Ist Zero Waste nur Utopie?

Warum die Bezeichnung Zero Waste eigentlich das Thema verfehlt und wie man Lebensmittelverschwendung zu Hause vermeidet – mit Tipps von Profis.
von Redaktion
Zero Waste
© Canva

London. Unit 7, Queens Yard, Hackney Wick. Unweit des Olympiaparks sitzt das Silo. Eine der aktuell wohl spannendsten Aktien in Londons Gastronomieszene. Head-Chef Douglas McMaster und sein Team haben der Lebensmittelverschwendung den Kampf angesagt. Neu ist das Restaurant nicht, vielmehr gehört es bereits seit Jahren zu den Pionieren auf dem Gebiet der nachhaltigen Gastronomie. Immer auf der Suche nach neuen, innovativen Ansätzen. Beispiel gefällig? Seit Längerem experimentieren die Londoner mit Koji, einem Schimmelpilz aus Japan, um durch die Zugabe das Ernährungspotenzial von beispielsweise Sojabohnen zu erschließen. „Und sie birgt ein unendliches Potenzial für das Upcycling zu sojaähnlichen Soßen, Miso und so weiter, wobei Abfälle der Lebensmittelindustrie wie Biertreber und Molke verwendet werden“, ergänzt Ryan Walker, Leiter der Fermentation bei Silo im Gespräch mit dem Magazin Country & Town House. Mit einem grünen Stern des Guide Michelin dekoriert bezeichnet sich das Silo als das „erste Zero-Waste-Restaurant der Welt“. Aber kann es Zero Waste überhaupt geben?

Lebensmittel-
Verwendung 
in Zahlen
Die Umweltorganisation Greenpeace geht davon aus, dass in Österreich jährlich „mindestens 760.000 Tonnen an ungenutzter Nahrung“ anfallen. Weiter schätzt sie, dass davon „34 Prozent auf die Gastronomie, 33,5 Prozent auf private Haushalte, 20 Prozent auf die Landwirtschaft und 13,5 % auf den Handel“ entfallen. Blickt man eine Ebene höher, auf die der EU, kommt man auf einen gesamten Verlust von etwa 180 Millionen Tonnen an Lebensmitteln. Das macht umgerechnet rund 180 Kilogramm pro Person – einem Bericht der Europäischen Union zum Thema Lebensmittelverschwendung zufolge entfallen davon rund 54 Prozent auf die privaten Haushalte selbst.

Es gibt aber auch positive Zahlen: Die Tafel rettete 2024 1.578 Tonnen Lebensmittel und verteilte sie an rund 75.000 von Armut betroffenen Personen. Das gibt die Organisation in ihrer aktuellen Jahresbilanz an.

Von Zero zu Low

Das Silo mit seiner angeschlossenen Kochschule ist eine Besonderheit: Alte Glasflaschen, die zu Tellern gebrannt werden, oder eben Lebensmittel, die durch Fermentation haltbarer gemacht werden. Ein Vorzeigebetrieb, findet auch Paul Gamauf, Küchenchef des Restaurant Edvard im Wiener Anantara Palais Hansen. Auch Gamauf und sein Team arbeiten daran, Abfälle in ihrer Küche zu vermeiden.

„Zero Waste ist natürlich eine geile Philosophie, aber sehr schwer zu erreichen. Ich sage immer gerne Low Waste. Wir versuchen bei uns im Restaurant aus allem noch etwas zu machen.“
Paul Gamauf, Restaurant Edvard
© Anantara Palais Hansen Vienna Hotel
Paul Gamauf

Mit der Begrifflichkeit „Zero Waste“ in seinem Restaurant tut er sich aber schwer: „Es ist natürlich eine geile Philosophie, aber sehr schwer zu erreichen. Ich sage immer gerne Low Waste. Wir versuchen bei uns im Restaurant aus allem noch etwas sinnvolles zu machen. Wenn es aktuell nicht in Menü passt, wird es eingelagert. Wir benützen viel Technik, um Säfte zu gewinnen, Dampfentsaften bis Schockfrosten. Säfte, mit denen wir dann die jeweiligen Gänge in unserem Menü begleiten“, sagt Gamauf und erklärt weiter: „Allgemein ist die Hälfte unseres Menüs vegetarisch, was uns enorme Möglichkeiten einräumt. Denn einen Knochen kann man schon noch auskochen, aber am Ende bleibt trotzdem ein Knochen über, den ich maximal noch als Dekoration verwenden oder meinem Hund geben kann.“

