Saatgut-Monopole: Wie die EU unsere Landwirtschaft verändert

Schwer zu glauben, aber die Auswirkungen der „Verordnung zur Produktion und Vermarktung von Pflanzen-Vermehrungs-Material“ betreffen uns alle.
von Redaktion
Saatgut
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Luftlinie: 770 Kilometer. So weit liegen Brüssel und beispielsweise Linz auseinander. Die Entscheidungen, die in der EU-Hauptstadt getroffen werden, betreffen uns alle jedoch ganz unmittelbar. So ist es auch mit dem neuen EU-Saatgutrecht: Das lange diskutierte Gesetzespaket regelt, was in Zukunft auf unseren Äckern wachsen darf – und es bestimmt so über die Vielfalt auf unseren Tellern. Viele Arten und Sorten von früher, die wir vom Besuch bei unseren Großeltern kennen, gibt es trotz ihrer Qualität kaum mehr. Und die zukünftigen Möglichkeiten von Bäuerinnen und Bauern, die unabhängig von globalen Konzernen bleiben wollen, sind ungewiss. 

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EU in Brüssel
Auch in puncto Landwirtschaft das Zentrum der Macht in der Europäischen Union: Das EU-Parlament in Brüssel.

Die freie Entscheidung der Landwirtinnen und Landwirte

Im Juli 2023 hat die EU-Kommission ihren Gesetzesentwurf zu den neuen Rahmenbedingungen für bäuerliches Arbeiten vorgelegt. Landwirtinnen und Landwirte dürften laut diesem Vorschlag nicht frei entscheiden, welches Saatgut sie kaufen. Selbst dann nicht, wenn ihre Nachbarinnen und Nachbarn lokal angepasstes Getreide züchten und gerne verkaufen würden. Nach den Plänen der Kommission hätten diese nur mehr die Möglichkeit, das gefragte Saatgut unentgeltlich in kleinen Mengen weiterzugeben.

Der Verkauf wäre verboten. Die Weitergabe von Erdäpfeln oder Edelreisern, wie es jahrhundertelang Alltag zwischen Bauernhöfen war, könnte komplett verboten werden. Die Traditionen unserer Landwirtschaft stehen genauso auf dem Spiel wie ihre gute Zukunft. 

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Saatgut
In den Gärten von landwirtschaftlichen Betrieben schauen immer weniger Sprösslinge aus dem Boden: Früher wurde dieser Platz vor allem zu Selbstversorgung genutzt.

Beispiel Salzburg: Heute werden 97 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche als Mähwiesen und Weiden für die Milchwirtschaft genutzt. Getreide- oder Gemüseanbau gibt es nur mehr wenig, die traditionellen Hausgärten sind fast verschwunden. Früher hatte beinahe jeder Bauernhof auch Getreide, Obst und Gemüse angebaut, nicht zuletzt zur Selbstversorgung. Bis auf 1.600 Meter Seehöhe reichten die Felder hinauf. 

„Im Rat der Landwirtschaftsminister:innen muss Österreich nun dringend dafür sorgen, dass die heimischen Bäuerinnen und Bauern nicht durch überflüssige Bürokratie und Einschränkungen weiter in die Abhängigkeit von globalen Saatgut-Konzernen getrieben werden. Nur so können wir Vielfalt auf unseren Tellern ermöglichen.“
 Magdalena Prieler, ARCHE NOAH Saatgutpolitik

Im Laufe des letzten Jahrhunderts wurde diese Wirtschaftsweise zurückgedrängt. Doch gerade für eine ausgewogene, gesunde Ernährung brauchen wir Vielfalt. Laut der aktuellen österreichischen Ernährungsempfehlung des Gesundheitsministeriums sollte die Hälfte unseres Tellers mit Gemüse und Obst gefüllt sein, ein Viertel mit Vollkorn und ein weiteres Viertel mit Eiweiß aus vorwiegend pflanzlichen Quellen. 

