Am liebsten spricht Tristan Toe ja übers Beobachten. Und über den Boden. Wie Wurzelsysteme und Pilze zusammenhängen. Wie unzählige größere und kleinere Lebewesen in der Erde miteinander vernetzt sind. Wie sie sich ernähren, zusammenarbeiten, sogar ein spezielles Mikroklima schaffen können und wer dort an der Spitze der Pyramide steht: „Jedes Ökosystem hat ein dominantes Raubtier, einen Löwen. Im Bodenleben ist das die Spinne. Wenn du viele Spinnen in deinem Boden hast, ist das gut. Es heißt, es gibt genug Nahrung.“
Oder er erklärt, was im Waldboden im Winter geschieht und wie abgefallenes Laub und Zweige eine schützende Hülle für die Erde und die darunter ruhenden Bewohner bilden. Ein Dach, das langsam, aber sicher verspeist wird und zur Nahrung für einen lebendigen Boden wird, in dem sich das Leben aufs Neue formiert. „Wir machen das auf bewirtschaftetem Boden genauso“, sagt er. „Nach der letzten Ernte kommen Heu und Hackschnitzel als Abdeckung auf den Boden und die Lebewesen darunter arbeiten für uns – wie im Wald.“
Kunst, Kraut und Rüben
Zehn Jahre ist’s inzwischen her, dass sich Tristan, studierter Gärtner mit französisch-chinesischen Wurzeln, und Jahwezi Graf, weitgereiste Waldviertlerin und Landwirtschafts-Quereinsteigerin, ins Abenteuer BIOsain gestürzt haben. Zusammen mit Familie und Freund:innen, Unterstützer:innen und Mitarbeitenden und allen schwierigen Bedingungen zum Trotz. Denn auch wenn der Wachtberg schon lange eine naturverbundene kleine Welt war – hier ist seit Jahrzehnten das Projekt „Kunst in der Natur“ daheim – für den Anbau von Kraut & Rüben, Gemüse und Kräutern, Sprossen und Salaten war er alles andere als eine „g‘mahte Wies’n“ wie man so schön sagt.
Der Boden sandig und trocken, die Humusschicht nur knappe zehn Zentimeter stark und ein Klima, das dem rauen Ruf des Waldviertels mehr als gerecht wird. Was Tristan schlicht so kommentiert: „Damit wir biologisch arbeiten konnten, mussten wir den Humus-Anteil im Boden steigern. Und die Pflanzen-Vitalität fördern, indem wir durch Züchtung die Sorten anpassen – an den Boden, an das Wasser, auch an die eigene Art und Weise, zu gärtnern.
Wenn man den natürlichen Kreislauf akzeptiert, kann man neue Bodenlebewesen anlocken. Neue Bodenlebewesen bringen wiederum die Voraussetzung für andere Pflanzen. Und dann man kann großartiges Gemüse in lebendiger Erde produzieren. “ Klingt doch ganz einfach, oder?
„Ich bin Gärtner, aber auch Pflanzenzüchter und Samenexperte. Wir entdecken neue Pflanzensorten und versuchen, sie zu stabilisieren und zu verbessern. Geschmack ist dabei ein großes Thema.“
Gesagt, getan, hieß die arbeitsreiche Devise am Wachtberg. Vieles wurde ausprobiert, behutsam angepasst. Heute ist BIOsain ein pulsierendes Multiversum, in dem Jahr für Jahr an die 70 verschiedene Gemüse-, Kräuter-, Obst- und Blumen-Kulturen gedeihen, ganz zu schweigen von den einzelnen Sorten. Waldviertler Klassiker wachsen neben neu angesiedelten, nahezu exotischen Nachbarn und immer noch wird Neues ausprobiert, beobachtet und umgesetzt. Von der Praxis in die Theorie heißt die Devise und nicht umgekehrt. Durch gezielte West-Ost-Ausrichtung der Felder etwa lässt sich das Licht besser nutzen, neue Pflanzen bewirken mehr Taufall und Feuchtigkeit und langsam, aber sicher kann so tatsächlich ein anderes Mikroklima entstehen.
