Es ist der 3. September 2024, im niederösterreichischen Wagram hat es 33 Grad. Ab morgen lesen die Strobls ihren Wein. Lukas Strobl, der das Wagramer Weingut gemeinsam mit seinem Vater Clemens betreibt, findet zwischen den Vorbereitungen im Keller ein wenig Zeit für unser Gespräch. „Dieses Jahr sollten wir in gut vier Wochen fertig sein“, sagt er. „Es ist ein recht frühes Jahr.“ Die Trauben haben jetzt schon die gewünschte Frische und Säure. Aufgrund der hitzebedingt geringen Erträge erwartet Lukas ein gutes Jahr mit konzentrierten, intensiven Weinen. „Aber wir müssen noch aufs Wetter warten.“
Der August 2024 war in Niederösterreich der heißeste in der 250-jährigen Messgeschichte. „Die Trockenheit, gepaart mit der Hitze, ist der absolute Endgegner“, sagt Lukas. Wobei der Wagram, der früher Donauland hieß, beste Bedingungen für den Weinbau bietet. Die Lössböden sind fruchtbar, weich und können Wasser speichern. Die südliche Lage bringt viel Sonne. Veltliner und Pinot Noir lieben das.
„Man steht am nackten Acker und pflanzt Reben.“
Erdig, gesellig, künstlerisch
Und die Strobls lieben Veltliner und Pinot Noir, unter anderem. Sie sind Quereinsteiger. Clemens kommt aus der Werbebranche. 2008 hat er mit dem Weinbau begonnen. Bis er das Image des „Marketingweinguts“ abstreifen konnte und ernst genommen wurde, hat es gedauert. Dass er kein ahnungsloser Werber ist, der „nun etwas mit den Händen machen will“, hat er bewiesen. Die Strobl-Weine stehen heute auf den Karten der besten und hippsten Lokale des Landes. Und darüber hinaus, sowie im Lecture Room in London, im Arpège in Paris oder bei Spitzengastronom Tim Raue in Berlin. Das Unterwegssein ist der gesellige Teil des Jobs. Die Arbeit im Weingarten der erdige: „Man steht am nackten Acker und pflanzt Reben.“ Und dann gibt es noch den künstlerischen Part, die Veredelung und Etikettengestaltung. Alles passiert inhouse in der „Weinmanufaktur“, wie die Strobls ihr Weingut nennen, weil sie das Handwerk zelebrieren.
„Man muss die Pflanze lesen können und versuchen, in sie hineinzuschauen. Wenn man den Rebschnitt sanft und gut macht, kann die Rebe 15 bis 20 Jahre länger leben.“
2017, da war Sohn Lukas gerade 22, hat Clemens die 15 Hektar im Wagram erworben, auf denen Lukas und zahlreiche Erntehelfer:innen ab morgen die Trauben händisch von den Reben lesen werden. Eine intensive Phase der Weinproduktion: lange Tage, kurze Nächte, unberechenbares Wetter. Wer Glück hat, kommt in einen meditativen Zustand. Lukas‘ Lieblingsphase ist eine andere: „Beim Rebschnitt muss man an die Zukunft denken. Man muss die Pflanze lesen können und versuchen, in sie hineinzuschauen. Wenn man den Rebschnitt sanft und gut macht, kann die Rebe 15 bis 20 Jahre länger leben“, sagt er. Ihr Ziel ist, dass die Reben doppelt so alt werden wie der Durchschnitt.
Spontan vergoren, unfiltriert, intuitiv
Die Arbeit im Weingarten sehen die Strobls als Fundament. „Wir haben eine sehr akribische Landwirtschaft, die Trauben sind alle von Hand geerntet.“ Ist der Boden gesund, muss er nicht gedüngt werden. „Dadurch können wir uns leisten, im Keller ohne Zutaten zu arbeiten.“ Die Strobl-Weine sind alle spontan vergoren. Die meisten werden wegen des biologischen Säureabbaus nicht filtriert. „Wir geben ihnen im Keller zwei, drei Jahre Zeit, um von sich aus stabil zu werden“, sagt Lukas. 2020 war sein erster eigener Jahrgang. Er nannte ihn LUST. Der Name ist ein „Cuvée“ aus seinem Vor- und Nachnamen. Lukas hat in Krems International Wine Business studiert und mehrere Praktika in namhaften Betrieben absolviert. Jetzt hört er auf dem eigenen Weingut auf seine innere Stimme. Und auf das, was die Natur ihm sagt.
„Wir streben ein gesundes Ökosystem an, das sich selbst die Balance hält und in das wir nicht zu sehr eingreifen müssen.“
Die Weine sollen nach der Erde und dem Land schmecken, auf dem sie heranwachsen. Biodiversität ist ein großes Thema. Obst- und Nussbäume am Rand der Weingärten dürfen bleiben. Neue Begrünungen sind dazugekommen, ein Biotop ebenso. „Wir schauen, dass viel blüht, sodass bestäubende Insekten Pollen und Nektar finden. Wir streben ein gesundes Ökosystem an, das sich selbst die Balance hält und in das wir nicht zu sehr eingreifen müssen“, sagt Lukas. Monokulturen mögen die Strobls nicht.
Aber sie mögen das Experiment und hören auf ihre Intuition. Sie fühlen sich keiner Tradition verpflichtet. Sie bewirtschaften biologisch, aber lassen sich von anderen Schulen wie der Biodynamie inspirieren. „Wir suchen da und dort das Beste raus, sind dann aber doch zu sehr Individualisten. Wir machen lieber Landwirtschaft nach Strobl und nicht nach Steiner.“ Die Weine haben Ecken und Kanten wie der Wagram und die Strobls. Sie machen nur Weine, die sie selbst gerne trinken. In Weingärten und auf Böden, die sie jetzt schon auf die Zukunft und deren „Endgegner“ vorbereiten.