Sie sehen aus, als wären sie nicht von dieser Welt. Wie fest gewordene Wolken oder Gebilde aus den Tiefen der Meere. Sehr organisch, wuchtig und gesund. Silbergrau, orange und schneeweiß sind sie. Black Pearl, Igelstachelbart und Shiitake heißen sie – einige der Bio-Edelpilze, die Philipp Maitz und Daniel Kirnbauer im burgenländischen Oberschützen züchten. Die Wiener Spitzengastronomie – Steirereck, TIAN & Co – steht auf die Premiumpilze von KiMa Organics. Viele Restaurants zählen zum Kundenstamm der Pilzfarmer, die sonst auch noch samstags am Bauernmarkt in Oberwart ihre Waren anpreisen. Und das, was frisch nicht wegkommt, zu Pilzpulver und Gewürzen weiterverarbeiten. Übrig bleibt hier so gut wie nichts.
Und täglich grüßt der Fruchtungsraum
Die Qualität, die die Gastronomie an den KiMa-Pilzen so schätzt, hat auch für Philipp und Daniel ihren Preis. Sie müssen so gut wie jeden Tag ernten, weil jede der derzeit sechs Sorten in einem anderen, aber immer hohen, Tempo wächst. Das Zeitfenster, in dem geerntet werden kann, ist nur wenige Stunden klein. Wer selbst schon mal Pilze gezüchtet hat, weiß das. Man schaut nur kurz weg und wundert sich über das, was man vorfindet, wenn man wieder hinschaut. Die Fruchtkörper quillen so schnell und konzentriert aus dem Substrat, als würden sie sich beeilen. Zudem ist jeder Pilz anders. Einfach ist die Zucht keineswegs. Steriles Arbeiten ist Grundvoraussetzung. Und das Wissen, welcher Pilz welche Ansprüche, Vorlieben und Abneigungen hat. Kräuterseitlinge mögen’s zum Beispiel kühl, wie Philipp sagt. Er kennt seine Pilze. Er weiß, was sie brauchen. Er hat sie lange studiert.
„Die Gastro setzt immer mehr auf Pilze.“
Was im Corona-Lockdown mit einem Grow-Kit und Luftbefeuchter im Keller begonnen hat, ist zu einem florierenden Unternehmen mit Labor, Fruchtungsräumen und professionellem Vertrieb geworden. Über 100 Kilo pro Woche ernten die beiden mittlerweile. „Bis vor kurzem gab es nur Champignons und Steinpilze, aber durch die Züchter:innen hat sich das geändert. Die Gastro setzt immer mehr auf Pilze.“
Philipp und Daniel sind auf einen Zug aufgesprungen, den viele zu jenem Zeitpunkt weder gehört noch gesehen haben. Der entscheidende Hinweis kam damals von Philipps Kusine. Sie arbeitete als Sous-Chefin in einem Restaurant in der Schweiz. Philipp hatte coronabedingt mit seinem Job als Elektrotechniker aufgehört und wollte sich selbstständig machen. Daniel, den er vom Ausgehen und Musikmachen kannte, hatte dieselben Pläne. Die beiden fingen an, Chili anzubauen. Aber Philipps Kusine sagte: „Das braucht die Gastro nicht.“ Eher sollten sie Shiitake-Pilze ins Auge fassen. Die seien in guter Qualität kaum zu bekommen. Und wegen ihres besonderen Geschmacks, dichten Fruchtfleischs und ihrer Nährwerte sehr gefragt.
„Aus einem Abfallprodukt machen wir hochwertige Lebensmittel.“
„Upcycling“ in ehemaliger Putenfarm
Was sie heute wissen, brachten sich Philipp und Daniel selbst bei. Sie lasen sich ein, schauten Tutorials auf YouTube, experimentierten, adjustierten. Die Pilzzucht ist ein weites Land. Irgendwann hatten sie den Dreh raus und bauten die leerstehende Putenfarm von Philipps Großvater um. Heute stehen dort reihenweise Säcke mit Substrat, das aus Abfallprodukten aus der Agrarwirtschaft besteht: Sägespäne, Stroh & Co. „Aus einem Abfallprodukt machen wir hochwertige Lebensmittel“, sagt Philipp.
Das Substrat wird im Labor mit Mycel, also Pilzfäden, befruchtet oder „geimpft“, wie es im Fachjargon heißt. Dann wird es weiterverlegt in einen Raum mit passender Temperatur, wo die Fruchtkörper aus dem Sack sprießen können. Vom Wetter und seinen extremen Ausprägungen sind Philipp und Daniel nur indirekt betroffen, da sich alles indoor abspielt. Dennoch: Je wärmer es draußen ist, umso mehr müssen sie drinnen kühlen. Und vice versa. Die Vorteile: Auch im Winter gibt es frische Ware. Und Schädlinge sind kein Thema: Schon der kleinste Keim wäre fatal für die Ernte.
„Pilze haben einen großen Einfluss auf Menschen, weil sie vom Stoffwechsel her ähnlicher sind als Pilz und Pflanze.“
Sind Pilze auch nur Menschen?
Mit Pilzen verhält es sich ähnlich wie mit dem Gehirn: Vieles ist Terra incognita. Die Arbeit fasziniert Philipp. „Es gibt noch so viele unentdeckte Pilzarten. Es ist spannend, mitzuverfolgen, was in der Mykologie passiert.“ Es gibt außerdem Pilze, die gut auf das Gehirn einwirken. Der Igelstachelbart zum Beispiel, auch Löwenmähne genannt. Er stellt neue neuronale Verbindungen her und kann, in hoch dosierter Form, konzentrationsfördernd sein und „Brain fog“ lichten. Ganz abgesehen davon, dass er geschmacklich überzeugt. Seine fasrige Struktur erinnert an Hähnchenbrust. „Pilze haben einen großen Einfluss auf Menschen, weil sie vom Stoffwechsel her ähnlicher sind als Pilz und Pflanze: Sowohl Pilze als auch Menschen atmen Sauerstoff ein und CO₂ aus. Ich glaube, dass sie auch deswegen so eine gute Wirkung auf den menschlichen Organismus haben.“
Seine Arbeit schätzt er sehr, einerseits wegen der Vielseitigkeit: „Du bist Bauer, Elektriker, Marketer, Verkäufer. Du kannst viele Hüte aufsetzen.“ Andererseits mag er es, nicht von langen Lieferketten abhängig zu sein. Das hatte ihn veranlasst, seinen ursprünglichen Job als Elektriker in der Qualitätskontrolle zu kündigen, der ihn oft nach China geführt hatte: „Damals hab ich gemerkt, wie instabil unsere Lieferketten sind, wenn eine Pandemie kommt.“ Das ist nun kein Thema mehr. Das Vordringen in unbekannte Pilz-Welten hingegen sehr wohl. Eine spannende Reise, die nicht mehr nach China geht.