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Darum setzen Winzer:innen auf Low Intervention beim Weinmachen

Muss man einen Wein „machen“ – oder soll man der Natur einfach ihren Lauf lassen? Winzer:innen machen sich Gedanken dazu.
von Sebastian Hofer
Low Intervention Wein
@ Canva

Wein hat immer zwei Gesichter. Er ist Naturprodukt und Kulturgut, und zwar stets gleichzeitig, wenn auch in unterschiedlicher Gewichtung. Denn die Balance lässt sich so oder so einstellen. So: mit maximal invasiven technischen Mitteln, synthetischem Dünger, Reinzuchthefen, Schönungsmitteln und anderen chemisch-physikalischen Zaubereien aus dem Kellereibedarf, die der Natur zeigen, wer im Weingut das Sagen hat. Oder so: mit natürlicher, biologischer Bewirtschaftung, behutsamer Lese, schonender Verarbeitung und genügend Zeit, um auch ohne künstliche Hilfsmittel einen sauberen Wein reifen zu lassen.

Low Intervention Winemaking bezeichnet eine Art der Weinproduktion, bei der nach Möglichkeit auf menschliche Eingriffe verzichtet wird. Der Begriff bezieht sich vor allem auf die Arbeit im Keller, wo technische Schönungsmittel oder künstliche Zusatzstoffe vermieden werden sollen, aber auch auf den Weingarten, wo möglichst naturnah, ohne synthetische Dünger oder Bewässerungsanlagen gearbeitet werden soll.

Man muss sich halt entscheiden

© Christof Wagner
„Unser Ansatz lautet: Wir arbeiten mit der Natur und nicht gegen sie.“
Marion Ebner-Ebenauer, Winzerin

„Als wir das Weingut übernommen haben, haben wir eine 10-Punkte-Shitlist aufgeschrieben mit Dingen, die wir unbedingt vermeiden wollen“, erinnert sich Marion Ebner-Ebenauer: „Punkt vier auf dieser Liste ist: die Gier. Diese ist leider weit verbreitet und führt dazu, dass man sich mit Herbiziden, Pestiziden und Schönungsmitteln das Leben erleichtert. Unser Ansatz lautet: Wir arbeiten mit der Natur und nicht gegen sie, und natürlich ist das oft hart und manchmal auch frustrierend, aber sehr oft zeigt sie dich Natur auch unerwartet großzügig. Das ist das Gesetz des Ausgleichs.“

Reinzuchthefen werden dem Traubenmost bei der Gärung zugesetzt und können – anders als die wilden Hefen, die bei der Spontangärung aktiv sind – exakt vordefinierte Geschmacksprofile hervorbringen. 
Schönungsmittel verhindern die Trübung des Weines, indem sie kleinste Schwebeteilchen, etwa Eiweiße oder Polysaccharide binden.
Stabilisatoren sollen den Wein – unabhängig von Lagerbedingungen – sensorisch stabil erhalten; dazu gehört beim Wein insbesondere Sulfit (Schwefeldioxid), das eine unerwünschte Oxidation des Weins verhindern soll. 
Enzyme können in vielen Teilbereichen der Weinbereitung eingesetzt werden – zur schnelleren Klärung des Mosts oder einer besseren Filtrierfähigkeit, aber auch zur Manipulation von Farbe und Aroma.
Tanninpulver regulieren die natürlich vorhandenen Gerbstoffe, die bei der Weinbereitung aus den Trauben extrahiert werden. Damit lassen sich Jahrgangs-Schwankungen ausgleichen oder vordefinierte Geschmackserlebnisse erzielen.

Das populäre Schlagwort zu der Frage, die Ebner-Ebenauer da aufwirft, heißt „Low Intervention Winemaking“, auf Deutsch könnte man das als „minimalinvasives Weinmachen“ übersetzen, wobei das „Machen“ im Idealfall der Naturwein-Bewegung ein bloßes „Begleiten“ sein sollte, bei dem sich die Natur – die Rieden, die Trauben, die Hefen – möglichst selbständig entfalten möge. 

Wein ist laut EU-Gesetzgebung kein Lebensmittel, sondern Genussmittel. Deshalb darf es auch ohne die Kennzeichnung von Zusatzstoffen und technischen Hilfsmitteln auskommen.