Nochmal zurück nach London: Auch wenn Gamauf den Begriff „Zero Waste“ aus genannten Gründen eher kritisch sieht, dem Silo nimmt er ihn ab: „Die arbeiten nochmal in einer speziellen Form, die wir mit der Größe unseres Teams nicht umsetzen können. Aber natürlich überlegen wir immer, wie wir noch mehr Abfälle vermeiden und wie wir etwas weiter verwerten können.“

Begrifflichkeiten einmal beiseite: Nimmt man es genau, fallen in jeder Küche – früher oder später – Abfälle an. Seien es Verpackungen oder auch Lebensmittelreste. Ganz vermeiden lässt sich das nicht. Viel entscheidender als die Begrifflichkeit scheint derweil der Wille, Abfälle auf ein Minimum zu reduzieren. Ein Konzept, das in der Gastronomie immer populärer wird. Und das kann man auch für zu Hause nutzen, bietet es doch gleich eine ganze Reihe an Vorteilen. Zuallererst natürlich die ökologischen: Weniger Müll bedeutet zum Beispiel weniger Umweltverschmutzung und weniger Energieverbrauch bei der Produktion. Die Reduktion von Lebensmittelabfällen schont natürlich aber auch den eigenen Geldbeutel. Und natürlich leben auch die gesünder, der eher zu unverarbeiteten und unbehandelte Lebensmitteln greift. Die unterschiedlichen Aspekte bedingen sich gegenseitig, greifen ineinander.

So gelingt Low Waste zu Hause

Hier sind fünf Tipps, mit denen das Low-Waste-Konzept ganz einfach in der eigenen Küche umgesetzt werden kann.

1. Lebensmitteln die Anonymität nehmen

© Reiners Erdbeeren und Gemüse
Reiners Erdbeeren Marktstand
Unbehandelte und unverarbeitete Produkte direkt vom Bauernmarkt wie hier von Reiners Erdbeeren und Gemüse.

Sternekoch Paul Ivić aus dem TIAN ist Verfechter des guten Produkts. Ihm kommt es neben der Qualität vor allem auf die Wertschätzung an. Um diese und die eigene Sensibilität zu steigern, hat der Tiroler einen einfachen Tipp, und der steht ganz am Anfang, nämlich beim Einkauf: Demnach sollte man direkt bei den Erzeugern, auf Märkten oder Bauernmärkten einkaufen. Und warum das? „Weil man Kontakt zu den Produzent:innen hat, weil die Lebensmittel ihre Anonymität verlieren, weil Frische hier eine andere Bedeutung hat, weil mehr Geld bei den Produzent:innen ankommt und weil auf Plastikverpackungen verzichtet wird“, erklärt Ivić in seinem Buch „Vegetarisch“. Damit spricht er freilich gleich mehrere Punkte an, zentral scheint für den Anfang aber, den Lebensmitteln ein Gesicht zu geben. Was man wertschätzt, verschwendet man nicht so schnell. Und ein weiterer Vorteil, gerade für kleinere Haushalte: Produkte können stückweise gekauft werden. Die Gefahr, dass ein Teil aus der Großpackung, der nicht sofort verarbeitet wird, schlecht wird, fällt damit auch weg. Man kauft einfach nur so viel, wie man wirklich braucht. So einfach.

2. Bio und regional bevorzugen

© Dirndln am Feld
Gemüsevielfalt
Die Produkte von regionalen Erzeuger:innen, wie hier von den Dirndln am Feld, zu bevorzugen, schont auch durch die kürzeren Lieferwege Ressourcen.

