Extreme Wetterereignisse, Böden, die ihre Fruchtbarkeit verlieren, Massen-Fleischproduktion oder der Verlust von Biodiversität – die Liste an aktuellen Herausforderungen und Missständen in der Landwirtschaft ist lang. Monokulturen auf dem Feld fördern die Zunahme von Schädlingen, wodurch Ernteverluste gravierender werden könnten. Der Verbrauch von zu großen Wassermengen in der konventionellen Landwirtschaft wird durch die Klimaveränderung verstärkt und könnte Wasserknappheit zur Folge haben. Und das sind nur herausgegriffene Probleme, die in dieser komplexen Industrie alle zusammenhängen und deutlich zeigen: Wir werden so nicht weitermachen können.
Warum es Pionier:innen braucht
Um eine nachhaltige Veränderung herbeizuführen, braucht es deshalb Menschen, die neue und kreative Ansätze verfolgen. Es braucht Vorbilder, die Entwicklungen vorantreiben, die das Problembewusstsein erhöhen und dabei das Wohl aller im Sinn haben. Kurz: Es braucht Pionier:innen.
Schaut man genauer hin, muss man sie nicht lange suchen. Österreich ist voll von innovativen Produzent:innen, Landwirt:innen und Gastronom:innen, die völlig neu denken und damit auch Erfolg haben.
Was versteht man unter Nachhaltigkeit?
Der Begriff Nachhaltigkeit hat seine Wurzeln im 18. Jahrhundert – und stammt aus der Forstwirtschaft. 1713 forderte der sächsische Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz in seinem Werk „Sylvicultura Oeconomica“, dass nur so viel Holz geschlagen werden dürfe, wie nachwachsen könne. Sein Ziel: den Wald als lebenswichtige Ressource langfristig sichern. Heute steht Nachhaltigkeit längst für mehr als nur Waldschutz. Unter Nachhaltigkeit versteht man heute das Prinzip, dass Umwelt, Wirtschaft und Soziales in Einklang gebracht werden sollen.
1. Helga Bernold: Quality first
Eine dieser Pionier:innen ist Helga Bernold, 47, Demeter-Bäuerin im niederösterreichischen Stronsdorf. Sie weiß genau, warum sie ihren Hof anders führt als viele andere. Auf der Weide grasen ihre Wagyu-Rinder, im Stall gibt es Musik und Massageeinheiten für die Tiere. „Die Natur ist so komplex, dass sie sich nicht auf ein paar Salze und Pestizide reduzieren lässt“, steht auf ihrer Website. „Die mit der biologischen Landwirtschaft verbundene Herausforderung ist spannender, gesünder und sinnvoller.“
„Wenn ich eine 20 Jahre alte Kuh habe, darf die im Stall stehen bleiben, auch wenn sie mir nichts mehr bringt.“
Nach Jahren in der Mobilfunkbranche fand sie über ihren damaligen Ehemann zurück zur Landwirtschaft – nicht romantisch verklärt, sondern durchdacht. „Für mich war immer klar: wenn Landwirtschaft, dann mit Tieren – und zwar biodynamisch. Das entspricht genau meiner Lebenshaltung. Da geht es um Balance, um Kreisläufe, ein Gesamtkonzept.“ Auf Helgas Hof zählt nicht die höchste Milchleistung, sondern der Respekt. „Wenn ich eine 20 Jahre alte Kuh habe, darf die im Stall stehen bleiben, auch wenn sie mir nichts mehr bringt.“
2. Ebner-Ebenauer: Ein Hoch auf die Unvernunft
Ein paar Kilometer weiter, im Weinviertel, zeigt sich dieselbe Haltung – aber auf andere Weise. Marion und Manfred Ebner-Ebenauer bewirtschaften seit 2007 ihr rund zwanzig Hektar großes Weingut, produziert wird biologisch, seit 2020 sogar biodynamisch – mit Kompost, Begrünung und Rücksicht auf Natur und Insekten. „Da kreucht und fleucht es im Weingarten, das ist einfach wunderschön“, sagt Marion, wenn sie durch die begrünten Reihen geht.
