Wir haben es schon tausendmal gehört: „Iss mehr Obst und Gemüse, das ist gesund!“ Und ja, das stimmt. Obst und Gemüse sind vollgepackt mit Ballaststoffen, Vitaminen, Mineralstoffen, Spurenelementen und anderen wichtigen Nährstoffen, die der Körper braucht. Aber gilt das auch für Obst und Gemüse aus der industriell betriebenen Landwirtschaft, die Pestizide und chemische Düngemittel einsetzt? Ist „gesund“ dann wirklich noch gesund? Und wie schneidet Bio im Vergleich dazu ab?
„In den letzten Jahrzehnten hat sich die Art und Weise, wie wir Lebensmittel anbauen und produzieren, drastisch verändert“, sagt der Biologe, Mediziner und Autor des Buches „Regenerativ“, Martin Grassberger. Viele Studien belegen, dass die Nährstoffdichte von Obst-, Gemüse- und Getreidesorten darunter gelitten hat. Seinen Anfang nahm diese Entwicklung in der sogenannten „grünen Revolution“ der Landwirtschaft, die auf den jungen Agronomen Norman Borlaug zurückgeht, der als der Mann in die Geschichtsbücher einging, der mehr Leben rettete als jeder andere.
„Ab den 1960er-Jahren ging es bei den Züchtungen um
Ertragsoptimierung. Schön, normiert und haltbar waren die wichtigsten Kriterien. Niemand hat sich um die Nährstoffdichte gekümmert.“
Borlaug entwickelte 1944 von Mexiko ausgehend im Auftrag der Rockefeller-Stiftung neue Getreidesorten, die bessere Ernteerträge liefern sollten. Damit wollte man den Hunger bekämpfen. Diese Hochleistungssorten verbreiteten sich rasch über den Globus. So konnten in den 1960er-Jahren die Ernten von Grundnahrungsmitteln wie Weizen, Reis oder Mais im Vergleich zum vorherigen Jahrhundert fast verdreifacht werden. Die chemie- und energiebasierte Industrialisierung der Landwirtschaft nahm so mit all ihren negativen Folgen ihren Anfang. „Ab den 1960er-Jahren ging es bei den Züchtungen um Ertragsoptimierung. Schön, normiert und haltbar waren die wichtigsten Kriterien. Niemand hat sich um die Nährstoffdichte gekümmert“, sagt Grassberger.
„Schweres Pflügen, der Einsatz von immer größeren Landmaschinen, Pestiziden und chemischen Düngemitteln schaden dem Bodenleben.“
Lebendiger Boden
Das Hauptproblem an der modernen Landwirtschaft ist, dass sie den Boden verarmen lässt. „Schweres Pflügen, der Einsatz von immer größeren Landmaschinen, Pestiziden und chemischen Düngemitteln schaden dem Bodenleben“, betont Grassberger. Das gehe auch auf Kosten des Nährstoffgehalts in den Lebensmitteln. „Der Boden ist ein riesiges Netzwerk voller Leben. Denn so wie wir Menschen haben auch Pflanzen und Ackerböden ein Mikrobiom“, sagt der Wissenschaftler. Ein lebendiger Boden sei voller Bakterien, Archaeen (Urbakterien), Einzeller, Pilze, Würmer und Gliedertiere und die Voraussetzung für gesunde Pflanzen mit allen für den Menschen notwendigen Mikronährstoffen.
„Mehr als zwei Milliarden Menschen sind, obwohl sie ausreichend oder sogar zu viel Kalorien zu sich nehmen, weltweit vom sogenannten Hidden Hunger betroffen.“
Hidden Hunger
„Mehr als zwei Milliarden Menschen sind, obwohl sie ausreichend oder sogar zu viel Kalorien zu sich nehmen, weltweit vom sogenannten Hidden Hunger betroffen“, betont Grassberger. Wir verhungern quasi vor der vollen Schüssel. Die zunehmende Fettleibigkeit sei ein Beleg dafür. „Wenn wir Lebensmittel mit hoher Nährstoffdichte essen, dann sind wir früher satt und nehmen weniger Kalorien zu uns“, sagt der Wissenschaftler.