Der nächste Schritt liegt für Ivić auf der Hand: Bei der Auswahl der Lebensmittel für bewusste Konsument:innen führt kein Weg an biologischen Lebensmitteln vorbei und „selbst wenn bio längst auch Standard für industrielle Landwirtschaft ist und man natürlich darüber diskutieren kann, wie „bio eine um den halben Globus transportierte Banane oder Mango noch ist. So bleibt ein Lebensmittel, das nicht mit systemischen Giften gegen Unkraut, Pilzerkrankungen und Insekten gespritzt wurde, immer noch besser als eines, bei dem diese Einschränkung nicht stattfand“, schreibt Ivić. Steigerung gefällig? Gerne: Wer regional kauft, vermeidet zusätzlich lange Transportwege. Der „Waste“ ist nämlich nicht nur die Verpackung, die wir im heimischen Müll entsorgen.

3. Verpackungsmüll vermeiden

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Verpackungsmüll
Verpackungsmüll zählt zu den offensichtlichsten Problemfeldern in der Küche – dabei lässt sich dieser eigentlich recht einfach reduzieren.

Apropos Verpackungsmüll: Der Punkt, an den die meisten beim Foodtrend-Thema „Low Waste“ wahrscheinlich sofort denken, sind die Verpackungen, die in den Supermärkten oft gerade auch um die Frische-Produkte gewickelt sind. Hier lohnt es sich, wie oben beschrieben, unverpackt auf Märkten oder direkt bei den Erzeuger:innen zu kaufen. Aber auch bei der Lagerung in der eigenen Küche kann Müll vermieden werden. Ein Beispiel wären wiederverwendbare Bienenwachstücher oder Glasbehältnisse statt der Frischhaltefolie, Stofftücher statt Küchenrolle oder mehrfach nutzbare Silikonmatten statt Backpapier.

4. Nose to Tail

„Nose to Tail beim Tier sollte schon aus Gründen des Respekts vor dem Lebewesen selbstverständlich sein.”
Philipp Wimmer-Joannidis, Kaiser’s Hof
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Nose to Tail
Nose to Tail meint, alle Teile vom Tier zu verwerten – aber auch von jedem anderen Lebensmittel.

„Nicht nur für meine Großeltern war es völlig normal, alles zu verwenden. Auch für mich ist das selbstverständlich. Nose to Tail (von der Nase zum Schwanz) beim Tier sollte schon aus Gründen des Respekts vor dem Lebewesen selbstverständlich sein. Wenn ich schon ein Leben nehme, dann verwerte ich es auch komplett“, erklärt Spitzenkoch Philipp Wimmer-Joannidis vom Kaiser’s Hof. Das berühmte Nose to Tail funktioniert aber nicht nur in der Gastronomie, sondern auch zu Hause und lässt sich auch vegetarisch oder vegan umsetzen („Leaf to Root” – vom Blatt zur Wurzel): „Das Gleiche gilt auch für Pflanzen, Gemüse und eigentlich alles. Und sehr oft steckt auch viel überraschender Geschmack in diesen Produkten, die oft keiner will, weil man verlernt hat, was daraus zu machen“, ermutigt Wimmer-Joannidis. Wichtig ist hier nur die Auseinandersetzung mit dem Produkt und das Interesse daran, alles zu verwerten.

Kompostieren statt wegwerfen

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Ein eigener Kompost ist für Menschen ohne Garten nur schwer umzusetzen – es gibt aber Alternativen.

Manche Abfälle wie Schalen oder andere Reste lassen sich nicht vermeiden. Wir reden hier von einem nicht unwesentlichen Teil, denn: Ein großer Teil unseres Haushaltsmülls besteht aus biologischen Abfällen. Dieser kann stark reduziert werden. Gemüseschalen, Kaffeesatz oder Eierschalen können ganz einfach kompostiert werden. Im besten Fall natürlich im eigenen Garten, aber auch ohne einen eigenen Garten ist das kein Problem. Eine Wurmkiste oder ein Bokashi-Eimer für die Wohnung könnten hier die Lösung sein.

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