„Die Böden gehören zwar uns, aber ich empfinde sie als geborgt.“
Besonders stolz ist das Paar auf seinen Schaumwein. Ihr Blanc de Blancs Zero Dosage lagert sieben Jahre auf der Hefe – „Schönheitsschlaf“, wie Marion sagt. Denn Schaumwein sei nicht einfach nur prickelnder Luxus. „Er macht was mit einem. Er steht für Feiern, für Lebensfreude – aber auch für Zeit, für Eleganz, für ein Miteinander.“
Das Fundament dafür ist der Boden, und mit ihm gehen die beiden achtsam um. „Die Böden gehören zwar uns, aber ich empfinde sie eigentlich nur als geborgt“, sagt Marion. Dieses Gefühl der Verantwortung durchdringt dabei jede Flasche – und das ganze Weingut Ebner-Ebenauer. Und das schmeckt man auch.
3. Kurt Feiler: Biodynamik mit Herz
Auch Kurt Feiler vom Weingut Feiler-Artinger im burgenländischen Rust zeigt, dass Weinbau radikal nachhaltig funktionieren kann. Für ihn beginnt alles im Boden – und mit einer klaren Haltung: „Jeder Betrieb ist ein Organismus mit dem Menschen als Bewusstseinsebene ganz oben.“ Feiler hält eine kleine Angus-Rinderherde, die seine Weingärten beweidet. Ihre Kuhfladen sind kein Abfall, sondern Grundlage für ein biodynamisches Feldspritzpräparat – ein altes Rezept, das Boden und Pflanzen stärkt. „So haben wir einen kompletten Kreislauf“, erklärt der 52-jährige Winzer. Die Reben danken es ihm: „Gesunde, reife Trauben machen drei Viertel der Arbeit aus. Dafür braucht es einen Boden, der bereit ist.“
„Jeder Betrieb ist ein Organismus mit dem Menschen als Bewusstseinsebene ganz oben.“
Er war einer der ersten Pionier:innen in Österreich, die diesen Ansatz verfolgt haben – und hat sich dabei selbst eine Freude gemacht: „Es ist etwas Lebendiges, was den Betrieb komplexer und kompletter macht.“
4. Paul Ivić: Kochen völlig neu denken
Diese Verantwortung spürt auch Paul Ivić. Der Küchenchef der vegetarischen Gourmetrestaurants Tian und TIAN Bistro in Wien gehört zu den wichtigsten heimischen Pionier:innen für bewusste Ernährung. Doch sein Weg dahin war ein steiniger. Der Spitzenkoch ging nicht immer so bewusst mit Lebensmitteln um. Erst in einer psychisch und körperlich schwierigen Lebensphase besann er sich zurück.
„Wenn wir Ernährung wirklich verändern wollen, brauchen wir strukturelle Veränderung. Sonst bleibt es bei Symbolen.“
„Kochen war plötzlich eine Belastung geworden, obwohl es bis dahin eigentlich mein einziger Anker gewesen war“, sagt er über eine Krise, die ihn zwang, neu zu denken. Die Rückbesinnung auf den echten, natürlichen Geschmack seiner Kindheit in Tirol veränderte alles. Heute steht das Tian für höchste Kulinarik – ganz ohne Fleisch.