„Was soll das sein? Weinmachen für faule Leute?“

Fred Loimer, Winzer in Langenlois, hält das „ehrlich gesagt für einen Blödsinn. Es ist heute ja auch gern die Rede vom Hands-off-Winemaking. Was soll das sein? Weinmachen für faule Leute?“ Wein ist, und auf diesen Punkt besteht Fred Loimer, der seit vielen Jahren biodynamisch arbeitet und im Keller selbstverständlich auf technische Zaubereien verzichtet, ganz eindeutig ein Kulturprodukt: „Das geht schon im Weingarten los: Wein wächst als Monokultur, meistens auf einer vom Menschen errichteten Fläche. Die Rebstöcke sind veredelt und werden zu Stämmen hochgezogen, was nicht ihrem natürlichen Wuchs entspricht. Und dann entscheidest du als Winzerin oder Winzer, wie viel Sonne deine Trauben abbekommen, wie reif du sie erntest, bei welcher Temperatur du sie presst, und so weiter. Es gibt tausend Dinge, über die nicht die Natur entscheidet, sondern der Mensch. Wenn du dich zurücklehnst und dem Wein nur beim Werden zuschaust, dann wirst du am Ende Essig abfüllen.“

„Was mir wesentlich erscheint: Wir geben nichts dazu und nehmen nichts heraus.“
Fred Loimer, Winzer

Gekonnter Verzicht

Eine Entscheidung müssen Winzer:innen freilich treffen: Sie müssen den Verzicht wagen. „Was mir wesentlich erscheint: Wir geben nichts dazu und nehmen nichts heraus“, sagt Fred Loimer: „Die technischen Möglichkeiten der Weinbereitung sind ja enorm gewachsen. Früher wurden verschiedene Fässer verschnitten, um ein gewünschtes Geschmacksprofil herzustellen, heute kannst du das Gleiche in einem einzigen Fass herstellen. Dafür gibt es synthetische Hefen, Enzyme oder Tannine. Dagegen haben sich die Naturweinwinzer:innen zu Recht aufgelehnt. Nur ist dabei leider oft das Kind mit dem Bade ausgeschüttet worden. Ein bisschen Führung wird der Wein schon brauchen.“

© Andreas Hofer
Schafe im Weingarten
Fred Loimer setzt in seine Weingarten auf ganz besondere Helfer:innen.

So viel Arbeit macht geringe Intervention

„Wenn du ohne Bewässerung und konventionelle Düngung arbeitest,
müssen die Reben zwangsläufig tiefer wurzeln. Das merkt man den
Weinen an, sie bekommen dann einfach mehr Ausdruck, mehr
Spannung und Lebendigkeit. Dafür tun wir uns die ganze Arbeit an.“
Marion Ebner-Ebenauer, Winzerin

Man kann es auch so formulieren: „Low Intervention Winemaking“ heißt sehr oft schlicht: „a lot of work“.  

Marion Ebner-Ebenauer ist gerade mitten in einer zugegebenermaßen „sehr, sehr anstrengenden“ Lese – natürlich komplett händisch und unter großem Zeitdruck, weil die Temperaturen pressieren – aber die Arbeit lohnt sich. Auch aromatisch: „Wenn du ohne Bewässerung und konventionelle Düngung arbeitest, müssen die Reben zwangsläufig tiefer wurzeln. Das merkt man den Weinen an, sie bekommen dann einfach mehr Ausdruck, mehr Spannung und Lebendigkeit. Dafür tun wir uns die ganze Arbeit an.“

© Martin Fülöp
Kati und Kurt Feiler-Artinger
Kati und Kurt Feiler-Artinger möchten ihre Wein für sich sprechen lassen.
„Man muss sich entscheiden: Was will ich für einen Wein machen? Soll er haltbar sein und seine Herkunft widerspiegeln? Dann muss ich mir die Zeit nehmen, die das braucht.“
Kurt Feiler, Winzer

Ganz ähnlich sieht es Kurt Feiler vom Weingut Feiler-Artinger aus Rust. Auch er arbeitet im Weingarten biodynamisch und im Keller unter einer klaren Prämisse: „Man muss sich entscheiden: Was will ich für einen Wein machen? Soll er haltbar sein und seine Herkunft widerspiegeln? Dann muss ich mir die Zeit nehmen, die das braucht. Wenn ich dagegen einen Wein sehr schnell auf den Markt bringen will, damit sich das Geschäft weiterdreht, werde ich Hilfsmittel zur Schönung und Stabilisierung brauchen. Nicht wenige entscheiden sich für diesen Weg. Man muss ja nur einmal in den Kellereibedarf hineinschauen, dann sieht man genau, was dort angeboten wird – und was wohl auch gekauft wird, sonst gäb‘s das Angebot nicht.“

Mit den Enzymen, Stabilisatoren, Proteinen, Hefenährstoffen, Tanninpulvern und sonstigen Zusatzstoffen aus dem Kellerei-Chemiekasten können Weine fast jeder Art konstruiert werden. Kurt Feiler: „Es gibt Winzer:innen, die wollen, dass ihre Weine jedes Jahr gleich schmecken, egal, wie der Jahrgang verlaufen ist. Dann machen sie sich ihre Weine eben. Oder sie machen trockenere Weine mit Traubensaftkonzentrat ein bisschen zugänglicher. Und oft sind solche Weine auch wirklich die großen Bestseller.“

Das wäre dann wohl High Intensity Winemaking – aber das ist eine ganz andere Geschichte.

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