„Der Mensch, der keine Stammtischerfahrung hat, hat vom Leben fast nix gelernt, der lebt leider in einer anderen Dimension“, hat der Satiriker Gerhard Polt gesagt. Das Wirtshaus war immer schon ein Ort der Geselligkeit, ein Mikrokosmos und Spiegel der Gesellschaft. Heute ist es eine vom Aussterben bedrohte gastronomische Gattung. Die Gründe sind vielfältig: Fachkräftemangel, Teuerungen, Landflucht, Pandemie-Nachwehen, das Festhalten an der Vergangenheit. Das Image dieser urösterreichischen Institution ist vielerorts ein wenig angestaubt. Wie sich das Wirtshaus in die Gegenwart holen lässt, ohne dass seine DNA verloren geht, muss man sich heutzutage fragen.
Jacky und Carolyn Herzog haben sich diese Frage wohl auch gestellt, als sie 2022 ihr Wirtshaus auf dem Dorfplatz in Maria Alm eröffneten, mitten in der Skiregion Hochkönig im Salzburger Pinzgau. In ihrem „anderen Wirtshaus“, wie die Schwestern es nennen, gibt’s zwar Stammtisch, Schank und Volksmusik, aber Maggi-Flaschen auf rot-weiß-karierten Tischdecken und Convenience-Food findet man hier sicherlich nicht.
„Wir machen eigentlich so gut wie alles selbst“, sagt Jacky. „Die Küche ist einfach geradlinig und das sind viele nicht mehr gewohnt. Auch der Geschmack von unverfälschten Lebensmitteln ist den meisten Gästen nicht mehr geläufig.“ Auf der Karte stehen viele traditionelle Gerichte, aber auch Ausgefalleneres und eine Menge vegetarische und vegane Optionen.
„Die Küche ist einfach geradlinig und das sind viele nicht mehr gewohnt.“
Kompromisslos regional – weltoffen serviert
„In einer Tourismusregion wie unserer werben viele leichtfertig mit Regionalität und Saisonalität“, sagt Jacky. Wenn man sich die umfangreichen Karten anschaut, wird einem schnell klar: Das kann sich nicht ausgehen. „Deshalb sind wir so transparent wie möglich, ohne aufdringlich zu sein.“ Die Zutaten sind fast alle aus der Region, viele kommen von Bauernhöfen aus unmittelbarer Umgebung, andere von kleinstrukturierten österreichischen Bio-Betrieben. „Verschiedene Gemüsearten und die Milch sind von Bäuerinnen und Bauern aus zwanzig Metern Entfernung, die Pilze von Flachgauer Bio-Pilzen, die Bio-Kichererbsen vom Biohof Kirchknopf und die Bohnen von der Schalkmühle“, sagt Carolyn.
„Wenn wir etwas nicht selbst machen können, dann gibt es das bei uns auch nicht.“
Aus feinen Zutaten wie diesen kocht Jacky dann hin und wieder auch gerne Gerichte aus anderen Ländern, japanische Ramen mit rohem Biorind und Shiitake Pilzen zum Beispiel. Auf der Mittags- & Abendkarte gibt es neben Vor- & Hauptspeisen kleine Sharing-Gerichte zum Teilen. Zusätzlich bieten die beiden ein Überraschungsmenü an. Es nennt sich „Tischlein, deck dich“, wobei Regionales und Saisonales abends in der Tischmitte zum Teilen serviert werden. Und jeden letzten Sonntag im Monat heißt es brunch’n’bubbles, oder, wie Carolyn sagt: „All you can bubble und all you can filtercoffee.“ Der Prosecco dafür kommt aus der eigenen Schank.
Das mit dem Selbstmachen ziehen die Herzoginnen konsequent durch. „Wenn wir etwas nicht selbst machen können, dann gibt es das bei uns auch nicht“, sagt Jacky. Das gilt für das selbstgebackene Brot genauso wie für die Mayo, den Frischkäse, die Harissa, den Kombucha sowie sämtliche Dressings und Gewürzmischungen: alles #selbstgemachtwiesonst, wie sie es auf Instagram beschreiben. Da gehen die Schwestern die berühmte Extrameile. Bei den Getränken, für die Carolyn verantwortlich ist, arbeiten sie mit gut ausgewählten Partner:innen zusammen. Den Bitter (Aperol) stellt ein Bekannter selbst her, der Wein und Naturwein ist bestens kuratiert (Schödl, von der Vogelwaide & Co) und oft biodynamisch, der Kaffee kommt aus einer kleinen Rösterei in Saalfelden.
„In einem Ort, an dem alles so traditionell ist, haben die Leute oft eine Hemmschwelle, reinzukommen. Wenn sie es dann aber doch tun und feststellen: ‚Da ist es eigentlich total nett‘, dann ist das schon eine kleine Bestätigung.“
Bevor sie das andere Wirtshaus eröffneten, hatten Carolyn und Jacky andere Leben. Jacky ist eigentlich Englisch und Italienisch-Lehrerin, Carolyn Architektin. Die Idee, einmal etwas Gastronomisches zu machen, gab es schon lange. Nachdem Jacky sechs Jahre auf einer Alm gearbeitet und sie drei Sommer lang bewirtschaftet und es geliebt hatte, ergab sich die Sache mit der leerstehenden Gastrofläche fast wie von selbst. „Der Inhaber ist auf die Jacky zugekommen, und irgendwie hat sich alles gefügt“, sagt Carolyn. Das Interieur hat die Architektin selbst gestaltet. „Was für unser Essen gilt, spiegelt sich auch in der Architektur wider: Die Tische, die Lampen, die Stühle – das ist alles selbst designt. Hergestellt haben es Handwerker:innen aus dem Ort“, sagt sie.
Wer in der „Herzogin“ einkehrt, fühlt sich augenblicklich wohl. Das Interieur ist geradlinig wie die Küche, aber auch genauso poetisch und persönlich. Es ist nicht das, was sich die meisten erwarten, wenn sie ein Wirtshaus am Land betreten.
„In einem Ort, an dem alles so traditionell ist, haben die Leute oft eine Hemmschwelle, reinzukommen. Wenn sie es dann aber doch tun und feststellen: ‚Da ist es eigentlich total nett‘, dann ist das schon eine kleine Bestätigung“, sagt Jacky. Je diverser das Publikum, desto mehr Wirtshaus. Oder mit den Worten von Gerhard Polt: „Das Wirtshaus bietet der ganzen Gesellschaft, Kind und Kegel, Deppen, Gaunern, Intellektuellen, Beamten, Rückkehrern aus der Kriegsgefangenschaft wie Rückkehrern von den Seychellen eine Heimat.“