Als Alfred Grand klein war, hat er seiner Mutter zum Muttertag einmal einen Kübel voller Regenwürmer geschenkt. Leider waren sie am Tag der Übergabe bereits tot und verströmten einen entsprechenden Geruch. Aber es geht ja um die Geste. Und die war liebevoll gemeint, denn die Faszination für die kleinen Kriechtiere hat Alfred Grand von seinen Eltern geerbt.
Diese haben damals schon die Landwirtschaft in Absdorf im Tullnerfeld betrieben, heute nennt sich der Bio-Bauernhof GRAND FARM. Und sie wussten schon damals den Job der Regenwürmer in der Erde zu schätzen – sie durchlüften den Boden, versorgen ihn mit Nährstoffen, kompostieren altes Laub und vieles mehr. Je mehr Regenwürmer in der Erde wühlen, umso gesünder also der Boden.
„Unser Ziel ist es, dass die Umwelt nicht zerstört wird, sondern im Gegenteil: dass die Umwelt aufgebaut und das Klima geschützt wird.“
Alfred besuchte die Weinbauschule Retz, aber mehr als der Wein hat ihm das Thema Kompostieren zugesagt, das dort gelehrt wurde: „Mich hat fasziniert, dass durch die Arbeit der Mikroorganismen die Temperatur in den Kompostmieten, also Komposthaufen, stark ansteigt. Und ich habe mich gefragt, wie man die Temperatur vielleicht einfangen könnte, um damit zu heizen.“
Im damals noch jungen Internet stieß er im Zuge seiner Recherchen auf die Wurmkompostierung. Den Antrieb, Neues zu lernen und als Erster auszuprobieren, hatte er immer schon; der Pioniergeist ist ihm geblieben, dafür ist er bekannt. Seine Recherchen führten ihn nach Kalifornien, wo er sich mit den richtigen Menschen austauschte, mit einem Kopf voller Ideen nach Hause kam und schnurstracks auf die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf der BOKU, der Universität für Bodenkultur in Wien, zuging. Dort stieß er auf interessierte Lehrende, die sich bereit erklärten, mit ihm an der Sache zu forschen.
Die Kompostierung mit Hilfe von Regenwürmern wurde erprobt, weiterentwickelt und bildet heute ein eigenes Unternehmen, die VERMIGRAND Naturprodukte GmbH. Die GRAND FARM wurde zum ersten Forschungs- und Demonstrationsbauernhof Österreichs. Und das ist sie auch heute noch. Das große Netzwerk, das sich weit über die Grenzen des Landes hinaus erstreckt und das sich Alfred im Laufe der Jahre aufgebaut hat, ist Gold wert. Es ermöglicht State-of-the-art-Forschung mit Partner:innen, die in die Region Wagram kommen, um Teil der Lösung zu sein.
Regenerative Landwirtschaft als Nordstern
„Unser Ziel ist es, zukunftsfähige Lebensmittelproduktionssysteme zu erforschen. Das sind Systeme, in denen Lebensmittel auf eine Art und Weise produziert werden, dass die Umwelt nicht zerstört wird, sondern im Gegenteil: dass die Umwelt dabei aufgebaut und das Klima geschützt wird“, sagt Alfred. Der Fachbegriff dazu nennt sich regenerative Landwirtschaft.
Der GRAND GARTEN, die Marktgärtnerei auf der GRAND FARM, ist die erste europäische Marktgärtnerei, die das Regenerative Organic Certificate erhalten hat. Eine regenerative Landwirtschaft verursacht keinen Schaden, verschmutzt weder Luft noch Grundwasser und erhält die Artenvielfalt. „Die deutsche Regierung hat eine Kampagne gestartet, um den Bioanteil zu erhöhen. Im Zuge dessen wurde festgestellt, dass der landwirtschaftliche Sektor in Deutschland circa 90 Milliarden Euro Wertschöpfung produziert, dass aber der Schaden, den sie verursacht, größer ist. Genau das wollen wir in Zukunft verhindern.“
„Der Boden wird zur eierlegenden Wollmilchsau.“
Um der Vision einer flächendeckenden regenerativen Landwirtschaft näherzukommen, hat die GRAND FARM drei Schwerpunkte definiert: Bodengesundheit, Agroforst und die bereits genannte Marktgärtnerei.
Bodengesundheit, weil ein gesunder Boden das wichtigste Gut für alle Landwirtinnen und Landwirte ist, gesunde Lebensmittel hervorbringt, die Artenvielfalt erhält und sich positiv auf den Klimawandel auswirkt. Und sich auch geschmacklich bemerkbar macht: „Man kennt das vom Wein, da spricht man vom Terroir. So wie man in einem Wein zum Beispiel einen schotterhaltigen Boden herausschmecken kann, kann man das auch bei Lebensmitteln“, sagt Alfred.
Agroforst bezeichnet das Zurückbringen von Bäumen, Sträuchern und verholzten Strukturen in die Ackerlandschaft. „Dadurch kann man die Windgeschwindigkeit reduzieren, Wasser sparen, aktiv CO₂ aus der Atmosphäre ziehen, die Artenvielfalt schützen, einen Lebensraum für Bienen, Hummeln und Schmetterlinge schaffen sowie für Wildtiere wie dem Rebhuhn, der Zauneidechse oder dem Mauswiesel“, sagt Alfred. „Der Boden wird zur eierlegenden Wollmilchsau.“
Wann ist der Boden gesund?