Studien zeigen, dass in den letzten 50 bis 70 Jahren in Obst-, Gemüse- und Getreidesorten der Gehalt an essenziellen Mineralstoffen wie Eisen, Zink, Kalzium und Magnesium, aber auch an Vitaminen erheblich gesunken ist. So hat etwa der Eisengehalt in Karfiol und Kohlgemüse um bis zu 50 Prozent abgenommen. Orangen haben sogar bis zu 75 Prozent ihres Eisengehalts verloren. Auch der Vitamingehalt ist rückläufig. So ist etwa Vitamin A um 15 bis 35 Prozent gesunken, davon sind besonders Gemüsesorten wie Brokkoli, Karfiol und Kohlgemüse betroffen, um nur ein paar repräsentative Beispiele herauszugreifen.
Studien zeigen, dass in den letzten 50 bis 70 Jahren in Obst-, Gemüse- und Getreidesorten der Gehalt an essenziellen Mineralstoffen wie Eisen, Zink, Kalzium und Magnesium, aber auch an Vitaminen erheblich gesunken ist.
Weniger sekundäre Pflanzenstoffe
Ein weiterer wichtiger Faktor für die Gesundheit von uns Menschen sind sekundäre Pflanzenstoffe. „Pflanzen produzieren sekundäre Pflanzenstoffe hauptsächlich zum eigenen Zweck, um sich vor Fressfeinden, Viren, Bakterien, Pilzen oder dem UV-Licht zu schützen, aber auch um mit optischer Attraktivität oder Geruchsstoffen Bestäuber anzulocken“, erklärt Grassberger. Intensiver Geschmack, Farbe und Geruch sind ein Hinweis auf diese wertvollen Inhaltsstoffe, zu denen etwa Flavonoide oder Polyphenole gehören, die über antioxidative Eigenschaften verfügen, oder die für die gelben, orange und roten Farben zuständigen Carotinoide, wie beispielsweise Beta-Carotin, eine Vorstufe von Vitamin A. Sekundäre Pflanzenstoffe sind für unsere Gesundheit essenziell, denn neben der antioxidativen Wirkung stärken sie das Immunsystem, wirken entzündungshemmend, haben positive Effekte auf das Herz-Kreislaufsystem sowie unseren Hormonhaushalt, und es verdichten sich die Belege dafür, dass sie auch in der Krebsprävention eine Rolle spielen.
Studien belegen, dass alte Getreide- und Gemüsesorten reicher an sekundären Pflanzenstoffen waren als heutige Sorten. Mitverantwortlich ist einmal mehr der Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden.
Auch hier belegen Studien, dass alte Getreide- und Gemüsesorten reicher an diesen sekundären Pflanzenstoffen waren als heutige Sorten. Mitverantwortlich ist einmal mehr der Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden. Es spielt aber auch eine Rolle, wie die Pflanzen wachsen und wie reif sie sind. Werden die Lebensmittel beispielsweise unter regulierten Bedingungen in Glashäusern gezogen, müssen sie sich nicht vor Fressfeinden, Viren, Pilzen oder dem UV-Licht schützen und entwickeln entsprechend weniger sekundäre Pflanzenstoffe. Dasselbe gilt für den Reifegrad. Werden Obst und Gemüse früh geerntet, um etwa lange Transportwege zu überleben, geht das auf Kosten der sekundären Pflanzenstoffe.
Bio-Lebensmittel zeigen in mehreren Studien einen höheren Gehalt an Mikronährstoffen im Vergleich zu konventionell angebauten Lebensmitteln.
Bio ist besser, aber …
Die gute Nachricht ist: Bio-Lebensmittel zeigen in mehreren Studien einen höheren Gehalt an Mikronährstoffen im Vergleich zu konventionell angebauten Lebensmitteln. Mehrere Meta-Analysen ergaben, dass Bio-Gemüse höhere Konzentrationen an wichtigen Mikronährstoffen wie Beta-Carotin, Vitamin C, Bor, Kupfer und Zink aufweisen. Ebenso wurde in einer weiteren Meta-Analyse aus dem Jahr 2014 festgestellt, dass Bio-Lebensmittel signifikant höhere Konzentrationen an Antioxidantien enthalten, während konventionell angebaute Lebensmittel höhere Mengen an Pestizidrückständen und dem Schwermetall Cadmium aufweisen.
Je natürlicher der Anbau, je länger die Reifezeit und je kürzer die Transportwege, desto mehr Mikronährstoffe landen auf unseren Tellern.
Also sollten wir unbedingt auf biologische Lebensmittel greifen. Aber auch hier gilt einmal mehr: Je natürlicher der Anbau, je länger die Reifezeit und je kürzer die Transportwege, desto mehr Mikronährstoffe landen auf unseren Tellern. Lebensmittel, die auf einem fruchtbaren Boden im Freien unter der Sonne reifen dürfen, sind die ultimative Gesundheitsvorsorge.