In gewissen Kreisen – etwa unter Hobby- und Sportfischern – ist der Karpfen (Cyprinus carpio) ein echter Vorzeigefisch. Zahllose Instagram-Bildergalerien und (teils erotisch angehauchte) Karpfenkalender zeugen von einer fast schon kultischen Verehrung. Kulinarisch hat der in Europa seit der Spätantike heimische Süßwasserfisch einen etwas weniger guten Ruf und wird allenfalls als weihnachtlicher Festtagsschmaus anerkannt.
Das ist eine Tragödie. Denn der Karpfen kann so viel mehr.
Vom Grunde des Geschmacks
Seine Karriere als Weihnachtsmahlzeit hat der Karpfen alten, katholischen Speisegeboten zu verdanken: Heiligabend wurde noch lange als Fasttag begangen, der Karpfen dabei zu einer gangbaren Alternative – war als solche aber oft wirklich nur eine Notlösung. Denn zu lange wurde in der Karpfenzucht nur auf Masse gesetzt, auch bei der Wasserqualität war nicht immer der Genuss das oberste Ziel. Der Geschmack eines Karpfens hängt aber ganz entscheidend von seinen Umweltbedingungen ab.
Das gefürchtete „Grundeln“ etwa ist das Ergebnis eines erhöhten Vorkommens von Algen und Bakterien, die einen Stoff namens Geosmin produzieren, der wiederum zu dem unangenehm moosigen Beigeschmack führt. Ein paar Tage im Frischwasser verschaffen Abhilfe, weshalb der klassische Weihnachtskarpfen seine letzten Tage einst oft in heimischen Badewannen verbrachte.
Allerdings wird heute längst nicht mehr so stickstoffreich gedüngt wie noch in den 1990er-Jahren, weshalb Österreichs Karpfenteiche in der Regel auch weniger stark von Mikroorganismen belastet sind. Der Karpfen ist in Österreich zwar ein Leitfisch für niedrig gelegene Gewässer, der in Bergseen nie heimisch werden wird, aber doch von kühleren Wassertemperaturen profitiert. Auch deshalb hat sich eine nennenswerte Karpfen-Teichwirtschaft vor allem im kühlen Waldviertel etabliert – wo die zahlreichen kleinen Teiche heute wichtige Grundlagen der Biodiversität darstellen.
Schuppenfrage:
Die wichtigsten
Karpfen-Varianten
Jahrhunderte des Karpfenkonsums haben vielfältige Zuchtformen hervorgebracht. Die bekanntesten Grundvarianten sind der Amur- oder Graskarpfen, der Schuppenkarpfen, der kaum geschuppte Spiegelkarpfen und die völlig schuppenlosen Lederkarpfen.
Der Gutfisch
Der Karpfen ist angesichts von maritimer Überfischung und industrieller Aquakultur eine wichtige Ergänzung für unseren Speiseplan: Die Süßwasserfische können in der Teichwirtschaft komplett biologisch-nachhaltig bewirtschaftet und dabei auch vollständig pflanzlich ernährt werden, also ohne Fischmehlzufütterung, was ihre Ökobilanz ganz weit in den grünen Bereich schießt. Unter den Speisetieren ist der Zuchtkarpfen in Europa damit sogar einigermaßen konkurrenzlos.
Der Karpfen, zu dessen Verwandtschaft auch die Nasen, Rotfedern und Schleien gehören, laicht im Frühjahr und wird traditionell im Herbst abgefischt. Allerdings ist der Karpfengenuss nicht zwangsläufig auf die kalte Jahreszeit beschränkt. Dies ist eher der Tradition geschuldet, in der die Tiere noch auf ein möglichst hohes Schlachtgewicht hin gemästet wurden. Von Natur aus haben Karpfen tatsächlich nicht wesentlich mehr Fett als andere Fische, allerdings in der Zuchtform sehr oft relativ fette Bauchlappen.
Rekordkarpfen
Durchschnittliche Spiegelkarpfen werden etwa 40 bis 50 Zentimeter lang und zwei bis drei Kilogramm schwer, allerdings sind die Gewichtsklassen nach oben hin ziemlich weit offen. Der schwerste bis dato gefangene Wildkarpfen war knapp über 51 Kilogramm schwer und wurde im Herbst 2018 in Ungarn gekeschert. Im Sommer 2022 wiederum gelang dem deutschen Fischer Oliver Jack aus Karlsruhe in Thailand der Fang seines Lebens, als ihm ein 113 Kilogramm schwerer Siamesischer Riesenkarpfen an die Angel ging.
Karpfen schröpfen oder nicht schröpfen, das ist keine Frage
Die Frage ist vielmehr: von der Haut- oder der Fleischseite? Bei kleineren Tieren ist Letzteres vorzuziehen, bei größeren eher die Version von der Hautseite her – oder, noch besser, das komplette Herausfiletieren des Grätenstrangs, den man auch nicht gleich wegschmeißen muss. Lukas Nagl vom Bootshaus am Traunsee macht daraus etwa vorzügliche Fischfarcen. Das Schröpfen – also das tiefe Einschneiden des Fleisches durch den Grätenstrang in gut millimeterbreiten Abständen – dient dazu, die Y-Gräten, die beim Karpfen direkt im Fleisch sitzen, zu zerteilen und damit genießbar zu machen.
Ab in die Fischküche
Das Fleisch des Karpfens ist kräftig, aber übergart trotzdem schnell. Schonende Behandlung ist angeraten, die klassischen Zubereitungsformen sind allerdings nicht gerade subtil: gebackener Karpfen oder die „serbische“ Variante, bei der die Filets mit Paprikapulver gewürzt, meliert und schwimmend herausgebacken werden. In sanfteren, chinesisch angehauchten Zubereitungen – gedämpft mit Ingwer, Frühlingszwiebeln, Reiswein und Sojasauce – kommt der Karpfen wesentlich besser zur Geltung. Ja, und dann wäre da noch die legendenumwobene Fischbeuschlsuppe: Aus den Karkassen und Abschnitten wird ein Fischfond bereitet, daraus eine mit Mehl angedickte und säuerlich abgeschmeckte Suppe gekocht, in der das parallel gegarte Fischbeuschl und die Karpfenmilch serviert werden. Dazu unverzichtbar: Croutons!