Hier könnte es nun um ein paar Einzelkämpfer:innen gehen. Um solche, die mutig vorangeschritten sind und viel riskiert haben, damit die Lebensmittelproduktion in Österreich besser wird. Ökologischer, verantwortungsvoller, geschmackvoller. Jede:r von ihnen hätte viel zu erzählen, ohne Frage. Von inneren Kämpfen, von Tiefpunkten, von Desillusionierungen, auch von viel Widerstand.
Vor allem aber würde jede:r von ihnen früher oder später eines zu Protokoll geben: dass er oder sie nicht allein war. Dass das, was alles erreicht wurde, letztlich nur mit vielen anderen Gleichgesinnten möglich war. Sprich: mit einer Gemeinschaft, an der alle an einem Strang gezogen haben – und weiterhin ziehen.
Um genau diese Gemeinschaften soll es hier gehen. Sie sind es, die – in welcher Form auch immer – in den vergangenen Jahren gezeigt haben, dass die Veränderung zu mehr Nachhaltigkeit möglich ist. Und dass es heute wichtiger denn je ist, sich zusammenzutun, um genau diesen Wandel weiter voranzutreiben. Was abstrakt klingt, wird mittlerweile anhand vieler Beispiele greifbar – von Food-Coops und Marktgärtnereien über nachhaltige Winzer:innen und Wirt:innen bis hin zu Hoteliers, die sich einer ökologischen Transformation verschrieben haben. All diese Initiativen zeigen, dass es zahlreiche Möglichkeiten gibt, selbst Teil einer solchen Gemeinschaft zu werden und aktiv an einer besseren Zukunft mitzuwirken.
Food-Coops: Als Gemeinschaft stark für nachhaltige Lebensmittel
Das gilt – um mit einem sehr offenen Beispiel zu beginnen – besonders für den Bereich der sogenannten Food-Coops. Bei diesen „Lebensmittelkooperativen“ handelt es sich um einen Zusammenschluss von Menschen, die mithilfe von Mitgliedsbeiträgen selbstorganisiert Lebensmittel direkt von produzierenden Betrieben beziehen – und damit die Zwischenstation Großhandel gekonnt umgehen. Beim Verein „Herz & Rübe“ in Wien beispielsweise werden so anhand von gemeinsam entwickelten Kriterien allerhand verantwortungsvoll produzierte Lebensmittel bezogen: von Ölen über Honig bis hin zu Pasta, Obst und Gemüse.
Einen Schritt weiter geht die neu gegründete Supermarkt-Genossenschaft „Morgenrot“, die vor weniger Zeit in Wien-Hernals eröffnet hat: Hier sind Kund:innen und Produzent:innen gemeinsam Eigentümer:innen ihres Supermarkt-Ladens, wo sich alles rund um regionale Bio-Lebensmittel dreht. Wie bei den Food-Coops ist das Mitmachen auch hier für jede:n ziemlich einfach: Eine Beitrittserklärung und das Bezahlen des Mitgliedsbeitrags reicht in der Regel, der Rest ergibt sich im Rahmen von Gesprächen und Begegnungen selbst.
Food-Coops
respekt-BIODYN
Die Gemeinschaft konzentriert sich auf nachhaltigen Weinbau und wendet biodynamische Praktiken an. respekt-biodyn.bio
Verein der Marktgärtnereien
Bei diesem Zusammenschluss von über 40 Betrieben stehen Austausch und Unterstützung im Vordergrund. marktgaertnerei.at
Herz & Rübe
Die Food-Coop bezieht verantwortungsvoll produzierte Lebensmittel für ihre Mitglieder. herzruabn.fcoop.at
Saatgut retten: Arche Noah als Vorbild
Nicht nur der Zugang zu gesunden Lebensmitteln, sondern auch der Erhalt der Sortenvielfalt ist entscheidend für eine nachhaltige Zukunft. Vor mehr als 30 Jahren haben sich Gärtner:innen, Bäuer:innen und Journalist:innen zusammengeschlossen und einen Verein für den Erhalt und die Entwicklung der Kulturpflanzenvielfalt gegründet. Mit dem Ziel, Saatgut zu bewahren und traditionelle Sorten wieder in Gärten und auf den Markt zu bringen. Denn durch die Industrialisierung der Landwirtschaft seit 1900 sind rund 75 Prozent der Vielfalt verloren gegangen.
