Wie grün sind Guide Michelins „Grüne Sterne“?

Warum es bei der Bewertung des Hotel- und Reiseführers von nachhaltigen Restaurants im Vorfeld Kritik hagelte und wie genau heuer hingesehen wurde.
von Jürgen Schmücking
Michelin Guide Grüne Sterne
© Gaumen Hoch

Die Würfel sind gefallen, die Sterne sind vergeben (siehe Liste unten). Wir gratulieren allen ausgezeichneten Köchinnen und Köchen und richten unser Augenmerk nun auf einen Aspekt, der uns – naturgemäß – besonders interessiert: die Grünen Sterne. Was hat es damit auf sich? Was bedeuten sie und was sagen sie über die Enkeltauglichkeit der grünsternprämierten Restaurants aus?

Es ist etwa fünf Jahre her, seit der Guide Michelin das erste Mal die grünen Sterne verteilt hat. Eigentlich sind es ja keine Sterne. Vielmehr stellt das Logo ein fünfblättriges Kleeblatt dar.  Klar, es ist angelehnt an den begehrten roten Stern. Erkennbarkeit rules! Und genau das lieferte auch gleich den ersten Anlass für Kritik an der Initiative. Es ist eine Grundvoraussetzung, dass ein Betrieb in irgendeiner Form vom Guide Michelin gesehen und erfasst wird. Konkret bedeutet das, dass auch nachhaltige Restaurants der Kategorie ‚Bib Gourmand‘ einen Stern bekommen können.

„Wir freuen uns wirklich sehr über diese Auszeichnung. Es ist eine schöne Anerkennung für den regionalen und nachhaltigen Weg, den wir verfolgen. Bezüglich der Auszeichnung hatten wir einige Formulare auszufüllen und führten mehrere Telefonate, in denen die verschiedensten nachhaltigen Themen (in Bezug auf unser Restaurant) noch einmal genau hinterfragt wurden.“
Philipp Medved und Martin Nuart, Bär & Schaf Wirtschaft

Wer kann mit einem Grünen Stern ausgezeichnet werden? Alle Restaurants des Guide MICHELIN können den Grünen Stern erhalten, unabhängig davon, ob sie mit dem Bib Gourmand, mit einem oder mehreren MICHELIN Sternen ausgezeichnet sind oder einfach als gutes Restaurant empfohlen sind.

Was bedeutet Bib Gourmand? Der Bib Gourmand, benannt nach dem Michelin-Maskottchen Bibendum, zeichnet Restaurants aus, die gute Küche zu moderaten Preisen bieten. Die Inspektoren des Guide Michelin würdigen damit Betriebe, die hochwertige Speisen erschwinglich machen.

„Verkürzt könnte man sagen: da wäre es möglich, dass etwas kochtechnisch banal und mittelmäßig ist, wegen der richtigen ‚Gesinnung‘ (und zum Beispiel den entsprechend aufgeladenen Produkten) aber trotzdem einen grünen Stern erhält.“ 
Gastrokritiker Jürgen Dollase

Einen Grünen eben, und das ist vor allem dem deutschen Gastrokritiker Jürgen Dollase sauer aufgestoßen. Seine Befürchtung war, dass es durch den grünen Stern möglich sei, einer „kochtechnisch banalen und mittelmäßigen Küche einen Stern zu verleihen, nur weil die Gesinnung stimmt“ (Zu Dollases Kommentar des neuen Michelin Deutschland 2024). Und dass dieser „Stern“ eine Strahlkraft in Sachen Geschmack und Qualität hat, der die Küche nicht gerecht wird. Quasi ‚kulinarisches Greenwashing‘. Nur in umgekehrter Richtung.

„So wie der Grüne Stern aktuell ist, glaube ich, dass er ein ‚Greenwashing-Stern‘ ist. Er bedeutet nichts. Und mehr noch, ich habe das Gefühl, dass er meinem Geschäft schaden könnte.“
Billy Wagner 2021

Ein anderer Aspekt der Kritik kam ebenfalls aus Deutschland. Der Berliner Billy Wagner regte sich unglaublich über seinen grünen Stern auf. Dabei ging es dem Wirt des Berliner Sternerestaurants Nobelhart & Schmutzig nicht um die Auszeichnung an sich. Die würde ihn sogar sehr freuen, sagt er. Was ihn viel mehr störte, war die Tatsache, dass der Guide Michelin die Botschaften seiner Außenkommunikation als Grundlage für seine Entscheidung herangezogen hatte. Und dass diese Botschaften weder hinterfragt noch kontrolliert wurden.

Der Gastro-Journalist Jan-Peter Wulf stellte kürzlich in seinem Kommentar bei Greentable die interdisziplinäre Fragen: Ist ein Unternehmen, dessen Geschäft es ist, Autoreifen zu verkaufen, überhaupt glaubwürdig, wenn es um nachhaltige Gastronomie geht? Immerhin mache der Gummabrieb von Reifen, ermittelte das Fraunhofer Institut für Umwelt, Sicherheit und Energietechnik, den Hauptanteil des Mikroplastiks aus, die von der Straße über die Kanalisation in unserem Wasser landen und letztlich erwiesenermaßen wieder in unsere Nahrungskette gelangen. Was laut Wulf wiederum die nächste Frage aufwirft: „Kann die Gastronomie wirklich glücklich damit sein, dass ihr ‚Goldstandard‘ direkt von der Wirtschaft abhängt?“

Michelin hat seine Hausaufgaben gemacht

Was die kritischen Stimmen aus der Gastronomie betrifft, so sind diese Jahre her – Schnee von gestern, könnte man meinen. Denn der Michelin scheint in dieser Hinsicht seine Hausaufgaben gemacht zu haben. Zumindest, was das genaue Hinschauen und Überprüfen betrifft.

