Die Heidelbeersträucher von Jakob und Kim Schmied am Beerenberg nahe Linz sind von einem Agroforst umgeben. Bei Paul Reiner kommt kein Pflug in die Nähe seiner burgenländischen Marktgärtnerei, und Alfred Grand will mit seiner Arbeit auf der GRAND FARM dem Boden etwas zurückgeben, statt ihn auszubeuten. Bei allen drei Beispielen wird innovativ gearbeitet – doch bedeutet das auch: regenerativ?
Der Begriff „regenerative Landwirtschaft“ ist derzeit in aller Munde. Diese verspricht nicht nur biologisch, sondern auch klimafreundlich, biodiversitätsfördernd und bodenschonend zu sein. Doch was steckt konkret dahinter? Und worin unterscheidet sich diese Form der Landwirtschaft von biologischer oder konservierender Praxis?
Regenerative Landwirtschaft denkt vom Boden aus. Sie orientiert sich an sechs Prinzipien: minimale Bodenstörung, vielfältige Fruchtfolgen, dauerhafte Bodenbedeckung, lebendige Wurzelsysteme – und, wo möglich, Tiere am Acker. Als vielleicht wichtigstes Prinzip nennt Gernot Bodner, Agrarökologe an der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU), noch etwas anderes: die Offenheit für Andersdenken.
Gernot Bodner
Agrarwissenschaftsforscher am Institut für Pflanzenbau an der BOKU Wien
„Bei der regenerativen Landwirtschaft wird ein irrsinniger Fokus auf Bodenbiologie oder sogar Mikrobiologie gelegt.“
Die 6 Prinzipien der regenerativen Landwirtschaft
- Minimale Störung des Bodens
- Maximale Diversität bei Pflanzenarten und Fruchtfolgen
- Dauerhafte Bodenbedeckung
- Das „Lebendige Wurzel“-Prinzip: möglichst lang oder dauerhaft lebende Pflanzen am Acker
- Tiere auf der Fläche
- Anders denken
Im Unterschied zur biologischen Landwirtschaft, die oft mit intensiverer Bodenbearbeitung gegen Unkraut arbeitet, setzt die regenerative Variante auf Zurückhaltung: kein Pflug, keine Umgrabung – dafür Bodenruhe. Auch bei der Düngung gehen viele regenerative Betriebe neue Wege, etwa mit Mikronährstoffen oder alternativen Bodenanalysen wie der Kinsey-Albrecht-Methode.
„Es wird ein irrsinniger Fokus auf Bodenbiologie und sogar Mikrobiologie gelegt“, so Bodner. Ziel ist es, durch einen ausgewogenen Nährstoffhaushalt ein stabiles Gleichgewicht im Boden zu schaffen. Viele dieser Mikronährstoffdünger sind auch in der biologischen Landwirtschaft zugelassen. Insgesamt sieht Bodner die Bewegung der regenerativen Landwirtschaft noch in der „Early-Adopter-Phase“ – mit einem starken Fokus auf Beobachtung und Praxisnähe.
Vom Nischenphänomen zum Hoffnungsträger
Der Begriff „regenerative Landwirtschaft“ stammt aus den USA und wurde Anfang der 1980er-Jahre von Bio-Pionier Robert Rodale geprägt. In Europa wird dieser Ansatz erst seit etwa zehn bis 15 Jahren intensiver diskutiert – nicht zuletzt wegen drängender Themen wie Klimawandel und Biodiversitätsverlust. Wie Bodner erklärt, wurde Humus plötzlich zum Hoffnungsträger: Kohlenstoff speichern, CO₂ binden, Bodenfruchtbarkeit aufbauen – der Boden als Klimaretter.
