Nicht, dass 600.000 Touristen im Jahr wurst wären. „Dass Mariazell ein viel besuchter Pilgerort ist, hilft uns natürlich“, sagt Sebastian Maderthoner. Aber: Der Gastgeber des Brauhaus Mariazell stellt auch klar, dass sein Betrieb mehr ist als eine saisonale Verpflegungsstation für ausgehungerte Pilger:innen. „Ein Gasthaus ist vor allem für die Menschen der Region da – und ein Ort, an dem engagierte Menschen aus der Region zusammenarbeiten“, so Maderthoner.
Was ein Gasthaus in Zeiten des Gasthaussterbens sonst noch alles sein kann, das wird hier, an der Wiener Straße 5, seit November vergangenen Jahres exemplarisch beantwortet. Auch, weil es im Gegensatz zu vielen anderen Wirt:innen im Lande eine unumstößliche Wahrheit nicht länger verdrängt: Das österreichische Landgasthaus muss sich neu erfinden. Aber wie?
Nachhaltigkeit gibt der Gastro Sinn
Antworten darauf, wie das Angebot zeitgemäß zu bleiben hat, wurden im Brauhaus Mariazell schon oft gefunden. Nicht umsonst wird hier seit der Mitte des 16. (!) Jahrhunderts gekocht und aufgetischt – und zwischendurch natürlich auch, weil nomen est omen, gebraut. Auch der letzte Hausherr, Hannes Girrer, der den Betrieb in vierter Generation über 30 Jahre lang führte, stellte hier seinen eigenen Gerstensaft her – bis im Herbst 2024 Schluss war. Der Grund: Von der Familie wollte niemand die Nachfolge antreten.
Ein Problem, mit dem sich heute viele Wirt:innen, die als Teil der sogenannten „Babyboomer“-Generation reihenweise in Pension gehen, konfrontiert sehen. Das Gasthaus und die Arbeit, die es verlangt, haben vor allem am Land offenbar an Attraktivität verloren. Was also tun? „Die Arbeit muss sich mehr denn je auch sinnvoll anfühlen, und das kann sie bei uns nur, wenn sie nachhaltig und zukunftsorientiert ist“, sagt Maderthoner, der vor acht Jahren noch unter der Familie Girrer in der Küche angefangen hatte.
„Wir bieten verstärkt vegetarische und vegane Gerichte mit regionalem Gemüse an, weil wir als Gasthaus auch die nächste Generation in der Region begeistern wollen.“
Mit Familie Lindmoser als neue Eigentümer, die im November 2024 das Brauhaus neu eröffnet hat, hat sich einiges verändert. Erstens wurde behutsam, aber gezielt umgebaut: Der Gästeraum ist nun heller, klarer – heimelig, ja, aber ohne das allzu finstere Rustikale, das so manches aus der Zeit gefallene Landgasthaus heute noch anhaftet. Gebraut wird nicht mehr, doch die Brauanlage sorgt im Eingangsbereich dennoch für einen ästhetischen Wow-Effekt. Vor allem aber hat sich in der Küche so einiges geändert.
Auch die Alten wollen’s wissen
„Wir bieten verstärkt vegetarische und vegane Gerichte mit regionalem Gemüse an, weil wir als Gasthaus auch die nächste Generation in der Region begeistern wollen“, so Maderthoner. „Außerdem hinterfragen nicht nur die jüngeren Gäste kritisch, woher unsere Lebensmittel kommen und ob sie bio sind, das kommt jetzt auch bei den älteren Gästen an.
Deswegen kommunizieren wir unsere Produzent:innen und Bezugsquellen viel klarer als früher, weil hohe Produktqualität und Transparenz heutzutage die Grundwährung sind, um als Gasthaus erfolgreich zu sein. Das Schnitzel um neun Euro, von dem keiner wissen will, woher es kommt, hat heute – und das ist gut so – ausgedient.“
Von Quinoa bis Meeresfrüchte
Auf der Speisekarte finden Gäste ein Produzent:innenverzeichnis, in dem jedes Produkt rückverfolgbar ist. An Veganem und Vegetarischem gibt’s etwa bunten Quinoasalat – mit Quinoa aus der Steiermark! –, Erdäpfelroulade gefüllt mit Blattspinat und Weizer Schafkäse auf Kürbisragout, Polentascheiben mit Naaser Schafskäse überbacken oder vegane Pasta mit Gemüseragout.
„Unser Ziel ist, als Gasthaus nicht nur stetig an der Qualitätsschraube zu drehen, sondern unseren Qualitätsanspruch auch nach außen zu tragen.“
In Sachen Fleisch, Fisch und sogar Meeresfrüchten und Schnecken bleibt’s genauso bio und regional: Die Steirische Gebirgsgarnele ist – im Frühling – auf ein cremiges Bärlauchrisotto gebettet, die Wiener Bio-Weinbergschnecken vom Gugumuck-Hof werden mit Kräuterbutter überbacken und die saftige Lachsforelle trumpft mit einem feinen Erdäpfel-Kren-Püree auf. „Unser Ziel ist, als Gasthaus nicht nur stetig an der Qualitätsschraube zu drehen, sondern unseren Qualitätsanspruch auch nach außen zu tragen, den Gästen zu erklären, was wir kochen, woher es kommt, worum’s uns geht“, sagt Maderthoner.
„Nur so bleiben wir als Gasthaus auch für die Menschen aus der Region relevant. Und nur so können wir auch die Preise rechtfertigen, die für eine nachhaltige und verantwortungsvolle Gastronomie nötig sind. Ob für Tourist:innen oder Einheimische, ist in diesem Fall ja wurst.“