Durch die Industrialisierung der Landwirtschaft seit 1900 sind 75 Prozent der Kulturpflanzensorten verloren gegangen.
Heute bedrohen Saatgut-Monopole, Gentechnik und der Klimawandel zusätzlich dieses wertvolle Erbe. Arche Noah zählt heute über 17.000 Mitglieder und setzt sich mehr denn je für die Rettung gefährdeter Gemüse-, Obst- und Getreidesorten ein und betreibt mit großem Erfolg politisches Lobbying für die Förderung nachhaltiger Landwirtschaft.
Über 100 Jahre biodynamische Landwirtschaft
Der Gemeinschaftsgedanke in der Landwirtschaft reicht jedoch viel weiter zurück. Die biodynamische Landwirtschaft feierte im Jahr 2024 ihr 100-jähriges Bestehen. Sie geht auf einen Impuls des Anthroposophen Rudolf Steiner aus dem Jahr 1924 zurück – und steht bis heute für eine neue Art von Landwirtschaft, die sich als lebendigen Organismus aus Boden, Pflanzen, Tieren und Menschen begreift.
Gaumen Hoch-Gemeinschaft
Morgenrot
Die Kund:innen und Produzent:innen sind gemeinsam Eigentümer:innen der Supermarkt-Genossenschaft. morgenrot.wien
Die Biowirt:innen
Die Gemeinschaft von Gastronom:innen setzt sich dafür ein, dass Bio-Qualität auf den Tellern landet. diebiowirtinnen.at
Enkeltaugliches Österreich (ETÖ)
Der Verein setzt sich dafür ein, unseren Lebensraum für nächste Generationen zu erhalten.
etoe.at
Geht es nach Demeter-Österreich-Obmann Andreas Höritzauer, so ist „Demeter nicht Bio plus, sondern viel mehr. Der Weg, den Demeter-Bäuer:innen gehen, ist eine völlig andere Art, Landwirtschaft zu betreiben. Eine ganzheitlichere als die konventionelle oder rein biologische Landwirtschaft.“ Dabei gilt es, nur so viele Tiere am Betrieb zu halten, wie Landwirt:innen mit ihrem Land ernähren können. Und es geht noch um weit mehr: einen biodynamischen Kreislauf zu fördern und die Böden nicht nur gesund zu erhalten, sondern sie auch positiv für nächste Generationen zu entwickeln.
Demeter ist heute eine weltweit anerkannte Marke mit über 7.000 Betrieben in 63 Ländern. In Österreich sind derzeit über 260 Demeter-zertifizierte Betriebe aktiv.
Kulinarische Innovationen und rare Gemüsearten
Um den Boden, dessen Gesunderhaltung und biologische Vielfalt dreht sich auch alles beim Verein der Marktgärtnereien: Als Zusammenschluss von über 40 Betrieben in ganz Österreich stehen hier der Austausch und die gegenseitige Unterstützung im Vordergrund. Und beides ist nötiger denn je, denn: Österreich braucht dringend mehr Marktgärtnereien! Dort wird nicht nur auf gesunde Böden und überhaupt nachhaltige Anbaumethoden geachtet, das saisonale Gemüse wird auch direkt-vermarktet – also ohne den Zwischenstopp im Lebensmittelhandel. Vor allem aber werden auch immer rarere Gemüsearten angebaut.
Die biodynamische Landwirtschaft begreift sich als lebendigen Organismus aus Boden, Pflanzen, Tieren und Menschen.
Solche, die vor allem die Köch:innen dieses Landes besonders interessieren. Womit wir bei einer weiteren Vereinigung wären – nämlich dem Koch.Campus. Als Österreichs Kulinarik-Thinktank steht hier seit über zehn Jahren der Wissens- und Erfahrungsaustausch zwischen Köch:innen und Produzent:innen im Mittelpunkt. In Workshops und Verkostungen werden regionale Grundprodukte in ihrer ganzen Vielfalt erforscht – und anschließend von den besten Köch:innen des Landes auf die Teller gebracht.
