Der Grüne Veltliner ist die dominanteste Weißweinsorte des Landes. Den Roten Veltliner, übrigens auch ein Weißwein, der aufgrund seiner fleischroten Trauben so heißt, trifft man schon seltener an. Aber eine wahre Rarität ist der Braune Veltliner, eine Spielart der roten Variante. Birgit Wiederstein hat die alte Sorte wiederentdeckt und -belebt, wie man so schön sagt. Landesweit dürfte das nur ihr gelungen sein.
„Vom Braunen Veltliner haben wir in Göttlesbrunn angeblich einen der ältesten Rebstöcke Mitteleuropas“, sagt die Winzerin. Ihr Sohn sei eines Tages aufgeregt aus der Schule gekommen, weil er erfahren hatte, wo dieser Rebstock ungefähr zu finden wäre. Im Garten eines uralten Gasthauses, hieß es. Nach weiterer Recherche wurde die gewünschte Stelle von Mutter und Sohn gefunden. „Wir haben gesagt: Wenn wir ein einziges Auge vom Braunen Veltliner finden, dann können wir daraus einen Stock machen – und daraus weitere Stöcke ziehen.“ Und so geschah es auch. Aus einem Auge, wie man die kleinen Triebe nennt, wurde acht Jahre später ein ganzer Weingarten. „Extravaganza“ hat Birgit den Wein genannt, der daraus entstanden ist. Er ist etwas milder von der Säure her und nicht sehr hoch im Alkoholgehalt. „Insofern passt er gut in die aktuelle Zeit, was wir 2012 natürlich noch nicht absehen konnten.“
27. Lese im 280 Jahre alten Keller
Göttlesbrunn gehört zum Weinbaugebiet Carnuntum. Birgit hat das Weingut 2002 von ihren Eltern übernommen. Ihre Mutter Grete ist immer noch aktiv im Business – als Schnapsbrennerin: „Wir sind eine Weiberwirtschaft“, wie Birgit sagt, die sich im Alleingang um die Reben und deren Veredelung kümmert. Das Gut selbst gibt es seit hunderten Jahren. Ihre Vorfahren hatten hier gemischte Landwirtschaften betrieben, darunter auch Weinbau. Der Keller, in dem Birgit heute noch steht, beobachtet und minimal interveniert, ist 280 Jahre alt. Schon im Alter von 19 Jahren wusste die Winzerin, dass es der Wein war, dem sie sich widmen wollte. Weitere Ausbildungen in Kellerwirtschaft und Weinbau folgten. „Gleich nach der Matura habe ich meinen ersten Wein gemacht. Heuer ist meine 27. Lese.“
Auf sieben Hektar wird auf dem Weingut Wiederstein neben raren Sorten wie dem Braunen Veltliner oder dem Lindenblättrigen, einer autochthonen Rebsorte aus dem unweiten Ungarn, auch Gelber Muskateller, Grüner Veltliner, Pinot Noir, Zweigelt, Merlot, und Blaufränkischer angebaut. Es sind feminine und subtile Weine mit Tiefgang und Selbstbewusstsein, „funkelnd und tänzelnd am Gaumen“, mit ausgefallenen Etiketten und klingenden Namen wie Venus, Artemisia oder Diva. Den Großteil exportiert Birgit in europäische Länder sowie nach Japan, in die USA und nach Kanada. In Österreich lässt sie ihre Weine über ausgewählte Vinotheken vertreiben.
„Wenn man biodynamisch arbeitet, braucht man neben dem Rüstzeug, das man in der Ausbildung mitbekommt, ein Gespür, das sich nach und nach entwickelt.“
Birgits Betrieb ist biozertifiziert. Sie wirtschaftet dort nicht „nur“ biologisch, sondern nach biodynamischen Prinzipien. „Wenn man biodynamisch arbeitet, braucht man neben dem Rüstzeug, das man in der Ausbildung mitbekommt, ein Gespür, das sich nach und nach entwickelt.“ Man muss nicht nur die chemischen, physikalischen und biologischen Zusammenhänge verstehen, sondern braucht auch ein gewisses Grundvertrauen in die Natur und das planetarische Geschehen. „Wenn ich die Rhythmen verstehe, in denen sich alles bewegt, dann tue ich mir leichter in der Zusammenarbeit. Bei Vollmond ist alles etwas stehender und langsamer, bei Neumond geht mehr voran – das kann ich an meinen Gärkurven ablesen. Bei Vollmond weiß ich: Ich muss nicht intervenieren.“
Apropos Zusammenarbeit: Ihre Reben sieht Birgit als Dialogpartner, mit denen sie nicht nur verbal kommuniziert. „Ich versuche, es ihnen so angenehm wie möglich zu machen“, sagt sie. Biodynamisch ist die Sprache, die sie mit den Reben spricht. „Da sind die Effekte am unmittelbarsten.“ Sie sieht sich eher als „Weinwerdungsbegleiterin“ denn als Weinmacherin. Und fragt sich, wie sie den Boden und das Umfeld der Reben gestalten und ein optimales Wurzelwerk schaffen kann, ohne Wasser zuführen zu müssen. Und gleichzeitig die immer stärker werdenden Extreme aus großen Wassermengen und Trockenheit ausbalancieren zu können. „Wir haben heute andere Vorzeichen als vor 50 Jahren. Aber wir haben es damals geschafft und werden es auch heute schaffen. Das Wichtigste ist, dass man jetzt nicht resigniert, sondern positiv, offen und interessiert bleibt.“
„Ich finde es schade, dass man im Kontext Naturwein immer das erwähnt, was nicht drin ist. Bei industriell gefertigten Weinen wird über Terroir, Sorten und Jahrgänge geredet, aber im Grunde schmecken sie sehr ähnlich, egal woher sie kommen und wann sie geerntet wurden.”
Naturweine als Geschichtenerzähler
Dass das Weingut Wiederstein auch Naturweine führt, scheint nur logisch zu sein. „Ich finde es schade, dass man im Kontext Naturwein immer das erwähnt, was nicht drin ist“, sagt Birgit: Zusatzstoffe, kommerzielle Hefe, Filtration, Sulfite. „Bei industriell gefertigten Weinen wird über Terroir, Sorten und Jahrgänge geredet, aber im Grunde schmecken sie sehr ähnlich, egal woher sie kommen und wann sie geerntet wurden. Naturweine sind lebendig, sie haben Charakter, sie erzählen Geschichten und sind jedes Jahr anders.“ Man weiß nie wirklich, was geschmacklich dabei herauskommt. Wobei auch hier gilt: Das saubere und ordentliche Arbeiten ist Grundvoraussetzung für Qualität. Fehler oder Schwächen sollte man weder beim Menschen noch beim Wein als Charakter verkaufen. Ein fehlerhafter Naturwein darf genauso wenig als starker Charakter durchgehen wie ein notorischer Lügner.
Der Weinbau ist für Birgit Wiederstein eine unerschöpfliche Quelle, die immer wieder Überraschungen hervorbringt. „Da werden Geschichten aus aller Welt erzählt, und das seit tausenden Jahren. Selbst wenn du glaubst, du kennst schon alles, findest du staunenden Auges immer wieder etwas Neues. Und dafür brenne ich, dafür lebe ich. Es gibt keinen Künstler, der so kreativ ist wie die Natur.“