Alles eine Geschmacksfrage
Von der Aussaat bis zur Ernte findet alles an einem Ort statt. „Ich bin Gärtner, aber auch Pflanzenzüchter und Samenexperte. Wir entdecken neue Pflanzensorten und versuchen, sie zu stabilisieren und zu verbessern. Geschmack ist dabei ein großes Thema. Kleinstrukturierte Betriebe müssen sich durch den Geschmack ihrer Produkte unterscheiden”, ist Tristan überzeugt. Was schmeckt und gut gedeiht, wird daher in der nächsten Saison weitervermehrt. Mit Erfolg.
Das vielfältige Angebot, das BIOsain liefert, ist heute gefragter und fixer Bestandteil des Slow Food Marktes der Erde im nahen Horn und versorgt an die 120 Haushalte, größtenteils in Wien, ebenso wie einzelne engagierte Gastronomiebetriebe. Wobei durchaus noch Platz für mehr Nachfrage wäre. „Gerade in der Region wäre es toll, zum Beispiel Nahversorger:innen zu beliefern.”
„Bei uns kann man viele verschiedene Facetten des Jobs erleben und lernen. Von der Saatgutgewinnung und Jungpflanzenpflege, dem Kräuter-, Obst- und Gemüseanbau bis hin zur Pilz- und Faserpflanzenzucht.”
Selbst die Ausbildung von Lehrlingen in Kooperation mit der Gartenbauschule Langenlois steht inzwischen auf dem Programm. „Bei uns kann man viele verschiedene Facetten des Jobs erleben und lernen. Von der Saatgutgewinnung und Jungpflanzenpflege, dem Kräuter-, Obst- und Gemüseanbau bis hin zur Pilz- und Faserpflanzenzucht”, beschreibt Jahwezi, was im Zuge der sogenannten BIOsain-Akademie übrigens auch für Private angeboten wird. „Wir wollen Perspektiven und neue Techniken für Privatpersonen wie für Profis entwickeln. Man könnte auch sagen: Wir wollen einen schönen Umgang mit der Natur für und durch alle erreichen.“
Nur Essen? Langweilig!
Und es geht noch mehr: „Früher wurden Pflanzen für so vieles verwendet, wir würden gerne wiederbeleben, was es da gab oder was in anderen Teilen der Welt immer noch gemacht wird: Färben, Heilmittel herstellen, Textilien weben, und, und, und.“ Dazu gehört heuer auch ein Projekt rund um Flachs und seine Verarbeitung, als Nächstes steht dann Baumwolle auf der Liste. „Warum nicht“, lacht Tristan, der schon mehr als eine Idee dazu hat, wie er das Mikroklima so verändern kann, dass sich die wärmeliebenden Pflanzen am Wachtberg wohlfühlen.
Ja, und dann könnten wir natürlich noch über die vielen Erfahrungen rund ums Wintergemüse sprechen – Sorten, die man auch in der kalten Jahreszeit ernten kann – über den geplanten Vielfalts-Obstgarten oder die jahrelange Zusammenarbeit mit Arche Noah und GEA-Chef Heini Staudinger. Über Veranstaltungen von „Tiny Farms“-Kursen bis zum Jungpflanzenmarkt, die am Wachtberg abgehalten werden.
Kurz gesagt: über die Idee, das Garten- und Pflanzenhandwerk wieder lebendig und „sexy“ zu machen. Denn, so sagen Jahwezi und Tristan unisono: „Es geht heute mehr denn je um neue Perspektiven in der Landwirtschaft – nicht nur, weil es dringend notwendig ist, sondern auch, weil’s einfach Spaß macht. Und Pflanzen nur fürs Essen? Das wär doch fast langweilig!“