Zwischen Haube und Haltung: Wie entstehen Restaurant-Bewertungen?

Ein Gespräch mit Kabarettist Florian Scheuba und Gault&Millau-Cheftester Jürgen Schmücking über die Kunst des Essens, Bewertens und Bewahrens.
Kabarettist Florian Scheuba und Gault&Millau-Cheftester Jürgen Schmücking mit Alexandra Seyer-Gmeinbauer
© Gaumen Hoch

In der Labstelle in Wien herrscht Mittagsstimmung: Gläser klirren, das Service huscht vorbei. Mitten im ersten Bezirk sitzen Alexandra Seyer-Gmeinbauer, Florian Scheuba und Jürgen Schmücking – und reden über etwas, das in der Gastronomie für Gänsehaut sorgt: Restaurantbewertungen.

Scheuba, Kabarettist mit Faible für gutes Essen, erzählt von seinem kulinarischen „Erweckungserlebnis“ in Florenz: „Seit diesem Tag hat mich das Thema gepackt – es hat viel mit bewusster Lebensfreude zu tun.“ Eine Lebensfreude, die er auch den Leser:innen seiner Kolumnen mit Kulinarikbezug weitergibt. Gault&Millau-Herausgeberin Martina Hohenlohe sagte über ihn vor einigen Jahren: „Selten wird man jemanden finden, der mit solcher Hingabe, Aufmerksamkeit und Geduld isst wie Florian Scheuba.“

Neben dem „passionierten Auswärtsesser“, wie ihn einst die Presse nannte, sitzt Jürgen Schmücking, Cheftester beim Gault&Millau. Er nickt und ergänzt: „Wichtig ist die Fähigkeit, geschmackliche Unterschiede zu erkennen – und sie zu beschreiben.“

Hinter den Kulissen der Kritik

Rund 60 Tester:innen sind österreichweit aktiv, etwa 20 davon regelmäßig. Ihre Identität bleibt geheim. „Man kennt die Tester:innen wirklich nicht“, sagt Schmücking. „Aber in manchen Küchen hängen Fotos möglicher Kritiker:innen an der Wand.“

„In manchen Küchen hängen Fotos möglicher Kritiker:innen an der Wand.“
Jürgen Schmücking
© Gaumen Hoch
Kabarettist Florian Scheuba und Gault&Millau-Cheftester Jürgen Schmücking mit Alexandra Seyer-Gmeinbauer
„Übers Essen spricht man nicht“-Host Alexandra Seyer-Gmeinbauer im Gespräch mit Kabarettist Florian Scheuba und Gault&Millau-Cheftester Jürgen Schmücking.

Bewertet wird auch für den Gault&Millau-Guide 2026, was auf dem Teller liegt – nicht die Freundlichkeit der Kellner:innen oder die Dicke der Serviette. Schmücking lacht: „Lasst euch nicht irritieren von herausragendem Service – es zählt das Gericht.“

Wer bewertet eigentlich, und nach welchen Regeln?

Wie kommt ein Restaurant in den Gault&Millau-Guide?Eine Grunddatenbank enthält hunderte Betriebe aus ganz Österreich. Neue Lokale können sich selbst melden – wichtig sind regelmäßige Öffnungszeiten (mind. drei Tage pro Woche) und mindestens 16 Sitzplätze.
Wer testet?Rund 60 Tester:innen sind im Einsatz, etwa 20 bis 25 davon regelmäßig. Sie bleiben anonym und bezahlen ihre Besuche selbst. Nur Cheftester Jürgen Schmücking kennt alle Namen.
Was wird bewertet?Entscheidend ist die Küche: Produktqualität, handwerkliche Präzision, Geschmack, Kreativität und Balance. Service und Ambiente werden beschrieben, fließen aber nicht in die Punktezahl ein.
Wie wird bewertet?Die Skala reicht von 0 bis 20 Punkten.
Ab 11 Punkten gibt es Hauben:
1 Haube (11–12,5)
2 Hauben (13–14,5)
3 Hauben (15–16,5)
4 Hauben (17–18,5)
5 Hauben (ab 19)
Was gibt es noch?Neben den Hauben des Gault&Millau gibt es beispielsweise noch die Gabeln des Falstaff und die wichtigste Auszeichnung der Spitzengastronomie, die Sterne des Guide Michelin.
„Wie in der Musik – man hört ja auch nicht nur die Streicher:innen heraus. Man muss das Ganze genießen.“
Florian Scheuba

Ein Teller, der alles erklärt

Und auch hier kommt ein Gericht auf den Tisch – in diesem Fall in der Wiener Labstelle. Küchenchef Matthias Hausburg serviert sein veganes Signature-Dish: Erdäpfelnudeln mit Pilzfond, geflämmten Pilzen und Kapuzinerkresse.