Ein gesunder Boden ist ein Boden, der all seine Funktionen erfüllen kann. Dabei handelt es sich um folgende:
- Produktionsfunktion: Der Boden produziert circa 95 % unserer Lebensmittel. Dazu gehört auch die Tierhaltung, weil Nutztiere das Getreide fressen, das im Boden wächst.
- Klimafunktion: Das bedeutet, dass über die Pflanzen Kohlenstoff im Boden gespeichert wird und damit das Klima geschützt werden kann.
- Biodiversitätsfunktion: Der Boden enthält unterschiedlichste Lebewesen und ermöglicht eine Artenvielfalt.
- Wasserfunktion: Der Boden nimmt Wasser auf, speichert es und gibt es den Pflanzen wieder zurück. Überschwemmungen können verhindert werden.
- Nährstofffunktion: Nährstoffe werden im Boden zwischengelagert, gespeichert und dann von den Pflanzen wieder aufgenommen.
New Work im Garten
Im GRAND GARTEN, er bildet den dritten Schwerpunkt, werden mittlerweile über 60 Gemüsearten angepflanzt, darunter auch Unerwartetes wie Ingwer oder Süßkartoffeln. Das Gemüsekistl, das als Endprodukt dann an Privatkundinnen und -kunden sowie gastronomische Betriebe geht – unter anderem zum „Floh“, dem beliebten Gasthaus in Langenlebarn – wird je nach Vorhandenem immer neu zusammengestellt, auch auf die Wünsche der Gastronomie wird eingegangen. „Wenn der Floh sagt, er möchte etwas Besonderes angepflanzt haben, dann machen wir das natürlich. Das ist ein tolles Miteinander, ein gegenseitiges Heben.“
„Während wir Gemüse produzieren, tragen wir zu 12 von den 17 nachhaltigen Entwicklungszielen der UNO bei.“
Seit 2019 gibt es die Marktgärtnerei. Ein diverses Team mit Menschen aus unterschiedlichen Kulturen kümmert sich das ganze Jahr über um Ernten, Bewässern, Bepflanzen, Unkrautmanagement und den Kontakt mit den Kundinnen und Kunden, kein Tag gleicht dem anderen.
Im GRAND GARTEN wird alles ohne Mineraldünger, ohne Pestizide und in Handarbeit erledigt, „eine Arbeit, die als sinnstiftend empfunden wird. Ich sehe das auch durchaus als gesellschaftlich spannendes Projekt, weil ich mir gut vorstellen kann, dass die Menschen in 10 oder 15 Jahren sagen: Ich arbeite 10 oder 20 Stunden im Büro und 10 oder 20 Stunden im Garten. Im Garten rastet man sich vom Büro aus und im Büro vom Garten. Es ist außerdem ein resilientes System, weil ich die Nahrungsmittelversorgung in der Region gewährleisten kann – auch wenn es ein Blackout gibt, es eine Pandemie gibt, oder wenn ein Schiff im Suezkanal stecken bleibt“, sagt Alfred.
Resilienz fördert es wahrscheinlich auch in denen, die vor Ort Tag für Tag ihren Beitrag leisten. Um einen Sinn zu wissen, bei dem, was man tut, ist ein bereicherndes Gefühl. „Während wir Gemüse produzieren, tragen wir zu 12 von den 17 nachhaltigen Entwicklungszielen der UNO bei“, sagt Alfred.
Eine Ausbildung zum Marktgärtner oder zur Marktgärtnerin gibt es nicht. Oder noch nicht. Denn Alfred Grand plant gerade die Gründung einer Taskforce, die Entscheidungsträger:innen aus den verschiedensten Bereichen wie Bildung, Forschung, Administration, Konsument:innen und NGO zusammenbringen soll.
Gemeinsam die Welt besser machen
Kooperation: Das ist ein weiterer Faktor, ohne den es die GRAND FARM in der Form nicht geben würde. Was zur Jahrtausendwende in Kalifornien seinen Anfang nahm, zieht sich wie ein roter Faden durch das Leben von Alfred Grand. Seit 2014 agiert er mit seinem Team auch international. Die GRAND FARM ist in diversen Fokusgruppen vertreten, zum Beispiel bei der European Innovation Partnership for Agriculture.
„Ich frage mich manchmal, was der Sinn des Lebens ist.“
Auch mit der Universität Wageningen in den Niederlanden besteht eine enge Zusammenarbeit, „dort sind wir Teil des Global Networks of Light House Farms, das sind 14 Leuchtturmbetriebe, die es weltweit gibt, und wir sind einer davon.“ Alfred war zudem beratend im Bereich „Mission Soil“ in der EU-Kommission tätig. Aufgrund seines Engagements wurde er kürzlich von der EU-Kommission zum Mission Soil Ambassador ernannt – einem Botschafter des Bodens. Immer wieder wird er zu Konferenzen eingeladen oder zur Teilnahme an Forschungsprojekten.
„Mein Antrieb ist es, das Leben für die nächsten Generationen zu verbessern.“
So bildete sich ein starkes Netzwerk aus Menschen mit Expertisen aller Art und dem Antrieb, den Status Quo zum Besseren hin zu verändern. Denn darum geht es ja letztlich, wie Alfred findet: „Ich frage mich manchmal, was der Sinn des Lebens ist. Und nachdem man nichts mitnehmen kann, kann es nur sein, den Planeten in einem besseren Zustand zu verlassen als in dem, in dem man ihn vorgefunden hat. Mein Antrieb ist es, das Leben für die nächsten Generationen zu verbessern, damit sie einen gesunden Planeten haben, den sie auch noch genießen können.“