Nachhaltiger Weinbau: respekt-BIODYN
Stärkung des Bodenlebens. Zudem achten sie auf eine ausgewogene Begrünung der Weinberge, um die Artenvielfalt zu fördern und das Mikroklima zu verbessern. Der Verzicht auf synthetische Dünger und Pestizide im Weinberg sind weitere charakteristische Merkmale. Diese Herangehensweise zeigt Wirkung: Die Weine der respekt-BIODYN-Winzer:innen werden weltweit für ihre besondere Qualität und Authentizität geschätzt.
Bio-Landwirtschaft | Rund 87 Prozent der Fläche Österreichs werden landwirtschaftlich genützt. Während in vielen EU-Ländern die biologische Landwirtschaft erst im Aufbau ist, ist Bio in Österreich längst etabliert: Mit einem Bio-Anteil von über 27 Prozent der bewirtschafteten Flächen (das entspricht fast 700.000 Hektar) liegt es deutlich über dem EU-Durchschnitt von 10,9 Prozent. Schon seit Langem ist Österreich ein Vorreiter der biologischen Landwirtschaft. Der erste österreichische Bio-Landwirt wurde 1927 registriert. |
„Bio rockt“
Der Gemeinschaftsgedanke ist aber längst auch bei Gastrom:innen angekommen. Die Zeit der „Einzelkämpfer:innen“ scheint vorbei zu sein. Auch hier gilt der Gedanke, dass nur durch gegenseitige Unterstützung Veränderungen möglich sind.
So haben sich Gastronom:innen unter dem Namen „Die Biowirt:innen“ zusammengeschlossen. Gemeinsam setzen sie sich dafür ein, dass beste Bio-Qualität auf den Tellern landet. Ihre Passion und ihr Wissen teilen sie über ihre Küche, Rezepte, Events, News und ihren Blog. Der zertifizierte Bio-Anteil ihrer Mitglieder beträgt mindestens 60 Prozent, nach drei Jahren im Verein muss auf 100 Prozent umgestellt werden. Mit diesem Angebot möchten die Gründer:innen nicht nur die Sichtbarkeit biologischer Gastronomie steigern, sondern auch eine Community aufbauen, die sich für gesunde, nachhaltige und genussvolle Ernährung begeistert.
Aktien für Nachhaltigkeit
Die Umstellung von Betrieben kostet freilich Geld. Zudem setzt die industrielle Landwirtschaft Kleinbäuer:innen und Produzent:innen immer mehr unter Druck. In Österreich verschwinden täglich mehrere Höfe, die sich nicht mehr rentabel bewirtschaften lassen. Hier kommt die Regionalwert Niederösterreich – Wien AG ins Spiel. Durch Bürgeraktien können Konsument:innen in nachhaltige Landwirtschaft, Lebensmittelverarbeitung und Gastronomie investieren – und so die Zukunft der regionalen Lebensmittelversorgung aktiv mitgestalten. Gegründet mit 200.000 Euro von 50 Aktionär:innen, umfasst die AG heute 33 Betriebe und fast 200 Anteilseigner:innen.
Die Idee: Konsument:innen können Verantwortung übernehmen, indem sie in die nachhaltige Lebensmittelproduktion investieren. „Unsere Aktionär:innen wollen, dass Lebensmittel von Menschen produziert werden, die davon leben können“, betont Alfred Schwendinger, Vorstand der AG. Die Finanzierung funktioniert durch stille Beteiligungen oder Mietmodelle für Maschinen und Infrastruktur. Jüngst half die AG mit 50.000 Euro einem Verarbeitungsbetrieb, der durch Inflation und Krisen zu kämpfen hatte. Ein Beispiel, wie mit vergleichsweise kleinen Summen große Wirkung erzielt werden kann.
Gaumen Hoch-Gemeinschaft
Koch.Campus
Der Kulinarik-Thinktank erforscht regionale Grundprodukte in ihrer ganzen Vielfalt. kochcampus.com
ARCHE NOAH
Der Verein setzt sich für die Rettung gefährdeter Gemüse-, Obst- und Getreidesorten ein.
arche-noah.at
DEMETER Österreich
Demeter verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz, der weit über Bio hinausgeht.
demeter.at
Ziel für die Zukunft? 30.000 Aktionär:innen und 200 Mitgliedsbetriebe. Damit will Schwendinger politisches Gewicht erlangen, um Förderstrukturen zu reformieren – hin zu mehr Unterstützung für kleine, nachhaltige Betriebe. Eine Win-win-Situation für Umwelt, Landwirtschaft und Konsument:innen.