„Regenerative Landwirtschaft ist auf jeden Fall ein Praxistrend. Die Forschung ist erst in den letzten Jahren aufgesprungen – anfangs wurde vor allem ausprobiert.“
Gleichzeitig wächst das Interesse jüngerer Generationen an einer Erneuerung der Landwirtschaft. Angetrieben von YouTube, Social Media und der Idee des Peer-to-Peer-Lernens übernehmen viele junge Menschen Betriebe – und wollen vieles anders machen als ihre Eltern. Über Video-Tutorials und Erfahrungsnetzwerke entstehen neue Bewegungen: bodennah, innovativ, experimentierfreudig. „Regenerative Landwirtschaft ist auf jeden Fall ein Praxistrend. Die Forschung ist erst in den letzten Jahren aufgesprungen – anfangs wurde vor allem ausprobiert“, ergänzt Bodner.
Oft wird die regenerative Bewegung mit Permakultur gleichgesetzt. Tatsächlich teilen beide den Wunsch, natürliche Prozesse nachzuahmen. Doch während Permakultur meist kleinteilig, komplex und auf Selbstversorgung ausgerichtet ist – mit Bäumen, Hecken und Kräuterspiralen – bleibt die regenerative Landwirtschaft im klassischen Ackerbau verankert. Ihre Stärke: Zwischenfrüchte, Untersaaten oder Agroforstsysteme lassen sich schrittweise in bestehende Strukturen integrieren – Feld für Feld.
Wo bleibt das Label?
Gerade weil „regenerativ“ bisher nicht klar definiert ist, stellt sich oft die Frage nach der Glaubwürdigkeit. Es gibt (noch) keine Zertifizierung, keine Siegel, keine Standardlisten.
Was für manche Freiraum für Innovation bedeutet, sehen andere als Einladung zum Greenwashing. Gernot Bodner beschreibt zwei gegensätzliche Ansätze:
„Entweder man verpasst dem Trend ein fixes System mit klaren Regeln, oder man lässt ihn offen und riskiert Unschärfe.“
Neben Maßnahmenregelungen (wie bei Bio-Zertifizierungen) wird auch diskutiert, ein mögliches Label an konkreten Ergebnissen festzumachen. Denkbar wäre etwa die regelmäßige Messung von Humusgehalt, Biodiversität oder Bodenleben sowie eine Belohnung bei Verbesserungen.
Aufbruch mit Hindernissen
So vielversprechend das Konzept klingt – es gibt auch Hürden. Ein gesunder Boden bedeutet nicht automatisch höhere Erträge, zumindest nicht sofort. „Wenn ein guter Boden unmittelbar mehr Ertrag bringen würde, dann würden es alle machen. So einfach ist es leider nicht“, so Bodner.
Was die regenerative Landwirtschaft besonders macht, ist eine Haltung des Beobachtens, Experimentierens und Lernens. Und ein radikaler Perspektivwechsel: weg vom schnellen Output, hin zur langfristigen Bodenfruchtbarkeit. Wer seinen Boden „aufpeppeln“ will, braucht Geduld. Viele Betriebe berichten von Rückschlägen in den ersten fünf bis sechs Jahren: geringere Erträge, neue Schädlinge, mehr Aufwand. Dazu kommen Investitionen in neue Maschinen, Saatgutmischungen und Beratung – nicht jede:r kann oder will das finanziell stemmen.
„Wissen von Landwirt:in zu Landwirt:in weiterzugeben, ist besonders wertvoll.“
Was helfen könnte?
Mehr finanzielle Unterstützung durch Agrarumweltprogramme, Innovationsprämien, Praxisforschung und Peer-Learning. In Österreich gibt es bereits Netzwerke sogenannter „Leuchtturmbetriebe“, die in enger Zusammenarbeit mit der Forschung – etwa an der BOKU – ihre Erfahrungen teilen und zeigen, was möglich ist. „Wissen von Landwirt:in zu Landwirt:in weiterzugeben, ist besonders wertvoll“, bestätigt Bodner.
Da es bislang keine äußere Reglementierung gibt, wächst die regenerative Bewegung von innen heraus – aus der Praxis, aus dem Leben. Ob daraus ein neues Label entsteht oder ein echter Wandel: Das bleibt vorerst offen. Sicher ist nur eines: „Das Arbeiten mit der Natur ist immer unberechenbar“, sagt Bodner.