Zeig dein Restaurant Guat'z Essen

Nehmen wir Peter Fankhauser als Beispiel. Der Zillertaler betreibt in Stumm im Zillertal das 4-Hauben- und nun auch Sterne-Restaurant Guat’z Essen. Hundert Prozent vegetarisch, seine Rohstoffe bezieht er zum überwiegenden Teil aus seinem Permakulturgarten neben dem Haus. Der Rest wird im Wald gesammelt. So ein Konzept macht die Michelin-Scouts natürlich neugierig. Für seinen grünen Stern führte Fankhauser zahllose Telefonate, musste in Summe vier Formulare (online) abliefern und das gültige Zertifikat der Bio-Kontrolle vorweisen. Dabei wollte es der Michelin sehr genau wissen:

„Ich musste sagen, welches Saatgut ich für meine Permakultur verwende, garantieren, dass es altes Saatgut ist und angeben, von welchen Quellen ich es beziehe. Auch beim Getreide und bei Milchprodukten ging es um die Herkunft der Produkte.“
Peter Fankhauser
„In Sachen Nachhaltigkeit denken der Guide Michelin und Gault & Millau in die gleiche Richtung. Das ist wichtig, und sind auch die richtigen Schritte.“
Paul Ivić, der 2025 zum dritten Mal in Folge einen grünen Stern bekam:

Der Michelin hat also dazugelernt und nimmt die Sache mit den grünen Sternen richtig ernst. Nachhaltigkeitsaussagen werden hinterfragt, Zertifikate eingefordert. Das zeigt, dass dem Guide das Thema am Herzen liegt. Und es zeigt auch – wie im Fall Fankhauser sichtbar wird – dass der grüne Stern das Potenzial hat, nicht nur das Thema Nachhaltigkeit voranzubringen. Es ermöglicht dem Guide auch, sich zu öffnen, transparenter zu werden. Beides freut uns. Wobei es natürlich schon wünschenswert wäre, würde der grüne Stern eine ähnliche Strahlkraft erreichen wie der rote.

„Wir haben jetzt nicht großartig auf diese Auszeichnung hingearbeitet. Wir sind seit unserer Eröffnung so nachhaltig und regional, wie es nur geht. Der Stern ist natürlich eine Bestätigung für das, was wir tun. Die Auszeichnung freut uns riesig und wir werden unser Ding einfach so weitermachen wie bisher.“
Werner Tschiedel, Ziegelwerk

„Grüne Sterne” für 3 Gaumen Hoch-Mitglieder

Für nachhaltige Gastronomie wurden folgende Restaurants aus unserer Community geehrt:

HIER geht’s zur Liste aller „Grüner Stern”-Restaurants, die 2025 von Guide Michelin ausgezeichnet wurden.

„In Sachen Nachhaltigkeit denken der Guide Michelin und Gault & Millau in die gleiche Richtung. Das ist wichtig, und sind auch die richtigen Schritte.“
Paul Ivíc, TIAN

Das gemeinsam von Birgit und Heinz Reitbauer geführte Steirereck im Stadtpark ist Österreichs neues 3-Sterne Restaurant und eines von nur zwei Häusern in Österreich, die mit drei (roten) Michelin-Sternen ausgezeichnet sind. „Definitiv keine Küche von der Stange. Die Gerichte sind nicht verkopft oder überladen. Hier wird leicht, frisch und mit beeindruckender Eleganz und geschmacklicher Komplexität gekocht“, sagten die Michelin-Inspektoren über das Restaurant im Wiener Stadtpark. Bei unserer Gemeinschaft sind die Reitbauers wertvolle Mitdenker:innen und Impulsgeber:innen. Einen Stern bekamen Edvard, Guat’z Essen, Mangold, TIAN und das Ziegelwerk, das auch Bib Gourmand erhielt.

Über die Grünen-Michelin-Sterne

Der Guide Michelin begann bereits im Jahr 2005, Restaurants in Österreich auszuzeichnen. Damals wurden erstmals Betriebe in Wien mit den begehrten Sternen prämiert. Die Grünen Sterne wurden deutlich später eingeführt: Sie gibt es seit dem Jahr 2020. Der Guide Michelin schuf diese Auszeichnung, um Restaurants zu würdigen, die sich durch besondere Nachhaltigkeitsbemühungen auszeichnen, wie die Verwendung lokaler Zutaten, die Reduktion von Lebensmittelverschwendung oder den Schutz natürlicher Ressourcen. In Österreich wurden erstmals im Jahr 2023 zwei Restaurants mit dem Grünen Stern geehrt: Das Tian und das Mast Weinbistro (beide in Wien). Diese Auszeichnungen wurden im Rahmen des Guide Michelin Main Cities of Europe 2023 vergeben, der Restaurants in Wien und Salzburg berücksichtigt. Am 21. Januar 2025 veröffentlicht der Guide Michelin erstmals eine nationale Auswahl für ganz Österreich.

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