„Der echte, unverfälschte Geschmack der Natur war der Grund, warum ich Koch wurde“, sagt er. Doch Ivić geht weiter: Er fordert politische Rahmenbedingungen für besseres Schulessen, gerechtere Steuern auf Lebensmittel, mehr Bildung. „Wenn wir Ernährung wirklich verändern wollen, brauchen wir strukturelle Veränderung. Sonst bleibt es bei Symbolen.“
5. Paul und Bianca Kolarik: Bio-Stelzen im großen Stil
Mitten im Wiener Prater zeigen die Pionier:innen Paul und Bianca Kolarik, dass 100 Prozent Bio auch im großen Stil funktioniert. In ihrem Restaurant Luftburg – Kolarik im Prater leben sie ein konsequentes Nachhaltigkeitskonzept. Für die beiden bedeutet Bio nicht Verzicht, sondern Verantwortung – und die Chance, ihre Reichweite für Veränderung zu nutzen. „Wir wollen etwas beitragen mit den Möglichkeiten, die wir zur Verfügung haben“, sagt Bianca Kolarik.
„Wir freuen uns, wenn wir in der Gastronomie eine Vorbildfunktion einnehmen und andere Unternehmen ermutigen können, auch den nachhaltigen Weg zu gehen.“
Die dreifache Mutter ist in einer Unternehmerfamilie aufgewachsen, genauso wie ihr Mann Paul. Schon vor der Umstellung auf Bio lief das Restaurant gut – doch mit dem neuen Weg wurde aus einem erfolgreichen Betrieb ein Vorzeigeprojekt. „Wir freuen uns, wenn wir in der Gastronomie eine Vorbildfunktion einnehmen und andere Unternehmen ermutigen können, auch den nachhaltigen Weg zu gehen. Unsere Gäste schätzen, dass wir ganz nach unserer Vision „Gastfreundschaft – spürbar – nachhaltig leben“, betont Paul. Die Familie Kolarik setzt sich auch öffentlich für Aufklärung ein, gibt ihr Wissen in Podcasts weiter.
Klar: Veränderung muss langfristig gedacht werden. Der Ausstieg aus Gas, der Bezug von Energie aus erneuerbaren Quellen und neue Ideen für eine nachhaltigere Gastronomie waren für sie die logischen nächsten Schritte, die in einem großen Umbau heuer erfolgt sind. „Der Markt ist in Bewegung, und es muss in diese Richtung gehen, weil es keine andere Option gibt“, ist sich Paul Kolarik sicher. Ihr Beispiel zeigt: Nachhaltigkeit braucht Mut – und Menschen, die sie leben.
6. Andreas Maurer: Wissen vermitteln
Mut hat auch Andreas Maurer bewiesen. Er ist Bio-Bauer – und das mitten in Wien. Auf seinem Biohof Maurer in Floridsdorf lebt er gemeinsam mit seiner Frau Lisa, einer Tierärztin, das, was viele für unmöglich halten: artgerechte Tierhaltung, biologische Landwirtschaft und Bildungsarbeit in einem der urbansten Räume Österreichs. Der Hof ist Heimat für rund 120 Schweine, Hühner und Ziegen und umfasst mehrere Hektar Ackerfläche. Stolz ist Maurer auf seine Bildungsarbeit. Regelmäßig kommen dutzende Kinder im Rahmen des Projekts „Schule am Bauernhof“ zu Besuch.
„Es ist schön zu beobachten, wie die Kinder verstehen. Ich möchte, dass ankommt, was wir in einer biodynamischen Landwirtschaft an Mehrwert leisten.“
Für ihn ist es ein Herzensanliegen, diese Begegnungen zu ermöglichen. „Es ist schön zu beobachten, wie die Kinder verstehen. Ich möchte, dass ankommt, was wir in einer biodynamischen Landwirtschaft an Mehrwert leisten“, sagt er. Heute ist er überzeugt, dass Tierwohl und Nachhaltigkeit nicht nur auf dem Land, sondern auch in der Stadt möglich sind – und vielleicht gerade dort besonders wichtig. Mit seinem Engagement zeigt er: Zukunftsfähige Landwirtschaft braucht nicht nur Fläche – sondern vor allem Haltung.