Nachhaltig reisen
Aber auch die Reisebranche erlebt eine nachhaltige Transformation. Die Change Maker Hotels, gegründet von den Journalist:innen Petra Percher und Robert Kropf, setzen auf umweltfreundliche und sozial verträgliche Hotellerie. Mittlerweile umfasst das Netzwerk fünfzig privat geführte Hotels in Österreich, Deutschland und Südtirol, die sich an den Nachhaltigkeitszielen der UN orientieren.
Besonders hervorzuheben sind einige Pionierbetriebe innerhalb dieser Gemeinschaft, die innovative Konzepte umsetzen. Dazu gehören beispielsweise Hotels, die komplett auf erneuerbare Energien setzen, eigene Bio-Gärten betreiben oder ihren Gästen nachhaltige Erlebnisse wie Zero-Waste-Kochkurse oder umweltfreundliche Outdoor-Aktivitäten bieten. Auch faire Arbeitsbedingungen und regionale Wertschöpfung stehen im Fokus: Viele der Hotels beziehen ihre Lebensmittel von lokalen Bio-Bäurer:innen und engagieren sich für soziale Projekte in ihrer Region.
Gemeinsam für mehr Bio-Regionalität
Auch der Verein „Enkeltaugliches Österreich“ (ETÖ) setzt sich dafür ein, unseren Lebensraum so zu gestalten, dass er für kommende Generationen erhalten bleibt. Dazu haben sich Pionier:innen aus der österreichischen Bio-Bewegung, nachhaltige Unternehmer:innen, angesehene Wissenschafter:innen, naturnahe Vereine und Organisationen sowie erfahrene Bio-Bäuer:innen zusammengeschlossen. Gemeinsam stellen sie sich der Frage, wie ein enkeltaugliches Österreich aussieht.
Was wir einkaufen und essen wollen, können wir sehr wohl selbst entscheiden.
Dazu findet Forschung, Bewusstseinsarbeit und lösungsorientierte Zusammenarbeit statt. Wesentlich für die Gemeinschaft ist das Thema „Bioregionalität“, denn nur das Zusammenspiel aus beiden Begriffen macht nachhaltige Qualität und Zukunftsfähigkeit aus. Dazu werden wissenschaftliche Studien initiiert, die die Auswirkungen konventioneller und ökologischer Wirtschaftsweisen untersuchen und die Frage nach einem fairen Preis aufwerfen.
Gaumen Hoch-Gemeinschaft
REGIONALWERT
Durch Bürgeraktien können Konsument:innen in nachhaltige Landwirtschaft und Gastronomie investieren. regionalwert-ag.at
CHANGE MAKER HOTELS
Die Betriebe dieser Gemeinschaft bieten umweltfreundliche und sozial verträgliche Hotellerie. changemakerhotels.com
Kräfte bündeln und gemeinsam handeln
Auch Gaumen Hoch hat in seiner DNA den gemeinschaftlichen Ansatz. Für eine Veränderung müssen alle Kräfte gebündelt werden: Die Landwirtschaft, die Gastronomie, die Winzer:innen, die Verarbeiter:innen, die Shops und auch Konsument:innen spielen dabei eine entscheidende Rolle. Denn als Gütezeichen bietet Gaumen Hoch-Konsument:innen und Gästen eine längst überfällige Orientierung, in welchen gastronomischen und landwirtschaftlichen Betrieben Lebensmittel – nachweislich! – nachhaltig produziert und verarbeitet werden. Mit dem Ergebnis, dass man mit einem bewussten Einkauf oder Besuch bei einem Gaumen Hoch-Betrieb ein klares Zeichen für eine bessere Zukunft setzt – und damit zeigt: Wie und was wir in Zukunft essen oder einkaufen wollen, können wir sehr wohl selbst entscheiden – wenn wir gemeinsam handeln.