Ein zukunftsfähiges Gesetz schafft Platz für regionale Saatgut-Produktion 

Das neue EU-Saatgutrecht könnte auch kleinere Saatgut-Produzentinnen und -Produzenten durch neue Bürokratie zum Aufgeben zwingen – zu Gunsten internationaler Konzerne wie Bayer, BASF und Syngenta. Dabei muss ein zukunftsfähiges Gesetz Platz und Rahmenbedingungen für regionale Saatgut-Produktion schaffen. Lokal angepasste Sorten wie der Waldviertler ‚Bergland-Roggen‘ oder auch die ‚Sechszeilige Pumpergerste‘ eröffnen den Betrieben neue Chancen im biologischen Anbau und in der Direktvermarktung.

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Industrielle Landwirtschaft
Große Teile der Landwirtschaft setzen verstärkt auf anpassungsfähige Sorten um der Klimakrise zu begegnen.

Die Vorzüge der Vielfalt sind belegt. In Zeiten der Klimakrise sind wir auf anpassungsfähige Sorten angewiesen, die Starkregen genauso aushalten wie Hitze und Trockenheit und die ohne Pestizide und chemisch-synthetische Düngemittel gut gedeihen. Dennoch hat die EU-Kommission vorgeschlagen, dass Organisationen wie ARCHE NOAH und sogar staatliche Genbanken künftig ihr Saatgut nur mehr an Hobby-Gärtner:innen weitergeben dürfen, nicht aber an Bäuerinnen und Bauern. Wie sollen Landwirtinnen und Landwirte für ihre Region passende Sorten finden oder bessere Sorten selbst züchten? Im ARCHE NOAH Samenarchiv lagern 5.500 Sorten – eine Schatzkiste und ein genetischer Baukasten für die landwirtschaftliche Zukunft und ihre Herausforderungen.

Die EU-Landwirtschaftsministerinnen sind am Zug

ARCHE NOAH fordert, dass die Minister:innen trotz steigendem Druck der Agrochemie-Lobby der Saatgut-Vielfalt den größtmöglichen Platz einräumen. Österreich hat im Vergleich zum Jahr 2014, als der letzte Versuch gestartet wurde, das EU-Saatgutrecht zu reformieren, seine Vorreiterrolle aufgegeben. Damals haben sich die EU-Abgeordnete Elisabeth Köstinger und der damalige Landwirtschaftsminister Nikolaus Berlakovich (beide ÖVP) erfolgreich gegen den katastrophalen Vorschlag der EU-Kommission gestellt.

Arche Noah fordert: Ein EU-Saatgutrecht, das die Kulturpflanzen-Vielfalt fördert

  1. Der Erhaltung und nachhaltigen Nutzung der Kulturpflanzenvielfalt muss im EU-Saatgutrecht Top-Priorität eingeräumt werden!
  2. Bäuerinnen und Bauern müssen zu ihrem Recht kommen: Ernte, Weitergabe, Tausch und Verkauf von eigenem Saatgut müssen legal möglich sein.
  3. Die Vermarktung von vielfältigen und lokal angepassten Sorten durch regionale Produzentinnen und Produzenten muss erleichtert werden!
  4. Zulassungstests unter Bio-Bedingungen: Neue Sorten dürfen nicht von Pestiziden oder Kunstdünger abhängig sein.

Im April 2024 hat sich die ÖVP allerdings in einer Abstimmung im EU-Parlament über den aktuellen Vorschlag enthalten. Im Rat der Landwirtschaftsminister:innen muss Österreich nun dringend dafür sorgen, dass die heimischen Bäuerinnen und Bauern nicht durch überflüssige Bürokratie und Einschränkungen weiter in die Abhängigkeit von globalen Saatgut-Konzernen getrieben werden. Nur so können wir Vielfalt auf unseren Tellern ermöglichen*, so Magdalena Prieler, Expertin für Saatgut-Politik bei ARCHE NOAH. Und die Bevölkerung steht hinter dieser Forderung: Bereits über 180.000 Personen haben die europaweite Saatgut-Petition „Hoch die Gabeln!“ unterschrieben.

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