gastronomie finden, dann ist das eine dreifache Win-Win-Win-Situation für Produzierende, Kochende und Konsumierende gleichermaßen.“
Andreas Höritzauer
Worum geht es beim „assoziativen Wirtschaften“ genau?
Höritzauer: Wir verstehen darunter den dritten Weg zwischen Planwirtschaft und Marktwirtschaft. Die Idee: Dass sich alle Beteiligten der Wertschöpfungskette – also Produzent:in, Verarbeiter:in, Händler:in und Konsument:in – an einen Tisch setzen und sich gemeinsam den Preis für Lebensmittel ausmachen. Meine Hoffnung ist, dass über Gaumen Hoch genau dieses Verantwortungsbewusstsein für nachhaltige Lebensmittel geschärft wird. Indem einem klar wird: Wenn ich etwas kaufe, dann gebe ich damit implizit den Auftrag, dieses Lebensmittel wieder zu produzieren. Beim assoziativen Wirtschaften fragt man den jeweils anderen: Was brauchst du, damit es dir gut geht? Was können wir gemeinsam tun in der Wertschöpfungskette, damit es uns allen gut geht? Genau hier bin ich überzeugt, dass Gaumen Hoch viel bewirken kann.
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Gemüsekiste
„Meine Hoffnung ist, dass über Gaumen Hoch das Verantwortungsbewusstsein für nachhaltige Lebensmittel geschärft wird. Indem einem klar wird: Wenn ich etwas kaufe, dann gebe ich damit implizit den Auftrag, dieses Lebensmittel wieder zu produzieren.“
Andreas Höritzauer
Demeter feiert im Jahr 2024 sein 100-jähriges Bestehen. Wie blicken Sie in die Zukunft?
Höritzauer: Ich glaube nicht, dass Demeter eine Mainstream-Bewegung wird. Weil man, ehrlich gesagt, schon ein bisschen verrückt sein muss, um das zu machen. Das meine ich aber positiv und vor allem auch wortwörtlich: Man muss sich ver-rücken, um sich auf den Weg zu machen, um sich und seine Landwirtschaft ständig weiterzuentwickeln und lebendig zu halten. Aber 100 Jahre hin oder her: Demeter steht erst am Anfang des Weges. Unser Ansatz für die Zukunft lautet nicht: Was wollen wir tun? Sondern: Was braucht es?

Meines Erachtens braucht es zwei Dinge in Zukunft: Einerseits das Verständnis eines Landwirtes oder einer Landwirtin vom Hof als Organismus. Nach Rudolf Steiner sollte jeder Hof eine in sich geschlossene Entität sein, die möglichst wenig von außen braucht. Das bedeutet nicht, dass man den Betrieb hermetisch von außen abriegeln muss, ganz und gar nicht. Der Hof soll vielmehr eine gesunde Zelle inmitten eines großen Organismus sein. Und das zweite, was es in Zukunft braucht, sind funktionierende Netzwerke. Wenn diese auf einer sozialen Ebene gut funktionieren, wenn ausreichend Austausch wie eben beim assoziativen Wirtschaften gegeben ist, dann ist für die Zukunft der Biodynamie vieles möglich. Und genau daran kann auch Gaumen Hoch mitwirken.
Andreas Höritzauer

Andreas Höritzauer

Obmann Demeter Österreich

Neu bei Gaumen Hoch

Unsere Bewegung wächst: Um Menschen, die Lebensmittel verantwortungsbewusst herstellen oder verarbeiten. Und uns inspirieren, uns gesünder zu ernähren.