„Wer isst hier politisch?“ Eine Frage, die am Dienstag nach der Nationalratswahl nicht nur eine hochkarätige besetzte Runde diskutierte, sondern auch großes Publikumsinteresse fand. Der Glaspalast der Luftburg – Kolarik im Prater war bis auf den letzten Platz gefüllt mit 230 interessierten Gästen der Gaumen Hoch-Veranstaltung, die im Rahmen des Popchop Future Food Festivals 2024 stattfand. Mit der Wahl der Location setzten Gaumen Hoch-Gründer:innen Alexandra Seyer-Gmeinbauer und Reinhold Gmeinbauer bereits ein Zeichen, handelt es sich bei der „Luftburg – Kolarik im Prater“ um das weltweit größte Bio-Restaurant und ein zertifiziertes Gaumen Hoch-Mitglied.
Bei der Herkunftskennzeichnung scheiden sich die Geister
Am Podium diskutierten – moderiert von Kurier-Herausgeberin Martina Salomon – Landwirtin und Demeter-Österreich-Vorstandsmitglied Helga Bernold, der vegetarische Spitzenkoch Paul Ivić (Restaurant TIAN), Biobauer und „Land schafft Leben“-Gründer Hannes Royer und Gastronom und Politiker Sepp Schellhorn leidenschaftlich und zeitweise durchaus hitzig. Im Fokus stand zunächst die Frage, ob es eine verpflichtende Herkunftskennzeichnung von Lebensmitteln in der Gastronomie geben soll, damit Konsumentinnen und Konsumenten beim Einkaufen eine bewusste und bessere Entscheidung treffen können. Eine Forderung, die der Verein „Land schafft Leben“ laut Royer „durchgängig und in Verbindung mit einer Haltungskennzeichnung“ an die Regierung stellt. NEOS-Abgeordneter Schellhorn wehrte sich entschieden dagegen, weil er den bürokratischen Aufwand für zu groß hält.
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Landwirtschaft fordert Vertrauen anstelle von noch mehr Kontrollen
Demeter-Vorstandmitglied Bernold fehlt das Vertrauen in die Bäuerinnen und Bauern: „Es wird immer schwarze Schafe geben, aber es hilft nicht, die anderen 98 Prozent, die anständig arbeiten, unter Generalverdacht zu stellen. Mehr Kontrollen lösen das Problem nicht.“ Vertrauen schaffe beispielsweise die Gaumen Hoch-Zertifizierung, bei der Gastronom:innen und Landwirt:innen jährlich von einer unabhängigen Stelle auf Gaumen Hoch-Kriterien geprüft werden. Bernold plädierte zudem für mehr Eigenverantwortung:
„Wir müssen uns darüber klar werden, welche Lebensmittel wir als Gesellschaft haben wollen und was wir bereit sind, dafür zu tun.“
Nachhaltig produzierte Lebensmittel niedriger besteuern
Für Ivić muss ein Wandel der Einkaufs- und Ernährungsgewohnheiten bei der Bildung beginnen: „Wenn wir weiterhin so ungebildet beim Essen sind, werden wir uns alles reinstopfen. Es muss zu 100 Prozent Bio sein, zu 100 Prozent frisch gekocht, zu 80 Prozent pflanzlich und zu 20 Prozent tierisch.“ Wenn wir ein besseres Grundverständnis bekämen, würden wir auch anders einkaufen. Aber: „Der Konsument wird so oft getäuscht und in die Irre geführt, dass man gar nicht mehr richtig entscheiden kann.“
„Wenn wir weiterhin so ungebildet beim Essen sind, werden wir uns alles reinstopfen.“
Der Vorreiter für nachhaltige Ernährung wünscht sich, „dass wir all jene Lebensmittel, die uns und unserem Planeten guttun, so besteuern, dass sie für alle leistbar werden. Und alle Lebensmittel, die uns und unserem Planeten extrem schaden, so hoch besteuern, dass man erst nachdenkt, was man kauft.“
Auch Sepp Schellhorn ist der Meinung, dass der Wissenstransfer in der Schule beginnen muss. Danach müsse dieser in der Ausbildung der Köchinnen und Köche fortgeführt werden und bei Konsumentinnen und Konsumenten enden. Dann müsse er nicht mehr mit Menschen diskutieren, warum sein Bio-Schnitzel 28 Euro kostet, die „in österreichischen Möbelhäusern tiefgekühlte Cordon Bleus aus Moldawien um 3,49 € essen und sich danach einen Polster aus Bangladesch um 1,99 € kaufen.“
„Man muss in der Schule anfangen, damit man Kinder sensibilisiert, das Richtige zu essen.
Ein klarer Auftrag an die Politik: Bildung muss schon an den Schulen ansetzen
Royer betreibt mit seinem Verein dahingehend längst Bewusstseinsbildung und stellt Schulen Unterrichtsmaterial zur Verfügung. Was viele nicht wissen: „Wir könnten beispielsweise auf Vollspaltenböden für Schweine vollkommen verzichten. Wir produzieren 4 Prozent Bio-Fleisch von Schweinen, die ein artgerechtes Leben führen, essen aber nur 1,3 Prozent davon. Den Rest müssen wir exportieren. Die Menschen sind nicht bereit, für diese Qualität zu bezahlen.“
„Wir haben es jeden Tag in der Hand, mit jedem Griff ins Regal vergeben wir einen Produktionsauftrag.“
Konsument:innen haben es selbst in der Hand
Auch Bernold, die fünf Kinder hat, kritisiert die Kluft zwischen Anspruch und Realität: „Eltern und Vereine wurden befragt, ob die biologische Landwirtschaft gefördert werden soll, aber nur 28 Prozent haben das bejaht, Die Schulen können nicht ersetzen, was die Kinder zu Hause nicht lernen. Da müssen wir uns selbst an die Nase nehmen.“ Royer: „Wir haben es jeden Tag in der Hand, mit jedem Griff ins Regal vergeben wir einen Produktionsauftrag. Wir müssen uns nicht auf die Politik ausreden. Wir entscheiden mit allem, was wir machen, alles mit. Wir entscheiden, wohin sich unsere Kulinarik hinentwickelt.“
5 Monate nach Start bereits über 150 Gaumen Hoch-Mitglieder
Gastgeber Paul Kolarik über die Philosophie seines Lokals: „Wir haben mit einem 30-prozentigen Bio-Anteil angefangen, mittlerweile haben wir das gesamte Angebot auf Bio umgestellt. Das ist etwas, das uns bewegt und das uns sehr wichtig ist. Ein Best-Practice-Beispiel für Gaumen Hoch, eine Gemeinschaft von Menschen aus der Gastronomie und der Landwirtschaft, die sich aus tiefer Überzeugung für einen verantwortungsvollen Umgang mit Lebensmitteln einsetzt und seit ihrer Gründung im April 2024 bereits über 150 motivierte Mitglieder zählt. Unterstützt wird die Initiative auch von der Tageszeitung „Kurier“, die für Gaumen Hoch als künftiger Medienpartner fungiert.