Bei den Potocniks steht der Generationswechsel an. Noch knetet Fritz Potocnik (67) neben Sohn Nico (22) Tag für Tag Teig in der Brotocnik-Backstube – oder Nacht für Nacht: Die Arbeit geht bei ihnen dann los, wenn andere schlafen gehen. „Wir stehen um Mitternacht auf und fangen um 0:30 Uhr an“, sagt Fritz. „Ich mach das seit 52 Jahren und hab noch immer meine Freude dran. Heute lerne ich von meinem Sohn.“ Der Sohn wiederum hat das Brothandwerk hauptsächlich von seinem Vater erlernt. „Nach der alten Methode“, wie Fritz sagt, „wie vor 100 Jahren.“
„Es geht beim Brotbacken nicht nur darum, dass der Teig ruht, sondern wie lang, wie oft und unter welchen Bedingungen dies geschieht.“
Richtiges Ruhen
„Es ist wie beim Wein oder Whisky: Die müssen auch richtig reifen“, sagt Nico. Bei der alten Methode ist der Zeitfaktor, mit dem Bäcker:innen heute allerorts werben, entscheidend. Aber es geht nicht nur darum, dass der Teig ruht, sondern wie lang, wie oft und unter welchen Bedingungen dies geschieht. Es geht darum, die besten Voraussetzungen für den Fermentationsprozess zu schaffen, der sich in der Ruhephase abspielt und dafür sorgt, dass der Teig luftig wird und aufgeht, dass sich Aromen bilden. Und dass unverdauliche Ballaststoffe abgebaut werden, „was ernährungsphysiologisch sehr viele Vorteile hat und Unverträglichkeiten minimiert“, wie Nico sagt. Der glykämische Index, der vor einigen Jahren in aller Munde war („Glyx-Diät“), ist dementsprechend gering – was gut ist: Je niedriger der Wert, umso weniger und langsamer steigt der Blutzuckerspiegel an.
„Es geht darum, dass unverdauliche Ballaststoffe abgebaut werden,
was Unverträglichkeiten minimiert.“
Im Bäckereijargon nennt man lang gereifte Brote langzeitgeführt. Weil mittlerweile viele damit werben, sagt Nico: „Bei uns ist es wirklich so und kein Marketing-Gag. Was richtig gutes Brot ausmacht, ist einfach zu schwach reglementiert.“ Ihre Teige lagern 12 bis 48, die Roggensauerteige bis zu 84 Stunden. Zusätzlich backen sie es zweimal. Das macht die Kruste knuspriger und hält das Brot länger frisch.
Was ist der glykämische Index? | Der glykämische Index (GI) misst, wie schnell und stark ein kohlenhydrathaltiges Lebensmittel den Blutzuckerspiegel ansteigen lässt. Lebensmittel werden auf einer Skala von 0 bis 100 bewertet: Niedriger GI (0–55): Langsamer Anstieg (z. B. Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte) Hoher GI (70–100): Schneller Anstieg (z. B. Weißbrot, Zucker) Ein niedriger GI sorgt für ein stabiles Energielevel und kann das Risiko für Heißhunger und Krankheiten wie Diabetes senken. Er ist jedoch nur ein Richtwert und sollte in Kombination mit anderen Ernährungsfaktoren betrachtet werden. |
„Unser Brot schmeckt immer ein wenig anders“
Konventionelle Bäckereien verwenden industrielle Backmischungen. Darin enthalten sind oft Emulgatoren, Stabilisatoren, Geschmacksverstärker und Konservierungsstoffe, die das Brot länger haltbar machen und es besser aussehen lassen. Fritz und Nico mischen die Teige für ihr Brot selbst ab. Sie arbeiten mit Rohstoffen von Lieferantinnen und Lieferanten aus der Region, die sie persönlich kennen. Das Getreide aus Bio-Anbau kommt zum Beispiel aus der Dyk-Mühle im 30 Kilometer entfernten Raabs.
„Was richtig gutes Brot ausmacht, ist einfach zu schwach reglementiert.“
Die Potocniks wissen, wie lange sie den Teig kneten müssen, nämlich dann, wenn sie sehen, wie er sich zieht. Und können dann auch intuitiv sagen, wann der Teig für die Ruhephase bereit ist. „Unser Brot schmeckt immer ein wenig anders, weil die Umstände immer anders sind“, sagt Fritz. Die Temperatur bei der Fermentation spielt eine Rolle, genauso wie das aktuelle Wetter oder das Feld, von dem das Getreide kommt. Manche Faktoren kann man beeinflussen, andere nicht. Erstere zu optimieren und zweitere zu akzeptieren, ist der Weg, den die Brotproduzenten jetzt gehen.
Als Bäcker hat Fritz eine bewegte Geschichte hinter sich. Ein Wendepunkt war die Entscheidung, die Zusammenarbeit mit Josef Weghaupt, dem Gründer von Joseph Brot, zu beenden. Kennengelernt haben sich die beiden in einem anderen Betrieb. Josef Weghaupt wollte ein Bio-Brot ohne künstliche Stoffe auf den Markt bringen und fragte Fritz, ob das möglich sei. Dieser entwickelte daraufhin das berühmte Joseph-Brot, das schon bald zum Star in der Gastronomie wurde.
„Das, was wir machen, kann man bis zu einer gewissen Größe machen, sonst geht das auf Kosten der Qualität – und dafür geb ich mich nicht her.“
„Von 2010 bis 2016 sind wir von null auf acht Millionen Euro Umsatz gekommen“, sagt Fritz. „Ab 2013 haben wir in zwei Betrieben produziert, und das ist sich körperlich und psychisch irgendwann nicht mehr ausgegangen. 2015 hatte ich einen schweren Niederbruch, und dann haben wir uns getrennt. Das, was wir machen, kann man bis zu einer gewissen Größe machen, sonst geht das auf Kosten der Qualität – und dafür geb ich mich nicht her.“
Ihr Brot vertreiben die Potocniks in ausgewählten Restaurants und Lokalen sowie in Greißlereien, Bio-Geschäften, auf Märkten oder in FoodCoops, das sind Zusammenschlüsse von Haushalten, die selbstorganisiert Bio-Lebensmittel direkt von Produzentinnen und Produzenten beziehen. Einen eigenen Laden gibt es nicht – oder noch nicht? Diese Frage haben Vater und Sohn noch nicht geklärt. Was aber geklärt ist: „Dass der Nico unseren Spirit weiterträgt“, wie Fritz sagt.