7. Robert Brodnjak: Von der IT in den Garten
Das beweisen auch die Pionier:innen Robert Brodnjak, früher IT-Techniker, und seine Frau Claudia Detz, die sich als Bilanzbuchhalterin ihr Geld verdiente. Vor über einem Jahrzehnt fassten sie einen radikalen Entschluss: Sie wollten ihr Leben verändern – und fanden ihre Berufung im Gemüseanbau. Auf ihrer Terrasse begann alles mit ein paar selbstgezogenen Paradeisern. Heute steht hinter diesem ersten Schritt das „Krautwerk“ – ein Betrieb, der sich auf alte und seltene Gemüsesorten spezialisiert hat.
„Im Nachhinein gesehen, habe ich das bei der Ausbildung vermisst: diese Vielfalt.“
Für Brodnjak, der auch gelernter Koch ist, war es eine logische Weiterentwicklung. „Im Nachhinein gesehen, habe ich das bei der Ausbildung vermisst: diese Vielfalt“, sagt er. Gemeinsam mit Spitzenköch:innen werden neue Sorten selektiert. Die vollständige Verwertung ihrer Pflanzen – samt Knolle, Blättern und allem, was dazugehört – ist dabei selbstverständlich. Kultiviert wird immer in Abstimmung mit dem Boden, dem „wichtigsten Gut“.
Was ein gutes Produkt wirklich ausmache, könne man erst verstehen, wenn man es erlebt hat. „Wer einmal in einen selbstgezogenen Paradeiser direkt aus dem Garten gebissen hat, wird das bestätigen können“, so der Gemüse-Gärtner. Sein Ziel ist es, das Bewusstsein für hochwertige Lebensmittel zu stärken und weiterzugeben.
Dabei bleibt es nicht bei der Arbeit auf dem eigenen Feld: Brodnjak denkt weiter. Er möchte ein Netzwerk an Marktgärtnereien aufbauen, um Wissen, Saatgut und Erfahrungen zu teilen – und so einen nachhaltigen Beitrag für die Landwirtschaft von morgen zu leisten.
8. Burgit und Heinz Reitbauer: Sterne für Nachhaltigkeit
Jüngst mit drei Sternen ausgezeichnet, dürfen auch das Steirereck und seine Dependance am Pogusch in der Liste der Pionier:innen nicht fehlen. Eines der besten Restaurants der Welt geht schon seit geraumer Zeit einen nachhaltigen Weg und setzt damit Meilensteine in der Gastronomie. Das Steirereck strich schon vor Jahren viele Produkte aus Übersee, etwa Lamm, Garnelen oder Rindfleisch, von der Karte und verwendet heute fast ausschließlich regionale und biologische Zutaten.
„Früher wurde das Lamm aus Neuseeland eingeflogen, und das schmeckte mir nicht. Also das Lamm natürlich schon, aber der Umstand, was für eine Reise dieses Produkt hinter sich hatte, der schmeckte mir nicht.“
„Früher wurde das Lamm aus Neuseeland eingeflogen, und das schmeckte mir nicht. Also das Lamm natürlich schon, aber der Umstand, was für eine Reise dieses Produkt hinter sich hatte, der schmeckte mir nicht“, sagt Eigentümer Heinz Reitbauer. Seitdem züchten Heinz und seine Frau Birgit Reitbauer am Pogusch in der Steiermark eigene Schafe, betreiben auf dem Dach ihres Restaurants im Stadtpark einen eigenen Kräutergarten und arbeiten eng mit nachhaltigen Lieferant:innen zusammen – echte Pionier:innen eben.
Pionier:innen, die Zukunft vorleben
Was all diese Menschen verbindet, ist mehr als ihre Berufe. Es ist eine Haltung und die Liebe zur Natur. Vor allem aber zeichnen sie sich durch ein hohes Verantwortungsgefühl aus. Dabei sind sie längst nicht mehr allein, sie haben mittlerweile tausende Mitstreiter:innen gefunden. Sie alle beweisen eindrucksvoll, dass Landwirtschaft, Genuss und Nachhaltigkeit kein Widerspruch sind. Sondern die Ansprüche von uns allen heben.