Wie wird man Restaurantkritiker:in?

Einen offiziellen Lehrgang für Restaurantkritik gibt es nicht – Tester:innen kommen meist aus der Gastronomie, dem Weinbau oder dem Kulinarikjournalismus. Entscheidend sind sensorische Schulung, Neugier und Sprachgefühl.

Jürgen Schmücking selbst kam über die Sensorik zum Job: Er lernte, feine geschmackliche Unterschiede zu erkennen und präzise zu beschreiben – eine Fähigkeit, die für Tester:innen essenziell ist. „Man braucht keinen Titel“, sagt er, „aber einen sehr offenen Zugang zu Kulinarik – und die Fähigkeit, Eindrücke in Worte zu fassen.“

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Erdäpfelnudeln mit Pilzfond, geflämmten Pilzen und Kapuzinerkresse aus der Labstelle in Wien.
Erdäpfelnudeln mit Pilzfond, geflämmten Pilzen und Kapuzinerkresse: Ein veganes Signature-Dish von Labstelle-Küchenchef Matthias Hausburg.

Schmücking gefällt die Art der Anrichtung und auch der Geruchstest wird bestanden. Das ist wichtig, denn „riechen ist der erste Zugang.“ Anschließend wir probiert und Scheuba ergänzt: „Wie in der Musik – man hört ja auch nicht nur die Streicher:innen heraus. Man muss das Ganze genießen.“

Gemüse ist das neue Gourmet

Das Gespräch führt schnell zu den großen Themen der Branche: Nachhaltigkeit, Regionalität und vegetarische Küche. Schmücking beobachtet, dass Gemüsegerichte heute die spannendsten sind: „Da steckt die meiste Kreativität drinnen. Viele trauen sich nur den letzten Schritt noch nicht – das Gemüse auch zum Hauptgang zu machen.“ Scheuba nickt: „Der Hauptfeind der vegetarischen Küche ist das Wort fad. Aber das, was heute auf den Tellern passiert, ist alles andere als das.“

Top Secret? Das sind die bekanntesten Restaurantkritiker:innen Österreichs.

Die Tester:innen des Gault&Millau sind anonym unterwegs. Es gibt aber auch einige bekannte kulinarische Kommentator:innen, bei deren Besuch Küche und Service etwas nervös werden dürften. Zu ihnen gehören unter anderem Severin Corti, Anna Burghardt, Florian Holzer, Alexander Bachl und Herbert Hacker. Parallel dazu entwickelt sich dank Social Media in den letzten Jahren eine immer größere und reichweitenstärkere Gruppe an Influencer:innen, die ebenfalls Restaurantkritiken abgeben. Zu ihr gehören unter anderem Lisa Pestschansky, „Die Speckis“, Martin Puttler und DJ Mosaken.

© Gaumen Hoch
Kabarettist Florian Scheuba und Gault&Millau-Cheftester Jürgen Schmücking
Genussmenschen aus Überzeugung: Kabarettist Florian Scheuba und Gault&Millau-Cheftester Jürgen Schmücking.
„Ich glaube auch nicht, dass die Gastronomiekritik eine amtliche Überprüfung bieten kann. Es ist aber richtig, Betriebe hervorzuheben.“
Florian Scheuba

Bewerten mit Haltung

Und natürlich geht es auch um Verantwortung. „Es braucht Auszeichnungen, die überprüfbar sind, aber nicht zu rigide werden“, sagt Schmücking. Scheuba ergänzt: „Ich glaube auch nicht, dass die Gastronomiekritik eine amtliche Überprüfung bieten kann. Es ist aber richtig, Betriebe hervorzuheben.“ Als das Gespräch endet, sind die Teller leer – und die Köpfe voll.

Restaurantwertungen, so wird klar, sind mehr als Zahlen und Hauben. Sie erzählen vom Versuch, Genuss, Qualität und Haltung in Einklang zu bringen. Und sie zeigen, dass man über Essen sehr wohl sprechen darf – wenn man es mit Respekt und Appetit tut.

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